Osnabrück. Der Syrer Omar Meslem tanzt in der Choreografie „Biografia del Corpo" im Emma-Theater mit. Tanzen gelernt hat er auf der Flucht nach Deutschland.
Als Omar Meslem zum ersten Mal tanzte, fühlte sich die Welt schlagartig anders an. Vorher kreisten seine Gedanken um seine Probleme. Um seine Flucht. Um den Krieg in Syrien. Um seine Familie. Und um das Geld, das ihm gestohlen worden war. „Ich habe viel nachgedacht", sagt Omar. Doch beim Tanzen war alles plötzlich wie weggeblasen. Für eine Stunde und vierzig Minuten. „Ich fühlte mich auf einmal ganz leicht", beschreibt Omar Meslem diesen Moment.
Gefährliche FluchtDas war in Griechenland, wohin der 29-Jährige aus Syrien geflohen war. Er hatte einen gefährlichen Weg hinter sich. Im Evros, dem Grenzfluss zwischen Syrien und der Türkei, den er mit anderen Flüchtlingen in zwei Booten überquerte, wäre er fast ertrunken. Die griechischen Polizisten, die am Ufer standen, interessierte das nicht. Sie schrien ihnen stattdessen zu, sie sollten umkehren. Einer warf gar mit einem Stein nach den 20 Menschen, unter denen auch Kinder waren.
Die Flüchtlinge schafften es dennoch ans rettende Ufer. Doch die Reise war noch lange nicht zu Ende. Omar wollte weiter nach Deutschland, musste in Griechenland aber erst einmal für 45 Tage ins Gefängnis. Als er wieder rauskam, war ihm sein Geld gestohlen worden.
Als Konditor gearbeitetIn Griechenland traf Omar auf eine Choreografin, die ihm anbot, in ihrer Gruppe mitzumachen. Bis dahin hatte er noch nie getanzt. In Syrien hatte er als Konditor gearbeitet. „15 Stunden am Tag", sagt Omar Meslem, der Kuchen für Geburtstage und Hochzeiten machte. Kleine Kunstwerke, aufwendig verziert, wie die Bilder auf seinem Smartphone zeigen. Omar gehörte dort zur kurdischen Minderheit, die es auch vor dem Krieg schon schwer hatte.
Der Krieg in Syrien machte die Arbeit in der Bäckerei aber nahezu unmöglich. Dazu kam die ständige Angst, das er, seine fünf Geschwister oder seine Eltern getötet werden könnten.
Tanz hat Leben verändert„Der Tanz hat mein Leben verändert", sagt Omar Meslem. Er verarbeitet damit seine Traumata. Auch im Erstaufnahmelager in Bramsche , wo er die ersten drei Monate in Deutschland verbringen musste, machte er weiter. Die griechische Choreografin stellte einen Kontakt zwischen ihm und der in Berlin lebenden schottischen Autorin und Regisseurin Rachel Clarke her. Die vermittelte ihn an ein Tanzensemble für junge Migranten in Berlin, bei dem er dank einer Sonderreiseerlaubnis mitmachen konnte.
Clarke suchte im Internet aber auch nach Tanzprojekten in der Nähe von Bramsche. Und stieß auf das Projekt „Biografia del Corpo" des Theaters Osnabrück . Das Stück ist ein Doppelabend von Tanzchef Mauro de Candia und der Choreografin Rafaele Giovanola, in deren Part Omar mitmacht. „Er bringt eine ganz andere Energie in das Stück", schwärmt Giovanola.
Lebensgeschichte als TanzVor einigen Tagen war Omar Meslem außerdem bei einer Charity-Veranstaltung für Flüchtlinge in Berlin, wo er einen Soloauftritt als Tänzer absolvierte. Er hat ein Video davon auf seinem Smarthpone. Tänzerisch führt er zunächst sein Leben als Bäcker vor. Dann bricht der Krieg aus, die Flucht beginnt.
Wie genau es mit ihm in Deutschland weitergeht, weiß Omar Meslem noch nicht. Er lebt inzwischen mit ein paar anderen Flüchtlingen in einer Wohnung in Osnabrück. Solange sein Asylantrag läuft, kann er nicht arbeiten. Aber er hat nach langem Warten endlich einen Schulplatz, um Deutsch zu lernen. Seit letzter Woche geht er morgens zur Schule, um sich die Sprache seiner neuen Heimat anzueignen. „Das ist schön, aber auch sehr schwer", sagt er - auf Deutsch.
Auch ein anderer Syrer, der 23 Jahre alte Ahmad Abdlli, tanzt in Deutschland: in der Dresden-Hellerauer Palucca-Hochschule für Tanz. Er ist vor Krieg und Militärdienst geflohen. Seit 1. Oktober ist er in Deutschland und in Sicherheit. Hier will er bleiben. Ahmad Abdlli ist ein ausgebildeter Tänzer. Jahrelang hat er in den Companys Joullanar Theatrical Dance und Khota Theatrical Dance mitgewirkt. Dann ließ der Bürgerkrieg in Syrien auch das Kulturleben sterben. Freunde von Abdlli sind schon eher geflüchtet. Er selbst ging zuerst für ein paar Monate in den Libanon. Dann führte ihn seine Flucht durch halb Europa: Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Ungarn und Österreich. In Deutschland ist er nun am Ziel.