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Der Kampf mit Worten. Literatur wird Widerstand in Trumps Amerika.

llustration: Seb Agresti Trump-Twitter verroht die USA. Die LGBTQ-Aktivistin Juli Delgado Lopera setzt ein buntes Spanglish dagegen.

Tausende Menschen, die sich in Richtung Norden bewegen. Schritt für Schritt. Langsam, aber stoisch. Auf flimmerndem Asphalt, der ihnen langsam die Sohlen ihrer Sandalen wegfrisst. Familien, Schwangere, einige schieben Kinderwagen vor sich her, andere haben die amerikanische Flagge wie ein Superheldenkostüm über ihren Rücken geworfen. Das war 2018. Die Verzweiflung der Menschen aus Honduras und San Salvador war groß. Genauso groß wie die Hoffnung auf ein besseres Leben in den USA. Dafür durchquerten sie einen Kontinent. Zu Fuß.

In diesen Wochen, zwei Jahre später, laufen die Menschen wieder dicht gedrängt auf den Straßen. Wieder ist die Verzweiflung groß, aber diesmal spendet die amerikanische Flagge keine Hoffnung. Im Gegenteil: Das Land ist zum Ursprung der Verzweiflung geworden. Ein Land, das es nicht schafft, noch nie geschafft hat, die Leben seiner Schwarzen Bürger zu schützen. Zu lange und zu tief hat sich der Rassismus quer durch die Gesellschaft und ihre

