Die Portion Xiaolongbao ist längst kalt, als Phoebe Lee sie zu sich heranzieht. „Wenn ich esse, kann ich nicht klar denken", sagt die Neunzehnjährige, während sie die Teigtasche zwischen ihren Stäbchen begutachtet. Klar denken sei jetzt aber wichtig, schließlich gehe es um nicht weniger als die Zukunft Taiwans. Michael Chuang, ihr Kommilitone, sitzt neben ihr und nickt heftig. Die beiden kennen sich aus der Uni, wo sie englische Literatur studieren. Über Literatur reden sie momentan aber kaum, dafür umso mehr über die Präsidentschaftswahl am 11.Januar. Denn die, da sind sich die beiden einig, sei entscheidend dafür, wie es mit Taiwans Demokratie weitergehe.
„Ich habe lange gedacht, dass es für Taiwan besser ist, sich gut mit China zu stellen und nicht so sehr auf die eigene Unabhängigkeit zu pochen", sagt Chuang. Spätestens seit den Protesten in Hongkong habe sich seine Meinung aber fundamental verändert: „Ich glaube nicht mehr an diese ,Let's make our big daddy happy'-Politik. Je mehr wir uns auf China verlassen, politisch wie auch wirtschaftlich, desto weniger Rechte wird Taiwan für sich verhandeln können."