Selfie, Emoji oder Duckface - im Netz entstehen täglich neue Wörter. Viele davon stehen irgendwann im Duden, aber nicht nur dort - sie sind auch fester Bestandteil der Gehörlosensprache.
Laut dem Deutschen Gehörlosen-Bund leben in Deutschland circa 80.000 Gehörlose.Ihre Sprache ist eine ganz eigene und auch nicht international, das heißt genauso wie es für Hörende verschiedene Sprachen gibt, wie z.B. Deutsch und Französisch, gibt es auch eine deutsche oder französische Gebärdensprache. Genauso ist es mit Dialekten. In Bayern gebärdet man zum Beispiel die Wochentage anders als in Berlin.
Und wie ist das mit Netzbegriffen? Im Internet entstehen ständig neue Wörter, die es zum Teil sogar in den Duden schaffen. Wie wandern sie aber in die deutsche Gehörlosensprache?
Benjamin Busch ist 31 Jahre alt und taub. Er hat uns erklärt, wie Netzphänomene in die Gebärdensprache aufgenommen werden und ein paar typische Netzbegriffe in deutscher Gehörlosensprache vor der Kamera gezeigt.
PULS: Wer bestimmt eigentlich, welche Wörter fester Bestandteil der Gebärdensprache werden?
Benjamin Busch: Die Gebärdensprachgemeinschaft "bestimmt" diese Wörter selber. Ob auf Pausenhöfen, unter den gehörlosen Studenten, in Gehörlosenzentren oder sonst wo in Gehörlosenveranstaltungen. Außerdem entwickelt sich die Gebärdensprache auch frei, das heißt sie basiert nicht eins zu eins auf der deutschen Sprache.
Gibt es Foren, in denen neue Wörter diskutiert werden?
Foren gibt es eigentlich keine, aber ab und zu wird in sozialen Netzwerken diskutiert, zum Beispiel über die Gebärdennamen für Sportler oder Politiker oder eben Wörter aus dem Netz. Am Ende steht aber nicht wie beim Duden eine konkrete Entscheidung, wie das Wort auszusehen hat. Manchmal etablieren sich dann auch verschiedene Zeichen für ein Wort, beispielsweise für Facebook.
Viele neue Netzbegriffe sind englisch – wie muss ich mir eine Übersetzung in die Gehörlosensprache vorstellen?
Mit der Übersetzung in Deutsche Gebärdensprache ist es ähnlich wie mit demÜbersetzen aus Fremdsprachen. Photobombing wird nicht mit den Wörtern "Foto" und "Bombe" übersetzt. Würde man das eins zu eins übersetzen, käme nur eine schreckliche, lautsprachenbegleitende Gebärde heraus, das hat mit Gebärdensprache im eigentlichen Sinne nichts zu tun. Es handelt sich eher um eine Mischung aus Gebärdensprache, sichtbarer Mundart und eventuell auch Pantomime. Gebärdensprache ist eigentlich all das und mit viel Mimik dazu.
Wie schnell wandert so ein neues Wort in den festen Gebärden-Wortschatz?
Was Trends angeht, ist die Gebärdensprache ziemlich schnell. Manchmal haben wir schon “Gebärdenzeichen" für Aktionen, bevor Wörter wie Photoboming sich durchgesetzt haben.
Wie ist es mit Abkürzungen, die in vielen Chats verwendet werden – also z.B. LOL?
Genauso wie Hörende im Gespräch nicht unbedingt "LOL" sagen, verwenden es auch Gehörlose nicht. LOL wird eigentlich nicht mit dem Fingeralphabet übersetzt. Man benutzt es nur in (Internet-) Kommentaren. In der Gebärdensprache gebärdet man dann eher ironisch oder wenn es wirklich lustig ist, lacht man eben.
Und wie ist es mit anderen neuen Wörtern, z.B. sowas wie Jugendsprache? Gibt es bei gehörlosen Jugendlichen parallel zu den hörenden Jugendlichen Jugendwörter à la "Gönn dir", "läuft bei dir" oder "nice"?
Da ist es anders. Die Jugendsprache in der Gehörlosensprache entwickelt sich unabhängig von der Jugendsprache der Hörenden. Sie entsteht bundesweit auf Pausenhöfen der Gehörlosenschulen. Das bedeutet, es gibt eine regionale Jugendsprache und Schüler in Bayern gebärden anders als Schüler in NRW. Mit Freunden aus meiner Schulzeit gebärde ich immer noch in der damaligen Jugendsprache. Und weil die Gehörlosenwelt oft so stark vernetzt ist wie in einem Dorf, kenne ich auch die aktuelle Jugendsprache.