Keine Abos und 0 Abonnenten
Artikel

K.I.Z in der Wuhlheide: Rap für Akademikerkinder

Der Weg durch den Wald mit K.I.Z-Fans zur Wuhlheide im Osten Berlins läutet das Motto des Abends ein: je provokanter, obszöner und lauter, desto besser. Überpünktlich um 19.45 Uhr beginnt die Show zunächst mit dem Frankfurter Rap-Duo Mehnersmoos, die mit ihrem Debütalbum dieses Jahr auf Platz neun der Albumcharts landeten. Die Schöneberger Rap-Crew BHZ heizt die Menge von knapp 17.000 Fans weiter an.

Die Erwartungshaltung ist klar: Provokation pur. Damit enttäuschen K.I.Z keineswegs, als sie eine Stunde später in weißer Pflegerkleidung die Bühne betreten und unter ohrenbetäubendem Applaus und Rufen und ihren ersten Song „V.I.P. in der Psychiatrie" anstimmen. Im Hintergrund erscheint der Schriftzug „Birkenhain Nervenanstalt". Direkt darauf folgt „Rap über Hass" vom gleichnamigen, aktuellen Album. Nach einer kurzen Begrüßung dann der Klassiker „Urlaub fürs Gehirn", die Menge brodelt. Nico, Maxim und Tarek performen gewohnt kraftvoll. Das Publikum stimmt K.I.Z-Sprechchöre an.

Schrille Selbstbeweihräucherung und Applaus

Das Bühnenbild fällt überraschend zurückhaltend aus. Hier beginnt jetzt eine Reise von der Nervenanstalt Birkenhain in den Spätkauf, das Rosi's und einen Record Store, bis zu einem Waffengeschäft. Als der Song „Unterfickt und geistig behindert" ertönt, dreht der Moshpit erst richtig auf. Longus Mongus von BHZ unterstützt die drei Rapper bei dem Song „Gar nicht mal so schlecht". Immer wieder amüsieren K.I.Z das Publikum durch schrille Selbstbeweihräucherung und fordern dafür den Applaus der Fans ein.

K.I.Z machen Musik für Akademiker-Kinder, die aus ihrem schnöden Alltag ausbrechen wollen. Weiße Männer mit Turnbeutel und Pilotensonnenbrille überwiegen hier im Publikum. Einige Fans fallen durch bunte Haare und Ohr-Tunnels auf, wohl ihre Art der Rebellion. K.I.Z scheinen überhaupt den Nerv des deutschen Humors auf den Punkt zu treffen. Und alle, die die Kunst von K.I.Z nicht verstehen, verstehen - das scheint der Grundkonsens hier im Publikum zu sein - keine Ironie. Nach über sechs Jahren Pause von K.I.Z ist die Masse hier wie ausgehungert.

Für den ernsteren, politischen Song „Revolution" bekommen K.I.Z Unterstützung durch Rapper Kuba. Tarek erinnert mit der Zeile „ Das hier ist für Oury Jalloh ", an jenen schwarzen Menschen, der in einer deutschen Polizeizelle verbrannte. Ein weiterer Klassiker „Neuruppin" folgt zusammen mit Rapper Kuba. Die Menge rappt hier textsicher mit. Als „Walpurgisnacht" erklingt, kennen die Fans kein Halten mehr. Mehnersmoos dürfen Nico, Maxim und Tarek für zwei weitere Lieder auf der Bühne unterstützen.

Als K.I.Z dann „Danke Merkel" anstimmen, erscheint ein pinker Reichsadler im Hintergrund. Maxim ruft laut selbstironisch: „Das hier ist Lametta-Rap." Der Abend endet mit einer Hommage an das Berliner Plattenlabel Royal Bunker. Musikalisch schließen K.I.Z die Show mit ihrem Hit „Hurra die Welt geht unter". Dabei unterstützt sie Henning May für die Hook. Die Menge verlangt nach einer Zugabe. Kurz darauf ertönt das „Kannibalenlied". Mit „Ein Affe und ein Pferd" betreten K.I.Z frisch und umgezogen wieder die Bühne. Bei „Kinderkram" leuchtet die Wuhlheide durch die Unterstützung der Fans auf und die drei Berliner Rapper verabschieden sich für diesen Abend nach einer über zweistündigen Show von ihren Fans.

Durchdachte Grenzüberschreitungen

Ihre Provokationen verkaufen die drei Rapper Tarek Ebéné, Nico Seyfried und Maxim Drüner als Gesellschaftskritik, die alles darf. Einige konservative Journalisten halten die Berliner Musiker für gefährlich, andere bezeichnen die Musik der drei Rapper als langweiligen Boomer-Rap. Zwei Abende hintereinander füllen K.I.Z die Wuhlheide. Ob sie nun eine Art Vorfront progressiven Raps darstellen - oder ob sie nicht eher vorhersehbare Grenzüberschreitungen produzieren? Intelligenz und auch eine gewisse Sympathie kann man den drei Künstlern nicht absprechen. Ihre musikalische Karriere wirkt durchdacht. Die preisgekrönten Live- Shows unterstreichen das umso mehr.

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien bezeichnet die Texte des Berliner Trios als sozialkritisch, mit selbstironischen Elementen. Ob ironische Diskriminierung gleichgesetzt werden kann mit Sozialkritik? Das Bier fließt hier jedenfalls in Mengen. Und ein etwas unheimliches Gefühl schleicht sich ein, wenn die Menge wie selbstverständlich die teils diskriminierenden Texte rappt.

Die Frage der Grenzen von Provokation lässt sich an dem Abend nicht endgültig entscheiden. Doch scheint es, als ob die K.I.Z-Anhänger in der Musik eine Zuflucht gefunden haben, in der endlich alles erlaubt ist. Und sie ihrem woken Selbstverständnis nun doch treu bleiben können. Irgendwann funktioniert die Grenzüberschreitung für die Masse womöglich nicht mehr. An diesem Abend scheint sie für das Publikum aber aufgegangen zu sein. Übrig bleibt das Gefühl von Langeweile vor lauter vorhersehbarer Provokation.

Zum Original