Er gilt als einer der Pioniere der Moderne und des Kapitalismus: Henry Ford. Er hat die Fließbandarbeit eingeführt und das Auto für die Massen erfunden. Alles, was er anfasste, schien vom Erfolg gekrönt. Nur mit einem ist er grandios gescheitert: Dem Projekt Fordlândia. Mitten im brasilianischen Urwald wollte Ford Ende der zwanziger Jahre Kautschuk im großen Stil anbauen. Dazu ließ er eine komplette Siedlung nach amerikanischem Vorbild errichten. Was ist von der Utopie übrig geblieben? Anne Herrberg ist für uns aufgebrochen und hat sich im Amazonas-Regenwald auf Spurensuche begeben.
Begrüßung
Frage 1: Anne, du hast dich auf Expedition nach Fordlândia gemacht...wie kommt man denn da überhaupt hin?
Ja, das ist auch heute noch ein ganz schönes Abenteuer. Los ging es für mich in Santarém – das ist eine Hafenstadt etwa auf halber Strecke zwischen Amazonasmündung und Manaus.
1. Atmo Hafen (ich bin zu hören bei 0’26)
Der Hafen ist im Grunde ein sandiges Ufer mit ein paar Holzmolen und dutzender dieser blau-weiß angestrichenen Barkassen. Mein Schiff hieß „Leao“, Löwe, war auf dem Unterdeck vollbeladen mit Gemüsekisten, eingeschweißten Baumaterialien und Motorrädern und oben bereits dicht vernetzt mit Hängematten und den dazugehörigen Passagieren.
2. Atmo Schiffsglocke und Motor
So, und dann tuckert man 14 Stunden den Amazonas-Nebenfluss Tapajós hinauf, in der Hängematte, was bedeutet, dass ich die ganze Zeit im Takt der Wellen mit Hüfte oder Becken in meinen Nachbarn reingerammt bin – vice versa, außerdem gab es Dauerbeschallung mit sogenanntem Tecno-Brega
3. Atmo Musik
...aber die Landschaft hat für alles andere entlohnt: Am Ufer zieht der dichte Urwald vorbei, ab und an vereinzelte Pfahlbauten und eine Zeit lang ist eine ganze Familie rosa Flussdelfine neben uns hergeschwommen.
Frage 2: Nochmal kurz zum Verständnis...wie kam denn Henry Ford damals in den zwanziger Jahren überhaupt auf die Idee, aus dem modernen Michigan hier in den Dschungel zu ziehen?
Ja, das klingt ziemlich verwegen, war es auch. Um das Projekt Fordlândia zu verstehen, muss man sich mal kurz in die Zeit des frühen amerikanischen Kapitalismus versetzen: Ford war ein Selfmade-Man, alles, was er angefasst hat, hat funktioniert. Alles, was er für seine Automobile gebraucht hat, das konnte er selbst herstellen. Nur eins nicht: Gummi. Da war er abhängig von den schwankenden Weltmarktpreisen – was ihm natürlich gegen den Strich ging. Deswegen hat er hier am Tapajós, wo das beste Naturkautschuk ursprünglich herkommt, ein Stück Land gekauft, etwa so groß wie Schleswig-Holstein, um da riesige Plantagen anzulegen – für Gummi. Sein Traum ging aber noch viel weiter: Er wollte den Dschungel zivilisieren, sozusagen die industrielle Revolution in die Wildnis bringen. Dabei ist er recht schnell auf ein paar Widrigkeiten gestoßen – José Octavio Junges, ein Hobbyhistoriker, den ich auf dem Schiff getroffen habe, hat das so zusammengefasst:
4. O-Ton José Octavio Junges (bras)
“Fords Unterfangen lag ja diese typische amerikanische Vision zugrunde: Dass der moderne Mensch dazu fähig ist, die Natur zu dominieren und zu kultivieren. Das ging hier in der Amazonasregion von Anfang an schief. Auch weil Ford nicht viel von Experten hielt, weder regionale Botaniker noch Tropenmediziner oder gar Einheimische um Rat gefragt hat. Den Wald versuchten die Männer ausgerechnet in der Regenzeit zu roden, das ging nur mit Unmen gen Kerosin, das Feuer, erzählt man sich, habe man wochenlang und kilometerweit gesehen.”
Ja, und dann sind die ersten Pioniere natürlich auch massenweise von Schlangen, Malaria uns sonstigen Tropenkrankheiten hinweggerafft worden. Aber langsam ging’s voran – Arbeiter aus dem ganzen Norden Brasilien sind angeworben worden, zeitweilig haben 5000 Menschen dort gelebt.
Frage 3: Und heute? Was ist davon übriggeblieben?
