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Was an die ersten beiden Rettungsmissionen von Pal Dardai erinnert

Bei Hertha herrscht nach dem Sieg gegen Stuttgart neue Zuversicht. Kann Pal Dardai den Klub zum dritten Mal retten? Ein Blick auf seine ersten beiden Missionen zeigt, wie gewaltig die Aufgabe diesmal ist - aber offenbart auch Parallelen. Von Anton Fahl

Es ist nicht so, dass es diesen Beweis wirklich noch gebraucht hätte. Doch am 16. April 2023 zeigte Pal Dardai einmal mehr seine bedingungslose Loyalität gegenüber Hertha BSC, indem er zum dritten Mal das Cheftraineramt übernahm. Schon zwei Mal hatte er jenen Verein, für den er einst selbst zum Rekordspieler avancierte, vor einem Abstieg aus der Fußball-Bundesliga bewahrt - um später doch für nicht mehr gut genug befunden zu werden.

Warum tut der sich das wirklich nochmal an, lautete also eine mehr als berechtigte Frage. Doch von Eitelkeiten oder einem gekränkten Ego zeigte Dardai keine Spur. Ebenso wenig: von Illusionen. Dardai wusste schließlich aus der Vergangenheit nur zu gut, worauf er sich eingelassen hatte - auch wenn nun alles noch komplizierter aussah als bei seinen geglückten Rettungsmissionen 2014/15 und 20/21. rbb|24 blickt darauf zurück, wie Dardai die Herthaner aus diesen misslichen sportlichen Situationen befreien und den Klassenerhalt feiern konnte. So viel vorab: Es brauchte beachtliche Serien, Marvin Plattenhardt und Peter Pekarik.

Mission I: Am Ende macht's die Tordifferenz
Die Ausgangslage: 19 Spiele, 18 Punkte, Platz 17

Als Pal Dardai am 5. Februar 2015 vom Nachwuchs- zum Profi-Trainer befördert wurde, standen die Berliner in der Bundesliga-Tabelle vor Borussia Dortmund. Bei noch 15 verbleibenden Saisonspielen übernahm der Ungar eine Mannschaft, die den 17. Tabellenplatz mit 18 Punkten - und damit eben: zwei Zählern Vorsprung auf den BVB - belegte. Der Abstand zum Hamburger SV auf dem 13. Platz betrug jedoch ebenfalls nur zwei Punkte.

In dieser Ausgangslage löste Dardai also Jos Luhukay ab, nachdem der Verein mit dem Niederländer in der Saison 2012/13 im ersten Versuch wieder in die Bundesliga aufgestiegen und in der darauffolgenden Spielzeit auf dem elften Platz gelandet war. Zum Zeitpunkt von Dardais Amtsantritt hatten die Herthaner vier Bundesliga-Spiele in Folge nicht mehr gewonnen (ein Unentschieden, drei Niederlagen). Dardai formierte die Abwehr neu, setzte auf sein favorisiertes 4-2-3-1-System und vertraute auf den defensiven Außenbahnen Marvin Plattenhardt - in dessen erster Saison im blau-weißen Trikot - und Peter Pekarik.

Zum Auftakt gewann Hertha mit 2:0 beim FSV Mainz 05, die darauffolgenden beiden Partien gingen verloren. Doch dann starteten die Blau-Weißen ab dem 23. Spieltag eine Serie: Sieben Mal in Folge blieb Hertha ungeschlagen (drei Dreier, vier Remis). In fünf dieser sieben Begegnungen spielten die Berliner zu Null. Insbesondere gegen die direkte Konkurrenz im Tabellenkeller punkteten Dardais Herthaner damals konsequent: In Hamburg und gegen Paderborn holte die "alte Dame" jeweils drei Zähler, hinzu kamen Unentschieden in Stuttgart und Hannover.

Es war Dardai gelungen, aus einer verunsicherten Mannschaft eine Einheit zu formen, die den Abstiegskampf annahm, geschlossen verteidigte - und zwar nicht besonders attraktiven Fußball spielte, dafür aber die nötigen Punkte einheimste. Sogar so viele, dass Hertha BSC am 34. Spieltag schließlich trotz einer 1:2-Niederlage in Hoffenheim - und dank einer besseren Tordifferenz als der HSV - auf dem 15. Platz ins Ziel kam.

Die Zwischenphase: Bis zum Sommer 2019 sollte Dardai dann auf der Trainerbank sitzen, sogar auf dem internationalen Parkett der Europa League war Hertha BSC unter dem Ungarn in der Zwischenzeit wieder vertreten. Doch der Klub träumte von mehr, für Dardai ging es in die Nachwuchsakademie. Der Rest ist bekannt - und soll hier in einem Satz zusammengefasst sein, obwohl ganze Bücher darüber geschrieben werden könnten: Es folgten das 374 Millionen Euro schwere Windhorst-Investment und vier Trainer. Noch kürzer gesagt: Es folgte ein einziges großes Missverständnis.

Mission II: Der Lohn der Zigarre
Die Ausgangslage: 18 Spiele, 17 Punkte, Platz 14

Am 24. Januar 2021 mussten Geschäftsführer Michael Preetz und Trainer Bruno Labbadia gehen, am 25. Januar wurde Herthas Rekordspieler Dardai zum zweiten Mal als Chefcoach der "alten Dame" vorgestellt. Diesmal war die sportliche Ausgangssituation für Dardai vergleichsweise dankbar: Er übernahm die Berliner mit 16 verbleibenden Saisonspielen und 17 gesammelten Punkten auf dem 14. Platz - mit sieben Zählern als Pufferzone zum ersten direkten Abstiegsplatz.

