Die Historie des 1812 von den Gebrüder Grimm verfassten Märchens "Dornröschen" ist weitreichend. Allein 15 Spielfilme basieren auf der Erzählung um die schlafende Prinzessin. Hinzu kommen diverse Adaptionen für Oper, Ballett und Musical. Die wohl berühmteste Variation des Stoffes geht auf das Konto der Zeichentrickschmiede Walt Disney, die mit ihrem Entstehungsjahr 1959 bereits einige Jahrzehnte auf dem Buckel hat. Das animierte Märchen, das inszenatorisch eine ungewohnt erwachsene Ausrichtung besitzt, gilt auch als Grundlage für das Regiedebüt des Effekt-Spezialisten Robert Stromberg, der bereits für die künstlerische Gestaltung von Blockbustern wie "G.I. Joe", "2012″, aber auch der Oscar-prämierten Roman-Adaption "Life of Pi - Schiffbruch mit Tiger" sowie der erfolgsverwöhnten Quality-Serie "Boardwalk Empire" zuständig war. Zusammen mit Hollywood-Schönheit Angelina Jolie in der Hauptrolle der bösen Fee Maleficent (in der deutschen Version des Disneyfilms: Malefiz) sowie einigen weiteren Schwergewichten innerhalb der US-amerikanischen Traumfabrik kreiert Stromberg zum 55-jährigen Jubiläum der dunklen Fee Dekonstruktion, Neu-Arrangement sowie modernes Fantasy-Epos zugleich - und versagt dabei auf ganzer Linie.
Das idyllische Leben der wunderschönen und unschuldigen jungen Maleficent (Angelina Jolie) ändert sich eines Tages schlagartig, als die Harmonie im Königreich durch den Einmarsch einer feindlichen Armee bedroht wird. Maleficent versucht ihr Land mit allen Mitteln zu verteidigen, doch ein skrupelloser Verrat beginnt ihr reines Herz in Stein zu verwandeln. Auf Rache sinnend lässt sie sich auf eine gewaltige Schlacht mit dem Nachfolger des Besatzerkönigs ein und verflucht schließlich sein neugeborenes Kind Aurora. Mit dem Heranwachsen des Kindes erkennt Maleficent jedoch, dass Aurora (Elle Fanning) nicht nur der Schlüssel zum Frieden im Königreich ist, sondern vielleicht sogar der Schlüssel zu Maleficents eigenem Glück. Dass Robert Stromberg zweifach Oscar-prämierter Szenenbildner ist, merkt man "Maleficent" bereits in der Auftaktszene an. Vor beeindruckender Kulisse, zum Großteil entstanden in den Londoner Pinewood Studios, bringt der Regie-Neuling seine ganz eigene Vision der Disney-Schurkin auf die Leinwand. Die CGI-lastige Feenlandschaft kommt nicht mit solch einer Intensität daher wie es zuletzt "Die fantastische Welt von Oz" tat, das beachtliche Setdesign gehört allerdings nicht zu den größten Schwachpunkten des Streifens. Erst als die Effekte stärker in den Vordergrund treten, Angelina Jolie als geflügelte Fee durch die Luft schweben darf und auch das Design der wesentlich kleiner geratenen Elfen negativ ins Auge fällt, wird dem Publikum bewusst, wie ungenau und willkürlich Stromberg in der Konstruktion von "Maleficent" vorgegangen ist. So kreiert er düstere Fantasy-Landschaften à la "Snow White and the Huntsman", garniert diese mit Animationsfilm-konformen Effekten und greift vor allem in Dialog-Momenten auf ein Design zurück, dass entfernt an klassische Märchenverfilmungen wie "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" erinnert, das Ganze jedoch aussehen lässt, als seien derartige Passagen vor schlechtem Greenscreen entstanden. Das Gefühl eines einheitlichen, großen Ganzen entsteht nicht und die Darstellung Maleficents von Angelina Jolie wird diese Schwachpunkte nicht aufwiegen können.
Nach dem 2010 veröffentlichten Thriller-Debakel "The Tourist" steht die Dauerverlobte von Brad Pitt in "Maleficent - Die dunkle Fee" zum ersten Mal seit vier Jahren wieder vor der Kamera. Aufgrund ihrer persönlichen Faszination für die titelgebende Hauptfigur sei ihr die Zusage für das 180 Millionen US-Dollar teure Projekt nicht schwer gefallen. Rein optisch macht die durch künstliche Ohren, Nase und Wangenknochen nahezu 1:1 in Maleficent vergewandelte Aktrice ihre Sache nicht schlecht. Auch in den ruhigeren Momenten, in denen Jolie beobachtet oder sich mit ihren Schauspielkollegen in einfachen Gesprächen übt, funktioniert sie in der Hauptrolle. Lässt man sie jedoch größer agieren, gar laut werden oder ausladende Magie anwenden, kippt ihr nuanciertes Spiel in massives Overacting und wird dadurch zum Auslöser mehrerer unfreiwilliger Lacher. Die Krone dessen ist das durch Greenscreen und Computereffekte dargestellte Fliegen, das in der hier dargebrachten Form daherkommt, als stamme es aus einem Film der frühen Neunziger, als die Computertechnik noch nicht allzu weit vorangeschritten war. Für einen Film dieser Dekade ist diese Bilanz niederschmetternd und für den perfektionistischen Designer, der vor allem für visuelle Spielereien ein Auge haben sollte, eine ernüchternde Erkenntnis. So ließen sich die im kommenden detaillierter ausgeführten Plot-Schwächen noch irgendwie mit der mangelnden Erfahrung seitens Stromberg erklären, grobe Patzer in der Optik hingegen schmerzen da umso mehr.
