Anne Fischer

Freie Journalistin und Texterin, Dresden

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STEIN 05/2019: Ein Platz für alle

Architekt Stanislao Fierro gestaltet 2018 den Magnago-Platz in Bozen um. Die Provinz wünscht sich mehr Repräsentativität. Dafür muss unter anderem der 16 Tonnen schwere Laurin-Brunnen als Ganzes versetzt und der Boden im Eilmodus gegossen werden.


Zehn Südtiroler Architekturstudios lädt die Provinz Bozen 2016 zu einem Wettbewerb ein: Sie wünscht sich Entwürfe für einen repräsentativeren Magnago-Platz. Der wird seinem Namenspaten, dem verstorbenen Landeshauptmann Silvius Magnago, und den historisch bedeutenden Gebäuden ringsherum nicht gerecht. Magnago trug als Jurist und Politiker maßgeblich dazu bei, dass Südtirol 1992 Autonomie erlangte.

Außerdem zieht die unter dem Platz liegende Tiefgarage Nässe und braucht dringend eine neue Abdichtung. Im städtebaulichen Gefüge bildet der Magnago-Platz eine Art geschlossenen Raum: Von drei Seiten wird er von den Landhäusern  und dem Landtagsgebäude eingerahmt, an der vierten Seite grenzt der Stadtpark an.

Die Provinz als Bauherr, so Architekt Stanislao Fierro, habe sich einen "relativ leeren" Platz gewünscht, "wegen der ausdrucksstarken Architektur der Gebäude um den Platz herum". Weitere Vorgaben lauten: Der Platz soll für Veranstaltungen nutzbar sein, das Gestaltungskonzept einen Bezug zur Region bilden.

Fierros Idee basiert auf der Überzeugung, dass der Platz enormes Potential besitzt und dafür eine Art ruhiges Gesamtkonzept braucht. Als Herz des politischen Geschehens Bozens hält Fierro ihn bis auf drei Steinskulpturen und Bänke frei. So ist er flexibel nutzbar für Veranstaltungen und Ausstellungen und schafft einen repräsentativen Rahmen für die öffentlichen Gebäude ringsherum. Bänke und Poller plant Fierro so, dass sie den Zugang zum Platz verdeutlichen.


Materialseitig sieht Fierro für den Umbau, der von April bis Oktober 2018 stattfindet, lokalen Naturstein vor, um einen engen Bezug zur Region herzustellen: Die sechs skulpturalen Sitzbänke aus Seiser Basalt Lounge an der Park-Seite des Platzes symbolisieren die Entstehung der Dolomiten. Dazu gruppiert der Architekt drei monumentale Totems: einen aus Terlaner Porphyr, einen aus Göflaner Marmor, einen aus Serpentinit – sie stammen aus den drei geologischen Zonen Südtirols: Ostalpin, Südalpin und Penninikum. Auf ihnen gibt es Informationen zum Namensgeber Silvius Magnago und der Autonomie Südtirols. Sie stehen mit ihren verschiedenen Materialien auch für die Sprachgruppen Südtirols. Und natürlich: Dafür, dass die öffentliche Hand sehr wohl lokalen Naturstein aus der Region verwenden und damit Wertschöpfungsketten vor Ort und die Identifikation der Bevölkerung stärken kann – wenn die Beteiligten es wollen. In Südtirol ist der dafür nötige Wille, gespeist aus Heimatliebe, glücklicherweise groß.

Die verschiedenen Bodenbeläge sollen einem einheitlichen Material weichen. Dafür sieht Fierro einen homogenen Guss vor: Er besteht aus einer bituminösen Mischung mit Zuschlägen aus lokalem Porphyr und Granit. Damit entstehen gleich zwei außergewöhnliche Aufgaben für die Umsetzer: Zum einen braucht die Baufirma Rottensteiner, die den Boden gießt, dringend Petrus' Wohlwollen. Denn beim Gießen darf es nicht regnen, weil das Material zuerst offenporig aufgebracht und dann mit einem  Hochleistungsfließmörtel in zweifarbigen parallelen Bändern versiegelt wird. Eindringendes Wasser würde großen Schaden anrichten. Die Firma gibt also alles, arbeitet in der Augusthitze hart – und ist erfolgreich. Nach dem Gießen wird die Oberfläche noch geschliffen, was die steinernen Zuschläge zur Geltung bringt, und bekommt einen Witterungsschutz.

Die zweite Mammutaufgabe fällt dem Team von südtirol.stein zu: Um den neuen Belag gießen zu können, muss zuvor der Laurin-Brunnen weichen. Bisher thront er im Zentrum des Platzes. Ohnehin ist es für die vorgesehene Nutzung als Versammlungsort sinnvoll, ihn dort zu entfernen, überlegt Fierro. Er könnte zum Beispiel im angrenzenden Park einen neuen Standort finden – doch das wollen die Bürger nicht.

