Anne Fischer

Freie Journalistin und Texterin, Dresden

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Im Reich der Schokotrüffel

Store Design: Das traditionsreiche Nobelkaufhaus Harrods in London zählt zu den berühmtesten Warenhäusern der Welt. Eines der Highlights ist die Lebensmittelabteilung im Jugendstil, in der die Kunden auf eine Art Sightseeing-Tour durch die Geschmäcker der Welt gehen können. Rund 421 Millionen Euro und vier Jahre investierte Harrods in den Umbau der vier Food Halls. Zuletzt eröffnete im Mai 2021 die neu gestaltete Chocolate Hall. STEIN gibt Einblick in den luxuriösen Schokoladenhimmel: Die Architekten des Londoner Studios David Collins setzten durchgängig auf Laaser Marmor für Theken und Mobiliar und ließen die historischen Wandfließen in Handarbeit restaurieren.

Vornehme 410 Euro kostet eine 50-Gramm-Tafel To'ak in der Chocolate Hall bei Harrods: Dieser hochpreisige Genuss, der nur aus Rohrzucker und drei Jahre gereiften, ecuadorianischen Nacional-Kakaobohnen hergestellt wird, gilt unter den Willy Wonkas dieser Welt nicht nur als beste Schokolade, die es zu kaufen gibt. Er setzt auch den Rahmen für die rund 500 Quadratmeter große Chocolate Hall – denn die versteht sich nicht nur als edle Verkaufstheke, sondern zelebriert das Erlebnis rund um die Kakaobohne. Harrods setzt dabei in drei zentrale Food-Trends: Herkunft, Spezialität und die Bequemlichkeit der Kunden. Die Motivation für den Umbau beschreibt das Unternehmen selbst so: "Vor dreizehn Jahren kam der leitende Konditor Markus Bohr zu Harrods. Damals war das Schokoladensortiment gut und breit gefächert – aber nicht besonders raffiniert. Laut den Archiven verkaufte Harrods 1870 erstmals Schokoladen-Tafeln und begann 1897 mit der eigenen Herstellung." Bohrs Aufgabe: Er sollte "den Status als weltweit führender Schokoladenhersteller und -lieferant" ausbauen – und neben Touristen vor allem wieder genussfreudige Londoner anlocken.

Und so engagierte er für die neu eröffnete Chocolate Hall, eine glamouröse Art-Deco-Halle mit Stuck-Decken, Marmorböden, markanten Säulen und historischen Relief-Wandfliesen, unter anderem 22 Chocolatiers und Konditoren. Sie präsentieren in der "Chocolaterie" bei Live-Demonstrationen ihre Handwerkskunst, fertigen Pralinen, Trüffel und frische Bonbons, kandieren Früchte und Nüsse. Volle Transparenz und zelebrierte Herkunftsgeschichte also – dazu passt auch der architektonische Ansatz, auf europäische Luxus-Materialien und Dienstleister mit langer Historie zu setzen.

Die Theke der Chocolaterie bekam zum Beispiel eine 4 Zentimeter starke, polierte Abdeckung aus Marmor. Genauer: Lasa Venato Vena D'Oro, der aus dem Weißwasserbruch im Laaser Tal gewonnen und für dieses Projekt zu geraden sowie gebogenen Abdeckplatten in 2 und 4 Zentimetern Stärke verarbeitet wurde. Er hat einen warmweißen Grundton und Venierungen von Gelb, Gold bis Braun.
Dank Imprägnierung mit lebensmittelechten Produkten ist die Verwendung des Vena D'Oro im Gastronomieumfeld – in diesem Fall ist eher Fett als Säure die Herausforderung – unproblematisch.

Das Material verkleidet in Form von 1,2-Zentimeter-Platten auch die Sockel der neuen, klimatisierten Glasvitrinen, in denen Trüffel, Konfekt und Co sicher lagern. Die Vitrinen wurden von David Collins Studio entworfen und von der deutschen Ladenbau-Firma Dula gebaut. Sie haben Einfassungen aus gebürstetem, satiniertem Messing in Champagner. Besonderer Hingucker ist das Marmor-Korbgeflecht an der Vorderseite der Theken, gefertigt von einem
deutschen Steinmetzbetrieb, der mit Lasa Marmo kooperierte. Die zentrale Harrods-Theke fällt besonders auf, in ihr Marmor-Korbgeflecht ist ein markantes "H" eingearbeitet.