An Jolies Seite spielen unter Anderem Sharlto Copley ("Oldboy") als König Stefan, der nicht nur aufgrund seines gesetzten Erscheinungsbildes fehlbesetzt wirkt, sondern von vornherein viel zu aggressiv agiert, Elle Fanning ("Super 8″) in der Rolle des naiven Dornröschen, die optisch in die Rolle passt, die angehende Prinzessin insgesamt jedoch wesentlich jünger erscheinen lässt als das dem Stoff zugrunde liegende Disney-Märchen, und Sam Riley ("On the Road - Unterwegs"), der als von Maleficent verzauberter Rabe die stärkste Leistung innerhalb des Ensembles abgibt. Auch die Animation besagten Vogels erweist sich selbst bei näherem Hinsehen als sehr gelungen - ist seine Mimik im Detail doch wesentlich stärker ausgeprägt als die einiger menschlicher Kollegen. In den Rollen der Feen Flittle, Knotgrass und Thistlewitt (im Deutschen auch als Flora, Fauna und Sonnenschein bekannt) funktionieren Lesley Manville ("Fleming"), Imelda Staunton ("Harry Potter und die Heiligtümer des Todes, Teil 1″) und Juno Temple ("The Dark Knight Rises") auf eine Art und Weise, die dem Film nicht gut tut. Die drei Fabelwesen und spätere Beschützer von Dornröschen werden in "Maleficent" zu oberflächlichen Comedy-Sidekicks, die weder charakterliche Tiefe besitzen, noch nachvollziehbar und vor allem glaubhaft handeln. Wenn die Damen nicht zu wissen scheinen, dass ein weinendes Baby kaum mit rohem Gemüse zufriedengestellt ist und die drei immer wieder in alberne Kabbeleien ausbrechen, wird dies der eigentlichen Figurenausrichtung nicht gerecht und entpuppt sich als ein weiterer, ärgerlicher Fehltritt.
Als ein einziger solcher lässt sich auch der Kernpunkt von "Maleficent" bezeichnen: Die Story. Nach einem Prolog über die Gesinnung der dunklen Fee und die dramatischen Hintergründe der Verrohung Maleficents, die mit nicht weniger als einem gemeinen Verrat und einem daraus resultierenden, gebrochenen Herzen einhergeht, ändert das Skript von Linda Woolverton ("Alice im Wunderland") und John Lee Hancock ("Snow White and the Huntsman") seinen Erzählton abrupt und ohne eine notwenige, den Plot langsam einleitende Erzählstruktur. Aus der bösen Fee wird ohne Umschweife ein Wesen, das mit sich und der Umwelt hadert und für die einst von ihr verfluchte Prinzessin gar so etwas wie mütterliche Gefühle entwickelt. Dieser eigentlich so interessante Kniff geschieht auf solch brachiale Weise, dass die sich langsam aufbauende Charakterzeichnung Maleficents auf einen Schlag in sich zusammenfällt, der Streifen vollkommen konzeptlos daherkommt und als keiner der angestrebten Genre-Beiträge funktioniert. Die weiterhin sehr düstere Ausrichtung mit eingeworfenen, viel zu lieblich geratenen Fantasy-Elementen und der fehlgeschlagene Dramaentwurf vermengen sich in dem Disney-Märchen zu einer substanzlosen Masse. Selbst erst kürzlich erschienenen Variationen anderer Grimm-Märchen - man denke nur an "Hänsel und Gretel: Hexenjäger" oder "Spieglein, Spieglein" - folgten einem strikten Konzept. "Maleficent" hat dagegen nichts auszusetzen und hangelt sich von Idee zu Idee, ohne dabei einen steten Plan zu verfolgen.
Selbiges gilt für die Figurenzeichnung von König Stefan; Bis zum Schluss bleibt uns der Film die Erklärung schuldig, weshalb sich dieser von jetzt auf gleich zum Tyrann entwickelt. Auch die technische Gestaltung abseits des überbordenden CGI ist maximal für einige, unfreiwillige Lacher gut. Der bemüht epische und den Film mehr als einmal überladende Orchesterscore von James Newton Howard ("The Sixth Sense") untermalt vor allem die um viel Drama bemühten Szenen akribisch, verfehlt dabei jedoch das Ziel um Längen und erscheint dadurch allenfalls aufgesetzt, nie aber dem Thema entsprechend oder gar Gänsehaut fordernd. "2012″-Kameramann Dean Semler ergötzt sich derweil liebend gern an dem makellosen Antlitz Angelina Jolies. Andauernd lässt er das blasse Profil der Schauspielerin aus dem Schatten ins Licht schreiten. Die Umrisse von Maleficent erweisen sich anfangs zwar noch als Augenweide, verlieren aufgrund ihrer permanenten Fokussierung jedoch schnell ihren Reiz. Dabei sieht Jolie ihrem Zeichentrickvorbild tatsächlich erstaunlich ähnlich.
Mit "Maleficent - Die dunkle Fee" hat Disney einen inszenatorischen Super-GAU abgeliefert. Wo zunächst nur die FSK-6-bedingte Kürzung um rund 40 Sekunden das Seherlebnis zu schmälern vermochte, erweist sich schließlich das gesamte Projekt als einzige, große Farce. Angesichts des 2015 in den Kinos erscheinenden Realfilms zu "Cinderella" sei zu hoffen, dass es sich bei "Maleficent" lediglich um einen Ausrutscher handelt - wenn auch um einen sehr ärgerlichen.
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