30 Millionen Sklaven gibt es weltweit. Diese Zahl einer neuen Studie übertrifft alle bisherigen Statistiken. Was genau sagt sie aus und wieso ist sie so hoch?
Berichte über Sklaverei gibt es viele: Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) gibt regelmäßig einen heraus, die EU und auch die USA veröffentlichen jährlich Zahlen. Aber keine dieser Studien hat es bisher so prominent in die Nachrichten geschafft wie der am Donnerstag vorgestellte Globale Sklaverei Index der australischen Nichtregierungsorganisation Walk Free Foundation (WFF): Knapp 30 Millionen moderne Sklaven gibt es demnach weltweit. Sie schuften in Kohleminen, auf Baustellen oder Äckern, pflegen Alte und Kranke, putzen Häuser oder bieten sich auf dem Straßenstrich an - gefangen gehalten und entmachtet, ausgebeutet für den Profit, den Sex oder einfach für den Nervenkitzel.
30 Millionen - diese Zahl erregt deshalb so viel Aufsehen, weil sie höher ist als alle anderen bisher veröffentlichten. Die ILO kam zuletzt auf 21 Millionen moderne Sklaven. Dass die WFF so viel mehr verzeichnet, liegt unter anderem daran, dass die Autoren der Studie moderne Sklaverei breiter definieren als beispielsweise die ILO. Demnach gehören auch Schuldknechtschaft, Zwangsheirat, Menschenhandel und Ausbeutung von Kindern dazu.
Der Index zeigt, dass in Mauretanien, Haiti, Pakistan und Indien proportional zum Rest der Bevölkerung die meisten Sklaven leben. In Indien kommen knapp 14 Millionen Sklaven auf 1,2 Milliarden Einwohner. Schlusslicht des Indexes bilden Neuseeland, Großbritannien, Irland und Island. Deutschland belegt mit etwa 10.000 Sklaven Rang 136.
Menschenhandel wird kaum bestraftVor allem in Teilen Westafrikas und Südasiens werden Menschen noch immer in Erbknechtschaft hineingeboren, zeigt die Studie. Andere werden entführt und verkauft oder mit falschen Versprechungen auf einen neuen Job oder eine bessere Ausbildung in eine Falle gelockt. "Die Ketten von moderner Sklaverei sind nicht immer physischer Art - manchmal sind es hohe Schulden, Einschüchterung, Betrug, Isolation, Angst oder eine erzwungene Heirat, die dazu dienen, Menschen gegen ihren Willen festzuhalten", schreiben die Autoren. Dafür brauche es keine Ketten oder Schlösser.
Sklaverei ist zwar mittlerweile in fast allen Ländern der Welt verboten, allerdings werden die Gesetze kaum durchgesetzt. So berichtet der Menschenhandelsreport der USA, dass im Jahr 2012 46.570 Opfer von Menschenhandel weltweit registriert wurden. Nur in 7.705 Fällen kam es zu einer Anklage und in lediglich 4.750 Fällen zu einer Verurteilung. Die meisten dieser Fälle versickern durch Korruption, Armut, Diskriminierung und Wirtschaftskrisen.
Der Globale Sklaverei Index ist die erste große Veröffentlichung der WFF - aufsehenerregende Ergebnisse und wohlwollende Berichterstattung dürften der Nichtregierungsorganisation guttun. Gegründet wurde sie Ende 2012 von dem australischen Bergbaumogul Andrew Forrest, laut dem Magazin Forbes einer der reichsten Männer der Welt. Die Autoren der WFF-Studie sind Kevin Bales, Professor an der London School of Economics, und Fiona David von der Australian National University. Beide beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit moderner Sklaverei und Menschenhandel. Die Wissenschaftler haben Daten aus 162 Ländern ausgewertet: Studien von Regierungen, NGOs und internationalen Organisationen sowie Presseartikel. "Moderne Sklaverei ist ein verstecktes Verbrechen und existiert in vielen Formen", schreiben sie. Es sei schwer, das tatsächliche Ausmaß von Sklaverei zu messen, deshalb basiert der Index auf Schätzungen, was die Autoren selbst kritisch sehen.
Auch das Europäische Parlament beschäftigt sich in diesen Tagen mit moderner Sklaverei. Das CRIM-Komitee, ein Sonderausschuss für organisiertes Verbrechen, veröffentlichte am vergangenen Wochenende einen Bericht, wonach in Europa 880.000 Sklaven leben. Etwa zwei Drittel sind Frauen, die meisten werden sexuell ausgebeutet. Viele von ihnen sind illegal in der EU, Flüchtlinge und Migranten, die Angst haben, von den Behörden entdeckt und zurück in ihre Heimat geschickt zu werden. Diese Angst zwingt sie, stillzuhalten. Insgesamt, schätzen die Autoren des CRIM-Berichts, werden mit Menschenhandel jährlich 25 Milliarden Euro umgesetzt.
Um moderne Sklaverei bekämpfen zu können, fordern die Parlamentarier
eine bessere Zusammenarbeit der Polizeibehörden und eine Stärkung von
Europol, damit die Routen der Menschenhändler schneller entdeckt werden
können. Außerdem sollte es eine europäische
Staatsanwaltschaft geben und gemeinsame Regeln für Strafverfahren,
Daten- und Zeugenschutz.
Deutschland setzt EU-Richtlinie nicht um
Das sind große Forderungen dafür, dass Deutschland bis heute noch nicht einmal die geltende Richtlinie der EU zur Bekämpfung von Menschenhandel umgesetzt hat. Dafür hat die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström Deutschland im April dieses Jahres gerügt.
Im Juli verabschiedete die schwarz-gelbe Bundesregierung ein entsprechendes Gesetz, das vorsah, die Strafen für Menschenhändler auszuweiten und das Gewerberecht zu ändern, damit Bordellbetreiber künftig sofort geprüft werden, wenn sie ein Gewerbe anmelden. Zwei Tage vor der Bundestagswahl kippte der rot-grün dominierte Bundesrat das Gesetz, weil es den Mitgliedern nicht weit genug ging. Der Bundesrat verwies das Gesetz zur grundlegenden Überarbeitung in den Vermittlungsausschuss, der aber in der zu Ende gehenden Legislaturperiode nicht mehr zusammentrat. Damit war das Vorhaben gescheitert.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIM) und der Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess (KOK) fordern die Bundesregierung auf, zügig einen neuen Gesetzentwurf zum Menschenhandel vorzulegen. Momentan werden Betroffene in Deutschland primär als Zeugen in Strafverfahren und nicht als Opfer betrachtet. Während der Verfahren dürfen sie sich weder weiterbilden, noch arbeiten und müssen anschließend Deutschland verlassen. Ein neues Gesetz sollte daher Betroffenen einen Aufenthaltstitel garantieren, unabhängig davon, ob sie im Strafverfahren aussagen. Außerdem fordern DIM und KOK einen Anspruch auf Entschädigung, Unterbringung und finanzielle Unterstützung.
Der Bericht des CRIM-Komitees fordert die Mitgliedstaaten
"nachdrücklich" auf, die Richtlinie zu Menschenhandel in der EU endlich
umzusetzen. Am kommenden Mittwoch stimmt das
Europaparlament über den Bericht ab. Ob das die Bundesregierung dazu
bringt, in absehbarer Zeit ein neues Gesetz vorzulegen, ist ungewiss.
Immerhin könnte die SPD, die bald vielleicht an einer Großen Koalition
beteiligt sein wird, damit zeigen, wie sie sich ein gutes Gesetz gegen
den Menschenhandel vorstellt.
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