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Stadt als Ramsch

Es passiert nicht oft, dass einem bei der Betrachtung eines Stadtplans die Gefühle durchgehen. Wer die fünf mal sechs Meter große Karte Berlins betrachtet, sollte sich darauf gefasst machen. Denn die eingezeichneten Flächen zeigen präzise, was in den letzten 30 Jahren in der Berliner Stadtentwicklungspolitik so fatal schiefgelaufen ist. 8.000 Liegenschaften hat die Stadtforscherin Florine Schüschke dafür zusammengetragen. Es ist die erste Gesamtdarstellung der Privatisierung öffentlichen Raums in Berlin dieser Art. Wer die schiere Fläche mit den eingelösten Gewinnen abgleicht, der kann nur fassungslos sein.

30 Jahre nach dem Mauerfall widmet sich der Neue Berliner Kunstverein (n.b.k.) in einer Rückschau der Stadt- und Raumplanung Berlins - dabei untersucht er die Nachwehen der Wende nicht als geopolitisches Ereignis, sondern in ihrer städtebaulichen Bedeutung. Warum diese Rückschau ausgerechnet jetzt, 30 Jahre später? „Weil die Probleme offen zutage treten und wir uns nichts mehr vormachen können", lautet die kurze und deprimierende Antwort von Mit-Kurator Anh-Linh Ngo. Mietenstopp, Rückkauf, Deutsche Wohnen enteignen! - wer sich anguckt, welche Forderungen im politischen Mainstream angekommen sind, der kommt zu dem Schluss: Nichts prägt das Leben in Berlin heute so sehr wie die neoliberale Stadtpolitik der Nachwendejahre. Es ist diese „Politik des Raums" von damals, über die Politiker auch heute nur ungern sprechen. Da wird die flächendeckende Veräußerung kommunaler Liegenschaften gerne als Fehler der Vergangenheit abgetan.

Die Ausstellung räumt mit dem Mythos auf, dass diverse Entscheidungen aus der Not geborene Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung waren. Sie stünden vielmehr für eine aktive „Stadtpolitik", die diesen Namen angesichts gegenwärtiger Verwerfungen wohl kaum verdiene. Der Möglichkeitsraum, der sich nach der Wende in Berlin eröffnete, wurde schnell verriegelt, man wollte Herr über die Geschichtsschreibung sein. Und während ein Teil der Berliner Anfang der 1990er Freiheit in Techno-Clubs suchte, machte sich die Politik daran, Zukunft mit Vergangenheit vollzustellen. Heute hat jeder zweite Berliner laut einer Forsa-Umfrage Angst vor steigenden Mieten, vor Verdrängung. Was man hier sieht, scheint exemplarisch für weltweite Entwicklungen. Wem gehören die Städte?, das ist die brennende Frage.

Der n.b.k. geht der Berliner Entwicklung mit fünf sehr unterschiedlichen Zugängen und einem mehrtägigen Diskursprogramm nach. Eine dieser Positionen kommt von Daniel Poller. Basierend auf einer Recherche von Verena Hartbaum hat er für seine Installation 100 Bauten fotografiert. Townhouses, Carrées und Ensembles, die „Fellini-Residences" oder „Carré Voltaire" heißten. Hier zeigt sich, welche Architekturen mit internationalem Geld entstanden sind. „Berlinisch" soll diese Architektur zudem sein, man beruft sich auf eine erfundene Tradition, die nicht an Geschichte anknüpft, sondern diese zugunsten eines Marktes, der das Generische bevorzugt, verfälscht. In Pollers Installation verdichten sich die Fassaden dieser Architektur zu einem charakterlosen Zerrbild der neohistorischen Stadt, die Berlin sein soll. Dass nicht nur die Architektur leer wirkt, sondern viele der Wohnungen auch leer sind, darauf weißt Anh-Linh Ngo hin. „Sehen sie die heruntergelassenen Jalousien? Diese Architektur ist nicht zum Wohnen da. Das sind Investitionshüllen."


Vermögensaktivierungspolitik, Share Deal, Potenzialwertermittlung - wer den Markt verstehen will, muss seine Sprache verstehen. Der ehemalige Berliner Staatssekretär Wohnen, der Stadtsoziologe Andrej Holm, hat für die Ausstellung eigens ein Glossar entwickelt. Sprache spielt auch in der Videoarbeit des Büros Schroeter & Berger eine zentrale Rolle. „Hier ging es uns um ein kritisches Gegenlesen des Geredes vom kreativen Berlin", erklärt Ngo. Denn egal wie locker die Imagekampagne daherkommt, dahinter steckt immer ein Bündel harter Interessen. Im Fall von Berlin das Interesse, mit Kreativität Geld zu machen. Der Stadt wurde also ein signalrotes Kleid übergestülpt, auf dem erst „arm, aber sexy", schließlich maximal individualistisch „be berlin" stand. Dass diese Gleichsetzung von Kultur- und Wirtschaftspolitik dazu führt, dass sich die Stadt selber kannibalisiert, auch das wird in der Ausstellung aufgearbeitet. War vor ein paar Jahren noch der Künstler das Maskottchen der Kampagne, ist es heute der lässige Start-up-Gründer. Das Marketing bemüht sich aktuell, Berlin als Digitalhauptstadt zu etablieren. Der Künstler ist erwachsen geworden, so die Erzählung. Dass der Künstler kein Künstler mehr sein kann, wird in der „Stadt-up" verschwiegen. In den Lofts wohnt jedenfalls das potente Ausland.

Der n.b.k. ruft laut zum Gespräch auf. „Die Ausstellung ist böse", sagt Ngo, fast etwas entschuldigend. Interessant werden sicher die Diskussionen zum Beispiel über den „Mythos des Marktes I". Bausenatorin Katrin Lompscher will kommen, und auch die Geschäftsführerin einer Immobilienmanagementgesellschaft.



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