Annette van den Bergh

Freie Autorin / Texterin, Berlin

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Rezension

Katharina Peters Roman bei Matthes & Seitz: Erzählung vom Schweigen

Der Debut-Roman von Katharina Peter läuft gewissermaßen "außer Konkurrenz", denn er ist ein Solitär in der Literatur und in seiner Einzigartigkeit schlicht großartig. Großartig wiederum ist er NICHT wegen seiner Einzigartigkeit,  sondern wegen seiner Machart, anders gesagt, das Buch versprach uns im  Vorfeld viel und hält noch viel mehr. (" ... dringt Peters Debütroman tief in die Geschichte ein und legt die Grundlagen unserer Gesellschaft bloß". Matthes & Seitz)

Springen wir zum "wunderbaren Buchanfang" der Erzählung zurück. Dieser beginnt mit einem Zitat aus einem "Familienbuch", das derjenige erben soll, "der nach unserer Ansicht die beste Garantie für eine sorgfältige Weiterführung bietet."

Es ist sofort ein bisschen wie im Staffellauf. Der/die Beste übernimmt. (Her zeigt er sich schon, dieser Zwang, sich in einer Art Wettkampf beweisen zu müssen.) Was Katharina Peter angeht, ganz egal, ob dieses "Familienbuch" existiert oder erfunden wurde, sie traut sich und übernimmt die Erbschaft.
Eins ist sofort klar: Das Erbe wiegt schwer und es hat seinen Preis!

"Über das Wegsperren" lautet Kapitel 9. In und mit diesem Kapitel wurden wir, die Paganini´s-Redaktion, ein wenig ungeduldig. Zuvor sich selbst mit wenigen Skizzen-Strichen als "Opfer" schildernd, zeichnet Katharina Peter hier ein derart in Selbst-Skepsis suhlendes Bild von sich, dass wir symbolisch ungeduldig "auf die Uhr" schauten, wann sie denn nun soweit in der Lage sei, ähnlich Demontierendes den "Anderen", also den weiteren Mitgliedern der Familie, zuzumuten. (Mit dieser Szene entschließt sie sich fast gegen das "Sprechen" und gegen die Autorschaft.)

Und dann, nach diesem Zögern, beginnt die eigentliche "Geschichte vom Schweigen". 

Mit Klaus und Elke, den Eltern: 

"Mütterlicherseits komme ich aus dem Feuer. Einem Zustand chronischer Erregung. (...) Väterlicherseits komme ich aus dem Meer. Einem Gewässer, das Depression heißt."

Das Paar, das rasch getrennte Wege geht, einst für die KPM kämpfte und sich vorgenommen hat, ein zu den eigenen Eltern konträres Leben zu führen, hält sich, durch ein "Anti" einerseits und durch nicht reflektierte Übernahme-Muster andererseits, im Netz der Ahnen. Diese Eltern sind so nur denkbar durch die Großeltern, die "Estors" und die "Schneiders".  

"An den Kindern zeigen sich die Störungen der Eltern." 

Die Schilderung dieser Kriegsgeneration ist fabelhaft gelungen. Die Prägungen durch die Nazi-Ideologie, Kriegserlebnisse und später den halbherzigsten Distanzierungs-Versuchen aus diesen Verstrickungen, weist in tiefe Abgründe, die den dunklen Hintergrund bilden, auf dem eine Kindheit zum schlichten Überlebenskampf wird.  Und auch diese  Großeltern "Estor" und "Schneider" haben eine vererbte, prägende Geschichte, die noch weiter in die Vergangenheit zeigt.
... (and so on) ...
 

"Die Gewalt in unserer Familienkultur zu benennen, sie offenzulegen, ist tröstlich für mich. Weil es ehrlich ist, weil es meiner Wahrnehmung entspricht, statt sie in Zweifel zu ziehen."  

Was aus all diesen Gedanken und Nachforschungen folgt, ist eine Sternstunde deutscher Nachkriegsliteratur. Der Bericht einer (individuellen) Herkunft, schlägt einen weiten Bogen zu den Wurzeln unserer gesellschaftlichen Traumata. Nein, demontiert, verachtet, gehasst, kaputt gelacht, verniedlicht oder dämonisiert wird nichts und niemand. Dafür wird klar gesagt, empathisch nachgespürt und berichtet, was bruchstückhaft zusammengefragt, zusammengeklaubt und zusammengefunden werden konnte.
Alles unter Schmerzen aller Beteiligten.

Und alles in der (hier werden wir gerne enthusiastisch) Schönheit der Wahrheit leuchtend! 

"Unsere Geschichte, ist nicht unsere Geschichte", sage ich zu ihr. "Unser Narzissmus ist bloß ererbt." Iris fragt mich, auf welche Blut-  und Boden-Ideologie ich mich eigentlich beriefe, warum ich mich, durch was, mit diesem rechten Arschloch verbunden fühlte. Sie will von einer Verwandtschaft nichts wissen ..." 

Am Ende alles gut? Nein, weit entfernt.
Aber am Ende ist alles gesagt, was vom Schweigen zu erzählen ist.

 

Katharina Peter, Erzählung vom Schweigen, Matthes &Seitz

Original-Artikel auf Paganinisberlin.net