Anne Baum

Freie Journalistin, Hamburg

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Tierliebe: Tierleben retten auf eBay

Eigentlich hatte ich mir eine Handtasche von Prada gönnen wollen: eine Sonderedition aus Kalbsleder. Weil ich als Flugbegleiterin nicht so üppig verdiene, beschloss ich, auf Kleinanzeigen nach gebrauchten Taschen zu suchen. Ich tippte "Prada Kalb" ein und scrollte durch die Handtaschen mit Echtheitszertifikat.

Olivia von Heybowitz,

28, ist Flugbegleiterin und lebt wie ihre Kühe in Rosenheim.

Plötzlich blickte mich zwischen den Taschen das Bild eines Kalbes an. Es hatte riesige braune Augen mit langen Wimpern. Verkaufspreis: 300 Euro. Ich klickte auf die Anzeige. Das Kalb sollte geschlachtet werden, wenn es keinen neuen Besitzer fand. Ich wusste sofort: Das muss ich retten. Dabei jette ich jede Woche durch Europa, und es ist deutlich einfacher, eine Prada-Handtasche als ein Kalb mit an Bord zu nehmen. Als Stadtkind hatte ich mit Kühen auch nie viel zu tun. Tierlieb war ich allerdings immer schon.

Am nächsten Tag hob ich 300 Euro ab und fuhr zum Bauern. Er zeigte mir drei Kälber, eines kam sofort angetrabt, drückte den Kopf ans Metallgitter und wollte gestreichelt werden. Ich gab dem Bauern die 300 Euro - aber ich konnte doch auch die anderen zwei unmöglich dem Tod ausliefern. Mit dem Bauern handelte ich aus, sie gegen Miete noch eine Weile stehen zu lassen, bis ich Spenden gesammelt hatte, um sie freizukaufen. Mittlerweile leben die drei auf einem Hof fünf Minuten entfernt von meiner Wohnung in Rosenheim auf einer Wiese mit Obstbäumen. Es gibt auf dem Hof noch mehr gerettete Tiere: Hühner, Katzen, Ziegen. Wenn ich mal wieder Mittelstrecke fliege, kümmern sich die Hofbesitzer um meine Rinder.

Das Kalb aus der Anzeige habe ich nach meinem verstorbenen Opa Helmut benannt - der hatte dieselben braunen, treuen Augen. Die anderen zwei heißen Fridolin und Idefix. Helmut ist sanftmütig, Fridolin eher ein Macho, Idefix der Mutigste, er geht immer als Erster in den Hänger. Kühe sind besondere Tiere: Sie könnten mich einfach an der Stallwand erdrücken, aber sie würden das nie tun. Meine Kühe sind irre feinfühlig. Geht es mir schlecht, schlecken sie mich am ganzen Körper ab.

Wahrscheinlich hätte die Prada-Tasche mehr gekostet als meine drei Kälber zusammen. Doch eine Handtasche verspeist nicht alle paar Tage einen Heuballen für 70 Euro. Um meine Herde zu finanzieren, sammele ich auf Instagram Geld. Fridolin hilft dabei: Sobald er eine Kamera sieht, geht er in Pose. Danach schläft er weiter.

Meine Prada-Handtaschen habe ich inzwischen alle verkauft. Mittlerweile verabscheue ich Kalbsleder. Leider kann ich nicht alle Kälber retten. Aber immerhin sieben Tiere umfasst meine kleine Herde mittlerweile.

Aufgezeichnet von Anne Baum

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