Da ist eine Lücke im Dickicht. Wer nicht genau hinschaut, übersieht sie. Und den kleinen braunen Steg, der zwischen tropischen Farnen hervorlugt. Erst als Nemecio Rodríguez Coello an diesem Tag das Motorkanu am Steg befestigt, entdecken die drei Touristen aus Deutschland und den USA, die darin auf den Bänken sitzen, das kleine Haus hinter den Pflanzen. Auf Stelzen gebaut und aus Holz, mit einem Dach aus getrockneten Palmenblättern. Gleich in der Nähe sollen sich rosa Delfine und Seekühe tummeln, im gemächlich dahinströmenden, bräunlich-goldenen Wasser des , der hier, unweit der Gemeinde Puerto Nariño, die Grenze zwischen Kolumbien und Peru bildet. Ein einsamer Tupfer menschlichen Lebens inmitten unberührter Natur.
Touristen wie die, die im Motorkanu von Rodríguez Coello sitzen, können sich das Häuschen für ein paar Tage oder länger mieten. Hier duschen sie mit Regenwasser, erledigen ihr Geschäft auf einer Komposttoilette. Ihr ökologisches Gewissen müssen sie auch sonst nicht allzu sehr belasten. Denn in diesem Gebiet gelten Fischereibeschränkungen und verschärfte Naturschutzregeln. Jeder, der hier Zeit verbringen will, muss im motorisierten Kanu erst einmal Kontrollpunkte passieren und seine Reise begründen. Und Öko-Tourismus ist ein Grund, mit dem man durchgelassen wird.
Rodríguez Coello weiß, wie das läuft. Immer wieder bringt er Touristen hierher. Der zertifizierte Öko-Guide aus Puerto Nariño sitzt am Heck seines Motorkanus, lugt unter seinem Käppi mit Nackenschutz hervor und schaut auf das goldbraune Wasser, immer auf der Suche nach den seltenen rosa Flussdelfinen. Er lebt davon, dass Menschen aus fernen Ländern in seine Heimatregion kommen und er ihnen in seinem Boot die Landschaft zeigt. Und solange sie sich respektvoll gegenüber der Natur verhalten, keinen Müll hinterlassen, die Tiere möglichst wenig stören, glaubt er, sei der Tourismus eine gute Sache.
Und doch, wer sich hier im abgelegenen Gebiet des Regenwaldes umsieht, kommt an der Frage nicht vorbei: Weshalb sollten ausgerechnet Touristen an diese unberührten Flecken reisen? Warum lässt man den Wald nicht einfach in Ruhe? Gerade jetzt, wo immer mehr Menschen klar wird, wie wichtig der Amazonas als sogenannte grüne Lunge der Erde ist, um die Klimakrise aufzuhalten.
Wer sich länger mit der Frage beschäftigt, der versteht: So einfach ist die Antwort nicht. Denn der Wald besteht nicht nur aus Bäumen. Etwa 30 Millionen Menschen leben im und vom Einzugsgebiet des Amazonas - einem der wichtigsten Ökosysteme der Welt. Dass der Mensch dem Wald meist schadet, ist kein Geheimnis: Entwaldung, illegale Goldgräber und die Jagd auf Wildtiere bedrohen seine Existenz. In Kolumbien genauso wie in Brasilien, wo in den letzten Jahren immer größere Flächen in Flammen standen. Die Satellitenbilder der Rauchschwaden gingen um die Welt.
Doch vor den Fernsehern in Europa hat man oft auch eine Sicht auf den Wald, die konträr zu den Lebensrealitäten der Bewohner der Region steht. Bewohner, die wie der Tourguide Rodríguez Coello vom Amazonas leben. Man kann den Menschen hier nicht einfach sagen: Lasst den Wald in Ruhe, berührt nichts, tötet keine Tiere. Vor allem nicht jenen, die sich aus Existenznöten am Raubbau an der Natur beteiligen statt aus Profitgier. Eine Lösung für diese Menschen und die Natur, so sehen es Experten, könnte da ausgerechnet der Tourismus sein. Jedenfalls dann, wenn die Betreiber auf Nachhaltigkeit achten.
Rund 70 Kilometer von Rodríguez Coello und seinem Boot entfernt liegt Leticia, die nächstgrößere Stadt. Hier gibt es Hotelbetreiber, die schon länger auf Nachhaltigkeit setzen. Ligia Porras und Francisco Alonso bieten seit mehr als 15 Jahren Öko-Tourismus an, lange bevor Nachhaltigkeit der Mehrheit der Besucher hier ein Begriff war. Hinter dem Holztor ihres Öko-Hotels Malokamazonas beginnt eine andere Welt. Mitten in der Stadt mit mehr als 26.000 Einwohnern - die sechstgrößte in der kolumbianischen Amazonasregion -, wo Motorräder kreischen und es nach einem Gemisch aus Benzin und Billigplastikwaren riecht. Wo Mülltüten und Einwegbecher den kleinen Urwaldhafen verschmutzen.