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Ampel-Regierung stärkt Frauenrechte: Aber Abtreibung gehört nicht ins Strafrecht

Schwangerschaftsabbruch gehört nicht ins Strafgesetzbuch

Der Paragraf 219a im Strafgesetzbuch soll verschwinden: Die Ampel-Regierung will den Verbotsparagraf um die "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" abschaffen. Doch das "Abtreibungsverbot" überhaupt ist das Problem.

Die Ampel-Regierung will Paragraf 219a abschaffen: Diese Nachricht kam bei vielen gut an, die Freude ist riesig - zurecht: Endlich ein diskriminierender Paragraf weniger in unserer Rechtsordnung. Viel zu lange musste dafür gekämpft werden. Trotzdem sollten wir nicht zu euphorisch werden. Denn mit der Streichung von Paragraf 219a allein ist es nicht getan.

Die SPD wollte schon 2018 das Werbeverbot streichen. In der großen Koalition konnte sie sich nicht gegen die Union durchsetzen. Aus Rücksicht zog die SPD ihren Antrag zurück. Die Ampel hat jetzt die Abschaffung des Werbeverbotes ziemlich schnell auf den Weg gebracht.

Der eigentliche Problemparagraf ist aber Paragraf 218. Denn dort ist das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen generell festgesetzt. Er ist der Ausgangsparagraf. Ohne ihn wäre die Streichung des Werbeverbots hinfällig.

Ärzte stehen unter Strafandrohung

Den wenigsten dürfte bewusst sein, dass Schwangerschaftsabbrüche rechtswidrig sind. Sie sind lediglich straffrei. So wollte es das Bundesverfassungsgericht und macht klar: Laut dem Urteil sind Schwangerschaftsabbrüche Unrecht.

Tatsächlich sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland dennoch gut möglich, auch im Vergleich zu anderen Ländern. Doch wie ist die rechtliche Sicht? Was bedeuten Urteil und Gesetzestext?

Für Schwangere: Pflicht zum Austragen.

Für Ärztinnen und Ärzte: Sie stehen unter Strafandrohung.

Der Schwangerschaftsabbruch steht im gleichen Abschnitt wie Mord und Totschlag.

Das hat Auswirkungen: Immer weniger Praxen bieten Abbrüche an. Im Medizinstudium kommt das Thema zu kurz. Im Vordergrund stehen ethische und rechtliche Fragen. Studierende organisieren sich deshalb oft selbst, üben das Verfahren an Papayas.

Gesetze stützen Argumentation von radikalen Abtreibungsgegnern

Gesetze senden auch Signale. Unsere aktuelle Gesetzeslage stützt die Argumentation von radikalen Abtreibungsgegnern. Daran ändert auch die Streichung von Paragraf 219a nichts.

Das darf nicht sein.

Sowohl in den Kreisen selbsternannter "Lebensschützer", als auch in der Politik stützt man sich immer wieder auf die aktuelle Rechtslage im StGB und die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes. Das ist ja auch klar - Deutschland ist ein Rechtsstaat.

Das Problem: Die Urteile sind von 1975 und 1993, also von vor rund 50 und 30 Jahren.

Eine aktuellere Rechtsprechung gibt es nicht.

Würde das Bundesverfassungsgericht heute noch einmal darüber entscheiden, könnte es wohl kaum so argumentieren wie damals. Zum einen sitzen heute im zweiten Senat ganz andere Richterinnen und Richter (damals überwiegend Richter - natürlich). Zum anderen haben sich moralische Vorstellungen in der Bevölkerung gewandelt. Der Ruf nach Veränderung wird immer lauter. Deutschland hat sich entwickelt. Allein, dass jetzt Paragraf 219a abgeschafft werden soll, zeigt das.

Der UN-Frauenrechtsausschuss hat in einer Stellungnahme bemängelt, dass in Deutschland neben Paragraf 219a auch Paragraf 218 besteht. Rechtlich bindend ist die Stellungnahme für Deutschland nicht. Dennoch: Deutschland hat die UN-Frauenrechtskonvention unterschrieben und hat das zur Kenntnis zu nehmen - und darauf zu reagieren.

Gäbe es eine neue Klage vorm Bundesverfassungsgericht wegen des Paragrafen 218, könnten die Richterinnen und Richter die aktuelle Stellungnahme also nicht ignorieren.

An Paragraf 218 traut man sich nicht heran

Paragraf 218 gilt als hart erkämpfter Kompromiss. Es ist jedoch kein guter. Der Gesetzgeber ignoriert hiermit die offensichtlichen und gravierenden Auswirkungen, die mit der gesetzlichen Kriminalisierung einhergehen.

Logisch. Solange die Politikerinnen und Politiker das Problem ignorieren, müssen sie sich nicht damit beschäftigen, wie eine alternative und bessere Lösung aussehen müsste. Zu schwer war schon der Kampf um die Abschaffung von Paragraf 219a - und, nur mal so - er ist ja noch nicht gewonnen.

