Anne Jerratsch

Freie Journalistin | Redakteurin, Berlin

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"Mein Freund wurde umgebracht, weil er Türke ist"

Potsdam - Als Reaktion auf das Attentat im hessischen Hanau gedachten die Potsdamer um 18 Uhr am Denkmal für die Opfer des Faschismus mit einer Mahnwache den Opfern und demonstrierten gegen rechten Terror. Dazu aufgerufen hatten antifaschistische Gruppen, diesem schlossen sich in dem sozialen Netzwerk Twitter die Fraktion Die Andere und via Facebook das Bündnis "Potsdam bekennt Farbe" an.

Rund 200 Menschen versammelten sich zunächst auf dem Platz der Einheit.

Vor allem der Auftritt eines Kita-Erziehers sorgte für eine beklemmende Atmosphäre. Dazu kam auch Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD), der unter anderem dafür dankte, dass in Potsdam kurzfristig „klare Kante" gegen Rechtsextremismus gezeigt werde. Schubert sagte, das einem solche Nachrichten noch näher gehen, wenn man selbst betroffen sei: „Manchmal wird etwas, was scheinbar ganz weit weg ist, auf einmal ganz nah." Dann gab Schubert sein Mikro an einen Mann neben sich. Ohne sich länger vorzustellen erklärte der Potsdamer unter Tränen, dass einer der Erschossenen in Hanau ein enger Freund von ihm gewesen sei, er dies am Morgen erfahren habe: „Ich könnte heulen." Später, als er das Mikro weitergegeben und Schubert lange umarmt hatte, rief der Kita-Erzieher klagend: „Mein Freund wurde umgebracht, weil er Türke ist." Kurz danach verließ der Mann das Gedenken.

Zu der Mahnwache aufgerufen hatte zunächst Antifa-Aktivisten, kurz nach 14 Uhr teilte die Fraktion Die Andere in den sozialen Netzwerken die Erklärung: „In Gedenken an die Opfer von Hanau wollen wir gegen Faschismus und rechten Terror unsere Wut auf die Straße tragen." Ab 17 Uhr folgte auch ein Aufruf des parteiübergreifenden Bündnisses „Potsdam! bekennt Farbe" zu der Mahnwache: „Die freiheitlichen, demokratischen und solidarischen Grundwerte unserer Gesellschaft werden zunehmend von extrem rechten Akteuren, Sammlungsbewegungen und Parteien in Frage gestellt und angegriffen. Haltung ist gefragt - wir sind mehr und stehen gemeinsam gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit."

Nach der Mahnwache fand noch bis etwa 20 Uhr eine Demonstration statt, die durch Holländische Viertel, zum Luisenplatz und durch die Brandenburger Straße führte. Dabei wuchs die Zahl der Teilnehmer auf rund 300 an. „Alle zusammen gegen den Faschismus", riefen die Teilnehmer unter anderem. Redner von Potsdamer Initiativen wie dem Verein Opferperspektive mahnten, es dürfe keine Verharmlosung rechtsextremer Mordtaten mehr geben, Neonazi-Netzwerke müssten entwaffnet werden. An den Aktionen beteiligten sich auch mehrere Politiker von SPD, Linken und den Grünen.

In der Nacht zu Donnerstag hat der 43-jährige Tobias Rathjen zehn Menschen und sich selbst erschossen. Tatorte waren eine Shisha-Bar und ein Kiosk. Alle Opfer hatten einen Migrationshintergrund. Derzeit wird ein rechtsterroristisches Motiv vermutet.

Nicht nur in Potsdam soll es heute Abend eine Mahnwache geben, auch in mehreren anderen deutschen Städten wurde dazu aufgerufen.

Auch zahlreiche Potsdamer Politiker äußerten auf Twitter ihr Entsetzen über die rechtsradikale Tat. Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) schrieb: „Es schmerzt! Ich bin in Gedanken bei den Familien und Freunden der neun in Hanau Ermordeten. Wenn es stimmt, dann reiht sich diese abscheuliche Tat ein in die unfassbaren Ereignisse von Halle und den Mord an Walter Lübcke." Rassismus, so Schubert weiter, sei keine Meinung.

Die Brandenburger Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) kritisierte in ihrem Post die AfD. „Die Saat des Hasses geht auf", so Schüle. Wer sich frage, wo das herkomme, der müsse nur die Posts der AfD anschauen. Ihre Gedanken seien bei den Opfern und ihren Familien.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock lobte die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft nach der mutmaßlich rassistisch motivierten Tat.

Die FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg mahnte, dass man als Einzelner jeder Menschenverachtung als Gesellschaft mit den Mitteln des Rechtsstaates entschieden entgegentreten müsse.

Neben der Mahnwache am Donnerstagabend sind auch weitere Gedenken geplant. Die Stiftung Garnisonkirche gedenkt am Samstag um 18 Uhr in der Nagelkreuzkapelle der Opfer.

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