Anne Baum

Freie Journalistin, Hamburg

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Reise mit dem Floß: "Nur eine Nacht verbrachten wir an Land"

Wir wollten einmal im Leben auf ein Floß steigen und die Tage mit nichts anderem verbringen, als hinzutreiben und zu angeln. Ich weiß nicht mehr genau, wann wir diese Idee das erste Mal hatten. Wahrscheinlich irgendwann zwischen unserer Schulzeit und der Lehre. Die Route existierte jedenfalls schon von Beginn an in unseren Köpfen: Es sollte in Niederbayern losgehen, dann weiter die hinab bis ans Schwarze Meer. Das Schwarze Meer galt damals als das Eldorado für Angler, es sollte dort nur so von Hechten, Stören und dicken Welsen wimmeln. Mein Schulfreund Hans und ich, wir liebten das Angeln. Stunden verbrachten wir an heimischen Seen, genossen die Ruhe in der Natur und die Spannung, wenn wir die Leinen hochzogen und den Fang betrachteten. Mittlerweile bin ich 65 Jahre alt und mein Schulfreund tot, er starb letztes Jahr. Vergangenen Sommer bin ich aufgebrochen, ohne ihn.

All die Jahre war immer was dazwischengekommen. Erst die Liebe. Ich traf meine Frau und wir heirateten. Dann die Kinder. Hans erging es ähnlich. Als die Kinder größer waren, war es das Geld. Und die Zeit. Ich arbeitete damals als Lkw-Fahrer, so langer Urlaub schien unmöglich. Als die Rente näher rückte, rief mich Hans eines Tages an. Wir plauderten, schwelgten in Erinnerungen und beschlossen, unseren Traum endlich zu verwirklichen. Wir schauten nach Routen und Anbietern von Flößen. Dann bekam er die Diagnose: Krebs. Er starb einige Monate später. Auf seiner Beerdigung war in meinem Kopf alles leer. Ich wollte trotzdem los, auch für ihn.

Also suchte ich im Internet nach Anleitungen für Pontons - das ist die Grundplattform für das Floß. Wobei es sich streng genommen nicht um ein Floß handelt: Weil es motorisiert wird, ist es offiziell ein Motorboot, mit einem Floß ohne Antrieb dürfte man auf der Donau an den meisten Stellen nicht schippern. Ich stieß auf den lettischen Anbieter namens Ufloats. Der Preis: rund 5000 Euro. Der Geschäftsführer konnte kein Deutsch und ich kein Lettisch. Fast zwei Wochen lang schrieben wir uns hin und her. Ich verstand nicht, warum der Lette so viel Zeit damit verbrachte, mir zu schreiben. Immerhin war er Geschäftsmann und ich angesichts des Preises in Zweifel. Dann fragte er mich nach den benötigten Maßen und schrieb, er wolle mir das Floß-Grundgerüst schenken. Weil ich mir nicht sicher war, ob ich es richtig übersetzte, kopierte ich den Satz in den Google Translator, mehrmals fragte ich nach. Doch ich hatte nichts falsch verstanden. Er wollte mir das Floß schenken. Einfach so. Unglaublich.

So kam es, dass ich plötzlich ein Floß aus Lettland besaß. Die nächsten Wochen verbrachte ich damit, an dem Floß rumzuwerkeln. Ich baute eine Koje zum Schlafen, besorgte einen Kühlschrank, baute Führerhaus und den Motorantrieb. Parallel zu den Arbeiten suchte ich einen Komplizen. Allein aufzubrechen wäre zu verrückt gewesen. All meine Freunde waren entweder wenig begeistert oder konnten nicht, weil sie noch arbeiteten. Dann meldete sich die Lokalzeitung bei mir, die hatte von meinem Vorhaben gehört und schrieb, dass ich noch einen Mitfahrer suchte. Am nächsten Morgen klingelte mein Telefon ununterbrochen. Eine Frau wollte am liebsten sofort aufbrechen, andere nur von ihren eigenen Abenteuern erzählen. Dann meldete sich Hans Peter. Es passte sofort. Er war Rentner und er liebte das Angeln.

Wir brachen an einem Junimorgen auf. Ich drehte den "Bayerischen Defiliermarsch" laut auf, immerhin starteten wir in Bayern und da passt eine zünftige Verabschiedung. Am Ufer winkten meine Enkel, meine Tochter und mein Sohn. Dann verschwanden sie hinter der nächsten Flussbiegung. Vor uns lagen das Donautal und 2500 Kilometer auf dem Wasser.

An Land gingen wir nur zum Duschen

Je weiter wir die Donau hinabsegelten, desto schöner wurde es. Das Wasser funkelte klarer, der Fluss wurde breiter und Kormorane wandelten am Ufer. Manchmal angelten wir in der Dämmerung, manchmal in der Nacht. Wir verspeisten fast alle der Fische, die wir fingen. Unser Zuhause bestand nun aus rund 21 Quadratmetern. Doch auf die Pelle rückten wir uns nie. Es gab genug zu tun: kochen, angeln, schrubben, einen guten Ankerplatz finden.

Meist gingen wir nur an Land, um zu duschen und die Toiletten aufzusuchen. Oft schwammen wir in der Donau und schaufelten für unsere Notdurft Gruben am Ufer. Nur eine Nacht verbrachten wir an Land, weil ein Ungar uns einlud. Die anderen Nächte ankerten wir in Sportboothäfen, an Stadträndern, meistens in der Natur.

Eines Abends fuhren wir auf eine Sandbank. Hans Peter und ich fluchten. Wir sahen uns schon mühsam unser Floß von Sand und Wasser befreien. Doch ungarische Fischer zogen uns aus dem Sand. Ein anderes Mal befestigten wir das Floß mit einem Seil an einem kleinen Kutter. Er zog uns 70 Kilometer weit - so sparten wir Benzin, Zeit und saßen abends beisammen auf dem Deck mit einem kühlen Bier.

Nach rund fünf Wochen lag es schließlich vor uns, das Schwarze Meer. Wir mussten nur noch einen Frachthafen durchqueren. Über Funk erreichten wir den Hafenmeister nicht. Also schoben wir uns vorbei an Containerschiffen durch den Hafen hinaus in Richtung offenes Meer. Es schaukelte ordentlich. Plötzlich schrillten Sirenen und die rumänische Hafenpolizei tauchte auf. Sie meckerte uns erst ordentlich an und führte uns dann zurück in den Hafen.

Meine Ankunft am Ziel hatte ich mir anders vorgestellt. Aber so ist das Leben: Es kommt nicht immer, wie man es plant. Es fühlte sich trotzdem wunderbar an, die Reise wirklich geschafft zu haben. Ich war so euphorisch, als hätte ich gerade die Weltmeisterschaft gewonnen. Mein Schulfreund Hans war in dem Moment natürlich in meinen Gedanken - und nah an meinem Herzen. Die ganze Reise über trug ich ein Foto von ihm in meiner Jackentasche.

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