Außerdem bekam es Dardai mit einem Kader zu tun, der zumindest auf dem Papier mit der Maßgabe zusammengestellt worden war, eher das vordere Tabellendrittel anzugreifen als im hinteren herumzustolpern. So tummelten sich etwa Jhon Cordoba, Matheus Cunha, Matteo Guendouzi oder Sami Khedira auf dem Schenckendorffplatz, neben - wie sollte es anders sein - Marvin Plattenhardt und Peter Pekarik. Die individuelle Qualität zeigte sich auch daran, dass Dardai äußerst variabel aufstellte und auch mal von seinem präferierten 4-2-3-1 abrückte.

Eine Parallele zur aktuellen Lage: Auch 2021 verlor Hertha die ersten beiden Spiele, nachdem Dardai zurückgekehrt war. Doch ähnlich wie 2015 schaffte es Dardai auch in diesem Fall, eine Mannschaft zu formen, die eine Serie startete, gegen ihre direkten Konkurrenten punktete und sich somit am Ende den Klassenerhalt sicherte. Vom 26. bis zum 33. Spieltag blieben die Herthaner in acht Partien ungeschlagen (drei Siege, fünf Unentschieden), beendeten vier dieser Partien mit einer "weißen Weste" und kassierten in dieser Phase nur einmal mehr als ein Gegentor.

Bemerkenswert war vor allem, dass Hertha - aufgrund einer Vielzahl von Corona-Fällen - für mehr als drei Wochen mit dem Spielbetrieb pausieren und eine Art "Quarantäne-Trainingslager" beziehen musste, während die Konkurrenz Woche für Woche ihre Spiele austrug. Letztlich war Hertha dazu gezwungen, vom 3. bis 15. Mai 2021 fünf Spiele innerhalb von 13 Tagen zu absolvieren - und blieb trotz widrigster Umstände in diesem Zeitraum ungeschlagen.

Ein Mutmacher mit Hinblick auf die heutige Situation: Eigengewächs Jessic Ngankam bewies schon damals, dass er dem Druck im Abstiegskampf gewachsen ist, indem er am 31. Spieltag beim 2:1-Sieg in der Arena auf Schalke das vorentscheidende Tor zum Klassenerhalt erzielte. Ein 0:0 gegen den 1. FC Köln reichte den Herthanern am 33. Spieltag, um sicher im Fußball-Oberhaus zu bleiben. Pal Dardai war anschließend per Videoschalte aus dem Garten des Teamhotels im Aktuellen Sportstudio des ZDF zu sehen, wie er genüsslich eine Zigarre rauchte und sagte: "Die habe ich mir verdient."

Die Zwischenphase: Ende November 2021 musste Pal Dardai gehen - entlassen von Geschäftsführer Fredi Bobic. 14 Punkte hatte der Klub gesammelt und steckte damit (mal wieder) im Tabellenkeller der Bundesliga. Tayfun Korkut übernahm. Er sollte bis zum Saisonende bleiben, entpuppte sich aber als nächstes Missverständnis. Es folgte die Relegations-Rettung durch Felix Magath und der Versuch, in der Saison 2022/23 mit Sandro Schwarz zumindest auf dem Trainerposten Kontinuität zu schaffen - in Zeiten, in denen die Wirren um den Investor (Windhorst ging, 777 Partners kam) und die sportliche Führung (Bobic wurde entlassen) nicht weniger wurden. Mitte April war klar: Auch dieses Vorhaben ist gescheitert.

Mission III: Aller guten Dinge sind drei?
Die Ausgangslage: 28 Spiele, 22 Punkte, Platz 18

Für Dardai war von Anfang an klar: Damit auch seine dritte Rettungsmission gut ausgehen kann, werde es nicht zuletzt auch auf eine gesunde Portion (Spiel-)Glück ankommen. War die Ausgangslage zu seiner dritten Amtsübernahme verglichen mit den vorherigen Herausforderungen doch denkbar aussichtlos: 18. Platz, 22 Punkte - und gerade einmal sechs verbleibende Saisonspiele, um den Abstieg zu verhindern. Eine Serie von mindestens sieben Partien ohne Niederlage am Stück - so wie in der ersten Amtszeit - wäre für Dardai und Hertha 2023 wenn überhaupt also nur über den Umweg Relegation möglich gewesen.

Doch auch nach den beiden Pleiten gegen Bremen und bei den Bayern gab Dardai nicht auf. Warum auch? "Vier Spiele, vier Siege", so die klare Marschroute für den Saisonendspurt. Sieg eins wurde am vergangenen Wochenende eingefahren. Die Dardai'sche Kompaktheit ist zurück in Berlin - und sogar nach Standards können die Herthaner wieder treffen. Marvin Plattenhardt beackert den linken Flügel. Peter Pekarik ist, wenn schon nicht auf dem Rasen, dann als mentale Stütze in der Kabine, weiterhin an Bord. Und ansonsten bleibt dem Berliner Anhang nichts anderes übrig als darauf zu hoffen, dass Jessic Ngankam abermals entscheidend zum Klassenerhalt beitragen wird.

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