Florale Fliesen-Repliken und ein neuer Lichtschacht aus Alabaster

Die Designer des David Collins Studio hatten die Vorgabe, die Bedeutung des denkmalgeschützten Gebäudes und seine edwardianischen Wurzeln zu wahren und gleichzeitig moderne Technologien einzusetzen. Aufgrund des Denkmalschutzes war dabei auch die English Heritage mit im Boot, die bestimmte, welche Details es zu erhalten galt und wie beispielsweise die Fliesen restauriert wurden. Die verantwortlichen Designer setzten, um das Produktangebot und die historische Art-Deco-Keramik optimal zur Geltung zu bringen, auf eine neutrale Farbpalette. Die geschwungene Treppe – die älteste in Harrods – und die dekorativen Leisten blieben erhalten und werden nun besonders hervorgehoben, zum Beispiel durch maßgeschneiderte Verkaufstheken, die eher zeitlos und schlicht ausfallen und so die Aufmerksamkeit nicht ablenken. Insgesamt gelang es den Designern, die Halle aufzuhellen, ohne das historische Flair zu schmälern.

Sie verfügte einst über einen offenen Lichtschacht, der einen Blick in den ersten Stock ermöglichte. In den 1920er Jahren wurde dieser Schacht zugeschüttet, weil die ursprüngliche Floral Hall fortan als Bäckereihalle genutzt wurde. Im Rahmen des Umbaus hat das David Collins Studio diesen ursprünglichen Lichtschacht durch den Einbau eines zentralen, hinterleuchteten Deckenfeldes aus schwarzem Alabaster wiederhergestellt.


Ein wichtiger Teil des Projektes war die Sanierung der farbenfrohen Jugendstil-Wandfliesen und der teilweise Ersatz durch handgefertigte Repliken. Die Keramik zeugt von der Umnutzung – denn die heutige Chocolate war einst die Floral Hall, in der Harrods Obst, Gemüse und Blumen verkaufte. Die Motive der Stuckdecke und die floralen, glasierten Kacheln erzählen diese Geschichte. Sie wurden 1902 von den Malkin Tile Works in Staffordshire gefertigt. Im Rahmen des Umbaus ließen die Architekten beschädigte Fliesen von Hand restaurieren. Bei früheren Umbau-Arbeiten entfernte Fliesen sowie solche, die nicht dem historischen Fliesenwerk entsprachen, wurden durch Repliken ersetzt. Das David Collins Studio arbeitete dafür bei allen vier Lebensmittelhallen mit dem britischen Fliesenrestaurator Craven Dunnill Jackfield zusammen. Das 1872 gegründete Unternehmen ist für seine Restaurierungsprojekte bekannt, bei dem Abdrücke von Originalfliesen genommen, oder wenn nötig Fliesenprofile neu modelliert werden, um originalgetreue Repliken anzufertigen. Dafür kommen Originalmaschinen, Glasurrezepte, Handdekorationstechniken und ein Farbanpassungsservice zum Einsatz. In der Chocolate Hall handelt es sich um strukturierte Relief-Wandfliesen, nötige Repliken wurden mit handgeschnitzten Gipsformen hergestellt und einer speziellen Glasur gebrannt, damit sie sich optisch perfekt in das historische Bild einfügen. Und so ist die neu eröffnete
Chocolate Hall das perfekte Paradies für Naschkatzen, denn, wie die britische Komikerin Jo Brand treffend formuliert: Anything is good if it's made of chocolate.


Das Kaufhaus

Charles Henry Harrod gründete das Warenhaus Harrods im Jahr 1834 als Lebensmittel- und Tee-Großhandel – damals unter dem lateinischen Leitspruch "Omnia Omnibus Ubique" (übersetzt in etwa: "Alle Dinge überall und für alle Menschen"). Das ursprüngliche Gebäude im Westen der Londoner Innenstadt brannte 1883 fast vollständig ab und wurde von 1894 bis 1903 neu errichtet. Laut der Organisation English Heritage liegt der Denkmalwert des Gebäudes darin begründet, dass es sich um "ein herausragendes Beispiel für ein Kaufhaus [handelt], das die kommerzielle Zuversicht der edwardianischen Ära und die erfolgreiche Anpassung des Kaufhausmodells aus Europa und Amerika an den britischen Markt veranschaulicht". Es gilt als eines der Wahrzeichen Londons. Im Inneren lässt sich die edwardianische Handwerkskunst an Treppen, Geländern, Wandverkleidungen, Stuck- und Metallarbeiten und Mosaiken erkennen.

Mit fast 100.000 Quadratmetern Verkaufsfläche zählt Harrods zu den größten Edel-Kaufhäusern der Welt. Bekannt ist es neben exklusiven Marken und Feinkost auch für die bei Nacht von 12.000 Glühlampen beleuchtete Aussenfassade, um deren Wartung sich hauseigene Elektriker täglich kümmern. Seit 2010 gehört Harrods zum Investor Qatar Holding.

Artikel erschienen in: STEIN 10/21 (S. 6 - 14)

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