5. Atmo Boot
Wir sind im Morgengrauen angekommen und das war beeindruckend: Mitten aus dem Urwald ragt da immer noch der alte Wasserturm empor, silbrig glänzend, 45 Meter hoch, nur das Ford-Logo von einst ist abgewaschen. Auch die Fabrik- und Lagerhallen und das Sägewerk von damals stehen noch, imposante Konstruktionen aus Stahlträgern und mit riesigen Glasfronten so im Detroit-Stil.
6. Atmo Schritte durch Halle
Ich bin da überall durchlaufen, über rostige Treppen, an schweren Eisenpressen, Hebelmaschinen und Kautschuköfen vorbei, Sicherungskästen stehen herum und morsche Aktenschränke mit Schubladen voller rostiger Schrauben, zwischen denen Käfer nisten.
Rechts vom Hafen stehen noch die Baracken der Arbeitersiedlung Prainha – und da habe ich auf einer Veranda den 80-jährigen Don Antonio Soares getroffen, sein Vater war zu Fords Zeiten „Soldado da Borracha“ – Kautschukpflanzer – Wie die Arbeitsbedingungen damals waren, habe ich ihn gefragt
8. O-Ton Antonio Soares (bras)
„Hier gab es alles zu den amerikanischen Zeiten, alles war sehr modern und ordentlich. Es wurde sehr früh mit der Arbeit angefangen, wer nicht pünktlich kam, wurde bestraft, da waren die Amerikaner sehr genau. Sie haben auch ihr Essen mitgebracht, in Dosen, aber das mochten die Einheimischen nicht“
Soares war damals ein Kind – er hat nicht miterlebt, wie das Dosenessen der Amerikaner zu einem großen Arbeiteraufstand geführt hat, der nur mithilfe des brasilianischen Militärs niedergeschlagen werden konnte.
Fords Vision war ja, eine perfekte Arbeiterstadt einzurichten – Schnapshöllen und Bordelle wurden geschlossen, der Alltag streng kontrolliert – auf der anderen Seite lebten die Kautschukpflanzer am Amazonas auch vorher nicht rosig, das war und ist teils noch heute eine Feudalwirtschaft, wo jeder gucken muss, wo er bleibt. Bei Ford gab es zwar Kontrolle, aber auch medizinische Versorgung.
Frage 4: Aber gibt es da nicht mehr Kritik von den Zeitzeugen heute?
Die meisten sind eben schon gestorben. Fords Management hat Fordlândia bereits 1945 den Rücken gekehrt, nachdem rund 20 Millionen US-Dollar Investitionen zu keinem einzigen Gramm Gummi geführt haben. Warum, hat mir Guillherme Lisboa erklärt, er unterhält eine kleine Pension vor Ort – die Pousada Americana – vor allem für Journalisten, die wie ich auf Spurensuche hier herkommen:
9. O-Ton Guillherme Lisboa (bras)
Ford hat die Kautschukbäume nach der Logik seiner Fabriken gepflanzt. In Monokultur und in engen, geraden Reihen. Das fanden vor allem die Parasiten gut, wie Blattfäule und Tausendfüßler, die so ganz bequem von Baum zu Baum wandern konnten, so wurde nichts aus Fords Traum, hier Gummi für seine Reifen produzieren.
1945 hat der brasilianische Staat Fordlândia für insgesamt 500.000 Dollar zurückgekauft, es gab dort dann ein bisschen Holz- und Landwirtschaft, die meisten Bewohner haben seitdem aber als Staatsbedienstete gearbeitet – wie auch der Vater von Valdiro Castro. Valdiro habe ich beim Krankenhaus von Fordlândia getroffen, oder dem, was davon übrig ist: Ein Ruine, völlig überwuchert von Lianen und Schlingpflanzen
10 Atmo Krankenhaus und 11. Oton, Valdiro
„Ich hatte das Glück, hier geboren zu werden, es war das modernste Krankenhaus vielleicht von ganz Brasilien, mit Chirurgie und revolutionärer Technik, Ärzte aus Sao Paulo kamen hier her, weil es ein Krankenhaus mit dem Standard der ersten Welt war, und heute ist alles kaputt, es ist sehr schwer für mich, das so zu sehen“
Das Krankenhaus war noch bis 2002 in Betrieb, Valdiro ist allerdings schon in den 80er Jahren wegen eines Jobs nach Santarém gezogen.
Frage 5: Und wer lebt denn heute noch in Fordlândia, außer Guillherme und Antonio?
Etwa 2000 Menschen: Es gibt eine Schule, Bars und Kaufläden
– und Leute wie Daniel Dias Pereira. Er hat eines der Häuser im ehemaligen
amerikanischen Dorf besetzt, weil es leer stand. Die Siedlung besteht aus fünf
Luxusvillen, in denen einst die Manager von Fordlândia lebten – und die heute
verfallen sind, bis auf das eine von Dias Pereira, seiner Frau und seinen drei
Kindern:
(...)