Fierro plant als neuen Standort also den Rand des Magnago-Platzes. Auf dem Papier ist das einfach, in der bürokratischen Realität weniger: Eigentlich ist geplant, den Brunnen zwischen Ab- und Aufbau zu restaurieren – er hätte in diesem Fall in mehrere Teile zerlegt, in Einzelteilen wegtransportiert, restauriert und wieder zusammengesetzt werden können. Doch in der Budgetplanung für die Platzumgestaltung ist die Brunnen-Sanierung nicht enthalten, die Abstimmung eines Sonderbudgets wird nicht rechtzeitig fertig. Gleichzeitig drängt die Zeit, weil der Magnago-Platz im Oktober zu einer Jubiläumsfeier definitiv genutzt werden soll. Also muss der Laurin-Brunnen in einem Stück versetzt werden. "Aus technischer Sicht war das alles andere als einfach – mit diesem Gewicht, mit historischem Hintergrund und in dieser Größe", erzählt Hans Karl Trojer, Geschäftsführer von südtirol.stein.

Denn der restaurierungsbedürftige Brunnen weist mehrere Risse auf. Gleichzeitig lassen sich 16 Tonnen Denkmal, fünf Meter hoch und 3,5 Meter im Durchmesser, schlecht mit Samthandschuhen anfassen. Trojers mutiger Plan für die tonnenschwere Versetzarbeit sieht so aus: Die Firma zurrt den Brunnen zur Stabilisierung zunächst mit Ketten und Gurten zusammen. Dann schneidet das Team ihn mit einer mobilen Seilsäge vom bisherigen Fundament. Anschließend werden im Sockelbereich Eisen H-Träger mit einem Querschnitt von 300 Millimeter eingeschoben, damit der Brunnen überhaupt angehoben werden kann. Das erledigt ein eigens ausgeliehener Autokran, ausgelegt auf 30 Tonnen. Der Brunnen wird auf einen Sattelzug verladen und im angrenzenden Park zwischengelagert. Auf einem provisorischen Sockel, geschützt durch einen Zaun. 


Am neuen Standort montieren Trojer und sein Team den Laurin-Brunnen sechs Monate später auf einen Betonsockel. Wieder am Stück, versteht sich – den Anblick des über dem Platz schwebenden Brunnens wird keiner der Beteiligten so schnell vergessen. Und auch nicht das Glück und die Erleichterung darüber, dass er die Versetzarbeiten unbeschadet übersteht.

Das Team von südtirol.stein fertigt auch die Totems aus Marmor, Porphyr und Serpentinit. Zuerst erstellt die Firma dafür Modelle mit einem 3D-Drucker für die Abstimmung mit dem Bauherren. Dann gilt es, Rohblöcke in den entsprechenden Maßen zu finden. Für das Totem aus Terlaner Porphyr baut die Firma eigens einen 22 Tonnen schweren Block in ihrem Steinbruch ab. Das Totem aus Serpentinit produzieren sie aus einem geborgenen Findling. "Die Region Südtirol ist ein Paradies für Steinsucher. Hier kommen Findlingsteine von zwei zu 420 Quadratmetern vor, je nach Gesteinsart. Meist kommen sie bei Aushubtätigkeiten für Bauvorhaben zum Vorschein, oder durch Felsstürze, zum Beispiel beim Traminer Dolomit", so Trojer. Die Firma sucht, wie im Fall des Totems, mitunter auch gezielt Findlinge in Flussläufen.

Die Totems für den Magnago-Platz sind stattliche 3,8 Meter hoch und messen an der breitesten Stelle 1,60 Meter. Südtirol.stein produziert sie mit einer 10 Achs-Konturenseilsäge in zwei Teilen, beide Elemente müssen danach exakt aufeinander passen. Die Oberflächen sind geschliffen und leicht gebürstet, die Inschriften sandgestrahlt. Ein komplettes Totem wiegt schlussendlich rund neun Tonnen. "Solche massiven Steinskulpturen sind immer eine Herausforderung und bringen bei der Produktion, beim Transport und der Montage einen gewissen Nervenkitzel mit sich", so Trojer. Bei der Montage auf dem Magnago-Platz befestigen die Steinmetze die Totems mit vier Edelstahlankern im Fundament und mit zwei Ankern untereinander.

Auf 115 Manntage und circa 500 Maschinenstunden kommt das Projekt bei südtirol.stein insgesamt. Für die Firma ist es ein besonderes Projekt: "Zum einen natürlich wegen der schieren Dimensionen. Außerdem, weil der Magnago-Platz ein prestigeträchtiger Ort ist und man beim Versetzen in der Öffentlichkeit arbeitet. Vor allem aber, weil es uns so gefreut hat, dass für ein Projekt der öffentlichen Hand lokales Material verwendet wurde. Der Platz sensibilisiert dadurch auch – und zwar nicht nur für Nachhaltigkeit, sondern eben auch dafür, dass wir in unserer Region wunderschöne Materialien haben", sagt Trojer.

Auch dafür sind öffentliche Plätze schließlich da: Sie zeigen die gesellschaftliche Dynamik, geben der Stadt Gesicht, den Bürgern Identifikation. Und in diesem Fall: dem weitgereisten Laurin-Brunnen eine nun sicher endgültige Heimat.

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