Institutionen gefressen. Was beide Momente verbindet: Ein twitternder
Präsident, dessen Wut auf die, die da auf den Straßen laufen, ungehalten ist. Der sie „Kriminelle“, „Verbrecher“, „Schläger“ nennt, eine Gefahr für Amerika“. Der seine hasserfüllte Sprache über ein ganzes Land auskippt. Für Juliana Delgado Lopera war diese Rhetorik ein Katalysator. „Die Wahl Trumps hat mich nur darin bestärkt, mich auf die Bedeutung von Sprache und ihren Einfluss auf Konstruktion von Identität zu konzentrieren“, erklärt Delgado Lopera im Videochat. Sie lebt in San Francisco, ist Autorin, Performerin, Historikerin, Aktivistin und queer. Als sie fünfzehn Jahre alt war, emigrierte ihre Familie von Kolumbien in die USA. Ihre Familie, ein streng katholisches Matriarchat, schließt sich in Florida einer evangelikalen Freikirche an. Delgado Lopera ist damit viel von dem, was Trump nicht ausstehen kann. Der lebende Beweis dafür, dass die Welt, die sich dieser Präsident imaginiert, nicht existiert. Das Realität komplexer und vielschichtiger ist, als sein 280 Zeichen-Reich bei Twitter. „Aber guck dir an wie weit dieser Mensch gekommen ist, gerade wegen seiner vor Verachtung triefenden Sprache.“ Delgado Lopera hat früh die Erfahrung
gemacht, dass Sprache viel Macht hat. Im April dieses Jahres erschien ihr erster Roman. Fiebre Tropical ist die Geschichte eines queeren Teenagers, der von Bogota nach Miami zieht und sich auf einmal durch ein völlig neues Umfeld navigieren muss. Die Parallelen zu ihrer Biografie sind offensichtlich. Der Roman wurde von der New York Times euphorisch gefeiert. Nicht nur für die tempo- und facettenreiche queere Coming-of-Age-Geschichte, sondern auch für Delgado Loperas Umgang mit Bilingualität. Ihre Sprache, ein rauschendes und befreiendes Spanglish, steht im scharfen Kontrast zum engen, amerikanischen Vorstadtkorsett, in das die Protagonistin zwangsversetzt wurde: „I knew Mami was obsessive, but Miami was sending her into another level loca obsesiva that I hadn’t known
was possible.“ Delgado Lopera hat Spanglish zu ihrem Werkzeug der Selbstermächtigung gemacht. Bis die 32-jährige an diesen Punkt gelangte, war es ein weiter Weg. 2014 begann sie zunächst, die Ausgrenzungserfahrungen anderer aufzusammeln. In dem Sammelband ¡Cuéntamelo! („Erzähl es mir!“) hat sie die Geschichten jener Generation von lesbischen, schwulen, bi- und transsexuellen sowie queeren (LGBTQ)  Immigranten aufgeschrieben, die seit den 80er-Jahren das Nachtleben und die Kulturszene in San Francisco mitgeprägt haben. Für deren Erfahrungen mit Migration, Homophobie und Transphobie hatte sich bis dato außerhalb der eigenen Gemeinschaft kaum jemand interessiert. Ein Jahr später übernahm sie die künstlerische Leitung von Radar, einer Organisation, die sich innerhalb weniger Jahre zu einer zentralen Anlaufstelle für queere Gegenwartsliteratur und Kunst in
San Francisco entwickelt hat. Zu dieser Zeit betrieb San Francisco zwar gerne Stadtmarketing mit der Regenbogenflagge, de facto wurden die Orte der queeren Gemeinschaft seit Jahren aber von den generischen Urbanitätsvorstellung der Tech-Industrie verdrängt werden. Sichtbarkeit als essentiellen Teil eines Kampfes gegen eine immer offenere und gelebte Xenophobie und Transphobie zu begreifen, ist das Ergebnis von Delgado Loperas Erfahrungen. Die ersten Jahre in den USA waren für sie Jahre des Verstummens und des Unsichtbarwerdens: „Auf einmal war ich mit dieser Hierarchie konfrontiert, reines Englisch stand ganz oben und wenn du mit spanischem Akzent gesprochen hast, dann warst du ganz unten“, erinnert sie sich. Sie erlebt, wie die Abwertung ihrer Muttersprache die Abwertung ihrer Identität zur Folge hat. Und sie beobachtet, wie ihre einst so stolze Mutter für ihren Akzent belächelt wird. Wie aus der Geschichtenerzählerin eine Frau wird, die auf einmal Angst vor dem Sprechen hat. „Meine Liebe
für Sprache habe ich, bis ich nach der Schule nach Kalifornien gezogen bin,
nicht wiedergefunden.“Delgado Lopera beginnt, in Berkeley zu studieren. Seit Jahren führt sie ein kleines Archiv, schreibt auf, was sie an Wortkreationen auf der Straße aufschnappt. Sie bewirbt sich für einen Master im Kreativen Schreiben. Dort teilt sie zum ersten Mal ihre Texte mit Anderen. Auch an der progressiven Küste Kaliforniens ist die Reaktion ernüchternd: „Ich hab super viel Zurückweisung bekommen. Vor allem von anderen Studierenden.“ Umso mehr Zurückweisung sie erfuhr, umso mehr glaubte sie an ihr Projekt. „Ich habe anfangs eigentlich nur geschrieben, um meine Stimme zu hören, die ich in diesem weißen, mächtigen Land verloren habe.“ Sieben Jahre schreibt sie an einem Buch. Währenddessen werden die wütenden Stimmen der weißen Mehrheit immer lauter. 2018 befindet sie sich in den letzten Zügen. Es ist das Jahr in dem Trump nicht müde wird, gegen „die Karawane“ zu hetzen. Gleichzeitig häufen sich Berichte darüber, dass Menschen, weil sie Spanisch sprechen, verbal und körperlich attackiert werden. Es ist der Moment, in dem deutlich wird wie sich die Rhetorik eines rassistischen Präsidenten in Echtzeit auf die
Sicherheit von Millionen von Bürgern auswirkt. Delgado Lopera beschreibt es so: „Seit der Wahl Trumps hat sich das Level der Gewalt und Aggressionen gegen BIPoC  („Black, Indigenous and People of Color“, Schwarze und indigene Menschen. Anm. D. Red.) intensiviert und auf jeden Fall auch dazu geführt, dass wir als Gemeinschaft enger zusammenrücken, uns solidarisieren.“ Diese Solidarität sei eine Notwendigkeit, eine schöner
Effekt, aber dennoch überwiege gerade ein anderes Gefühl: „Das Gefühl, das meine Arbeit gerade am meisten beeinflusst, ist Wut.“ Als sie diese Worte ausspricht liegt der brutale Mord an George Floyd noch in der Zukunft. Es ist Anfang Mai und Delgado Lopera hat gerade in der US-amerikanischen Teen Vogue als Gastkolumnistin einen Artikel darüber geschrieben, warum Spanglish ihre Heimat ist und wie wichtig es ist, Heimat zu verteidigen. Sie hofft, dass sie mit ihren Texten die Generation erreicht, die in einer Zeit erwachsen wird, in der Eltern ihren Kindern raten, auf dem Schulhof besser kein Spanisch zu sprechen. Sie weiß, dass das nur ein Mittel von vielen sein kann. Am wichtigsten sei die Solidarität. Und die müsse sichtbar werden, so wie in den vergangenen Wochen auf den Straßen – nicht nur in Amerika.  Zum Original