Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 33/2022.
"Kannst du die Corinna Schumacher beim Weintrinken kriegen?" Hans Paul telefoniert mit seinem Mitarbeiter aus Köln. "Weil die ist so dick geworden. Und halt dich an die Cora ran. Die will in die Illus."
Hans Paul gluckst zufrieden, als er auflegt. Die Schumachers, erzählt er, das sei wahrscheinlich "ein Geschäft - was meinst du, warum seit Jahren niemand was über den Michael weiß? Weil die doch die ganzen Sponsoren verlieren würden, wenn der nicht mehr wär."
Paul ist im Kopf an mehreren Orten gleichzeitig. Er springt im Gespräch von einem Star zum anderen, immer wieder klingelt sein Telefon und Paul organisiert.
An diesem heißen Julitag ist er eigentlich am . Schon vor Tagen hat er hier, am Ortsrand von Inning, sein Lager aufgeschlagen. Sein Ziel: Helene Fischers Baby. Genauer, er will kein Foto des Säuglings selbst, das müsste er ohnehin verpixeln, aber er will das Babyglück, die Sängerin mit Kinderwagen zum Beispiel, das wäre was.
Hans Paul ist Paparazzo. Er selbst sagt, er sei der Letzte seiner Art. Seit den Neunzigern fährt er mit Kastenwagen und Mofa um die Welt und füllt Illustrierte mit Promigeschichten. Ein Geschäft, das durch soziale Medien und besonders an Relevanz verliert. Inszenierte Selfies ersetzen die Schnappschüsse. Und Hans Paul, so scheint es, wird immer mehr zum Relikt.
Pauls hellblaumetallic-lackierter Kastenwagen steht auf einem Parkplatz, ganz in der Nähe eines Supermarktes. Das kleine Honda-Mofa hat er daneben abgestellt. Im Auto hat Paul sein schmales Schlaflager eingerichtet, gleich neben einem und den Kisten, in denen er seine Kameras aufbewahrt. Eine Leiter ragt über eine dünne Matratze, auf der Paul nachts in einem Schlafsack ruht. Plastiktüten, eine Tasche in Tarnfarben und Spanngurte hängen vom Fahrrad über dem provisorischen Bett. Sobald eine Info von einem seiner Mitarbeiter übers Handy reinkommt, beginnt seine Jagd.
"Das Auto kennt hier keiner", sagt er und deutet mit dem Kinn zu dem Wagen, den ich, die Reporterin, die ihn begleitet, für den Tag gemietet habe. "Du fährst." Seine morgendliche Runde startet am Supermarkt in Inning. Dort, so erzählt er, habe er den Seitel schon häufiger gesehen. Mit Seitel meint er Thomas Seitel, Helene Fischers Lebensgefährten und Vater des gemeinsamen Kindes.
"Fahr weiter", sagt Paul, nachdem er den Supermarktparkplatz abgescannt hat. "Hier ist nichts zu holen." Die Sport- und Geländewagen, nach denen er Ausschau hält, kann er nicht entdecken. Er kenne die Kennzeichen der meisten Promis, sagt Paul. Für 50 Euro bekomme er die Info von einem, der Akteneinsicht habe. Für 100 eine genaue Adresse. Seine Quellen verrät Paul nicht.
Am Fenster zieht die Landstraße vorbei, wir sind auf dem Weg nach Herrsching und Paul, der sonst gern so viele Witzchen und Promigeschichten erzählt, dass man gar nicht mit Fragen dazwischen kommt, lässt plötzlich längere Pausen zwischen seinen Sätzen. Er erzählt seine Geschichte:
Paul ist 1954 in Bardowick bei Hamburg geboren, als Kind konservativer Eltern. Im Internat in Schleswig-Holstein, von dem seine Eltern sich eine bessere Zukunft für ihn erhofften, fühlte er sich eingesperrt. Er begann eine Fotolaborantenlehre, auch das war ihm zu kleinbürgerlich. Die Siebziger waren nicht überall bunt und wild. Dann sah er eine Ausstellung von Hanns Hubmann in Hannover. Der berühmte Fotoreporter erzählte von seinen Reisen um die Welt - und Hans Paul, so sagt er es heute, bekam er zum ersten Mal eine Idee von Freiheit.
Er wurde freier Journalist bei Lokalblättern in Niedersachsen. Wollte raus in die Welt, reiste nach Israel, Venezuela, Paraguay, arbeitete nebenbei als Matrose, in einer Stahlfabrik, in Kupferminen. In Brasilien traf er einen Priester, der ihn an philosophische Texte heranführte. Noch heute liegt in seinem Kastenwagen ein roter Ordner mit Zusammenfassungen der Ideen von Platon, Locke oder Thomas von Aquin. In Klarsichtfolie. Nachts liest er sie vor dem Einschlafen.