Die Wahrheit: An Paragraf 218 trauen sich unsere Entscheider einfach nicht heran.

Versuche in der Vergangenheit, den Schwangeren die Entscheidungsmacht zu geben, hatte das Gericht schließlich kassiert. Schon 1975 sagte es, dass das menschliche Leben vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau steht.

1993 hat das Gericht sogar noch einen draufgelegt und den Embryo zum eigenen Rechtssubjekt erklärt. Das heißt: Seine Rechte werden abgewogen mit denen der Frau. Im Zuge der Wiedervereinigung hatte man versucht, die Regelungen anzugleichen. In der DDR war ein Schwangerschaftsabbruch nämlich bis zur 12. Schwangerschaftswoche erlaubt. Die Bemühung scheiterte. Wieder: Lebensrecht des Embryos geht vor.

Das aktuelle Recht führt zu vielen Widersprüchen, die Urteile können kaum sinnvoll ins Strafgesetzbuch übernommen werden. Die Austragungspflicht führt zu einem Leistungsrecht des Embryos am Körper der schwangeren Person. Denn der Embryo bekommt das Recht, durch die Schwangere ausgetragen zu werden.

Eine vergleichbare Situation, in der eine Person gegenüber einer anderen ein Leistungsrecht hat, haben wir sonst auch nicht. Denn das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper wiegt hoch. Das hat die Debatte über die Organspende 2020 eindrücklich gezeigt.

Beratungslösung ist keine Lösung Seit 1993 wurde die Beratungslösung, wie sie gerne bezeichnet wird, nicht mehr angetastet. Das Gesetz wird dieses Jahr also 29 Jahre alt. Sie beinhaltet den straffreien Schwangerschaftsabbruch nach einer Beratung.

Die Beratungslösung muss neu diskutiert werden!

Denn, mal ehrlich, was heißt hier Lösung?

Es bleibt eine Pflicht. Ohne Beratung, darf die Schwangerschaft nicht abgebrochen werden.

Was viele nicht wissen: Die Beratung dient nicht dazu, zu einer neutralen Entscheidung zu verhelfen. Sie dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie ist zwar ergebnisoffen zu führen. Gleichzeitig soll die schwangere Person aber ermutigt werden, das Kind auszutragen.

Widersprüchlich, oder? Steht so aber im Strafgesetzbuch und im Schwangerschaftskonfliktgesetz.

Wo wir schon dabei sind: KONFLIKTgesetz.

Was sonst.

Die Überlegung hat in unserer Gesellschaft immer ein Konflikt zu sein. Es darf keine leichte Entscheidung sein.

Natürlich ist die Entscheidung für viele Menschen schwierig. Sie kann ein Konflikt sein. Aber genauso gibt es Fälle, bei denen das nicht so ist. Fälle, in denen sich Schwangere einfach sicher sind und ihre Gründe haben. Und die gehen niemanden etwas an.

Die aktuelle Lage zeigt, wie verklemmt wir immer noch mit dem Thema Sexualität umgehen.

Zu einer freien und selbstbestimmten Sexualität gehören Schwangerschaften - auch ungewollte. Deal with it! Kein Verhütungsmittel ist hundertprozentig sicher. Die Verantwortung wird Menschen mit Uterus aufgebürdet. Sie müssen geradestehen, werden stigmatisiert, ihnen werden Pflichten auferlegt. Der Staat kommt mit dem moralischen Zeigefinger.

Rechtswissenschaft muss feministischer werden

Der Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen ist tief geprägt von veralteten Rollenbildern und Vorstellungen von Mutterschaft. Wir müssen aufhören, an Regelungen festzuhalten, die aus der Kaiserzeit stammen und die offensichtlich gravierende Auswirkungen auf die Versorgungslage von Schwangeren haben.

Es wird Zeit, dass wir Schwangerschaftsabbrüche komplett neu denken! Es wird Zeit, dass die Rechtswissenschaft feministischer wird! Freiwillige Schwangerschaftsabbrüche gehören nicht ins Strafrecht!

Das heißt nicht, dass es keine Rahmenregelungen braucht. Aber die können gut außerhalb des Strafrechts, zum Beispiel in medizinrechtlichen Vorschriften, geregelt werden. Und das Lebensrecht des Embryos sollte auch so ausreichend geschützt sein.

Dabei reden wir natürlich nicht von unfreiwilligen Schwangerschaftsabbrüchen, die - selbstverständlich - strafbar bleiben müssen. Es geht hier nur um freiwillige Abbrüche.

Die Ampel-Regierung hat das auf dem Schirm. Es soll geprüft werden, wie Abtreibungen alternativ geregelt werden können.

Und es wird Zeit, dass die Ampel ihre Arbeit aufnimmt. Denn mit der Streichung von Paragraf 219a wird sich die Situation vielleicht verbessern. Das ist gut, aber Paragraf 218 bleibt der Kern des Problems.

Wir sind nicht am Ende dieser Debatte. Wir sind noch ganz am Anfang.
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