Antea Obinja

Freie Journalistin, Berlin

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Kein Recht auf Asyl: Polen weist Schutzsuchende an der Grenze zurück

Mehrere Tage haben die Menschen an der Grenze ausgeharrt. Nun sind sie verschwunden. © Quelle: IMAGO/ZUMA Wire

Seit sich die humanitäre Lage an der EU-Außengrenze zu Belarus vor zwei Jahren zugespitzt hat, setzt Polen immer stärker auf Abschottung. Aktivisten werfen der Regierung in Warschau vor, sich zu diesem Zweck über internationales Recht hinwegzusetzen – und Polen steht damit nicht alleine da.

Polnische Grenzschützer sollen Ende Mai, nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten, an der Grenze zu Belarus eine Gruppe von mindestens 25 Menschen illegal zurückgewiesen haben. Obwohl die Menschen aus Syrien, dem Irak und dem Kongo wiederholt um Asyl gebeten haben sollen, ließen die polnischen Behörden sie nicht einreisen.

Die Aktivisten sehen im Vorgehen der polnischen Regierung Verstöße gegen EU-, sowie gegen internationales Recht, nachdem Zurückweisungen an der Grenze illegal sind.

Am 27. Mai hatten die Aktivisten von Grupa Granica, die im Grenzgebiet humanitäre Hilfe leisten und Geflüchtete medizinisch und rechtlich unterstützen, erstmals über die Menschen berichtet. Diese harrten zu diesem Zeitpunkt bereits drei Tage am Grenzzaun aus.

Laut den Aktivisten befanden sich die Menschen zwar auf der belarussischen Seite der Grenzanlage, allerdings bereits auf polnischem Territorium, da der Grenzzaun an der Stelle mehrere Meter im Landesinneren verläuft.

Grenzschutz weißt Vorwürfe zurück

Kurz darauf waren auch Vertreter des polnischen Menschenrechtskommissars zu der Gruppe an die Grenze gereist. Maciej Grzeskowiak hatte anschließend den Reportern der Nachrichtenagentur AFP gesagt, die Entscheidung über eine Einreiseerlaubnis für die Menschen liege beim polnischen Grenzschutz.

Sollten die Menschen aber in dessen Zuständigkeitsbereich sein und ihre Bereitschaft bekunden, um internationalen Schutz zu bitten, dann sollten solche Anträge bewilligt werden, so Grzeskowiak. In einem abschließenden Bericht kamen die Verantwortlichen zu dem Schluss, dass sich die Menschen „höchstwahrscheinlich auf polnischem Staatsgebiet" befanden.

Der polnische Grenzschutz widersprach später dieser Darstellung. Die Menschen hätten sich auf belarussischem Territorium befunden und fielen aus diesem Grund nicht dessen Zuständigkeit, so die Behörde in einer Stellungnahme vom 30. Mai.

Der Grenzschutz hätte die belarussischen Behörden über die Gruppe in Kenntnis gesetzt, und die Menschen mit Wasser und Nahrungsmitteln versorgt, da die Hilfe von Seiten Belarus ausblieb.

Nach mehreren Tagen an der Grenze sind die Menschen nach Angaben von Grupa Granica nun verschwunden. Wo sie sich zum jetzigen Zeitpunkt aufhalten, wissen die Aktivisten nicht. Sie vermuten, dass die Gruppe sich aus Angst vor den belarussischen Sicherheitskräften in den Wald zurückgezogen hat, in dem die Grenzregion liegt.

In der Gruppe hatten sich nach Angaben der Aktivisten elf Kinder befunden, das jüngste im Alter von zwei Jahren. Etliche der Geflüchteten hätten nach Angaben von Grupa Granica medizinische Hilfe gebraucht.

Gefangen im Grenzgebiet

Das Vorgehen der polnischen Behörden ist kein Einzelfall. Seitdem Polen im vergangenen Jahr einen rund 190 Kilometer langen und fünfeinhalb Meter hohen Metallzaun, ausgestattet mit umfassender Überwachungstechnik, an der Grenze zu Belarus fertiggestellt hat, stranden immer wieder Menschen im Grenzgebiet.

Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hatte bereits Ende 2021 in einem Bericht schwere Menschenrechtsverletzungen in Polen und Belarus angeprangert.

Menschen sollen an der Grenze abgewiesen worden sein, aber auch nach Überwinden der Grenzanlage von polnischen Grenzschützern geschlagen und nach Belarus zurückgebracht worden sein, ohne dass ihr Antrag auf Asyl gehört wurde.

Nach internationalem Recht sind Pushbacks, also das Zurückschicken von Menschen über die Landesgrenze, ohne ihnen die Gelegenheit zu geben, einen Asylantrag zu stellen, illegal.

Polen legalisiert Pushbacks

Polen hat allerdings - ungeachtet den Regeln der EU oder der Genfer Flüchtlingskonvention - Pushbacks im Herbst 2021 durch eine Gesetzesänderung legalisiert, demnach dürfen Geflüchtete, die nach einer illegalen Einreise aufgegriffen werden, sofort abgeschoben werden.

Damit ist Polen in der EU längst kein Einzelfall mehr, auch Länder wie Griechenland, Ungarn, Lettland und Litauen haben Gesetze verabschiedet, mit dem Ziel Zurückweisungen an der Grenze zu einfacher zu machen.

Polen und die EU werfen dem belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko vor, seit 2021 gezielt Menschen ins Land zu holen, um sie in Richtung Europa weiterzuschicken und so Druck auf EU auszuüben.

Diese hatte in dem Jahr aufgrund des brutalen Vorgehens gegen die Demokratiebewegung Wirtschaftssanktionen gegen Belarus verhängt.

Bereits 45 Tote im Grenzgebiet

Menschenrechtsorganisationen kritisieren seit langem die Instrumentalisierung von Schutzssuchenden durch Belarus und berichten immer wieder vom brutalen Vorgehen der Sicherheitskräfte, die die Menschen auf tagelange Märsche in Richtung EU zwängen. Menschen die umkehrten, würden zum Teil tagelang ohne Nahrung und Wasser im Wald festgehalten und geschlagen.

Der Wald, der sich zu beiden Seiten der Grenze erstreckt gilt als letzter Urwald Europas. Er ist Lebensraum von Wölfen, Bären und Braunbären, und vielerorts sehr dicht und sumpfig.

Seit Sommer 2021sind nach Angaben von Aktivisten mindestens 45 Menschen in dem schwer zugänglichen Grenzgebiet ums Leben gekommen. Erst Ende Mai wurde im Fluss Swislatsch (pol.: Świsłocz) eine weitere Leiche gefunden.

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