Der Lockdown wird bis Februar verlängert, mehr Menschen sollen ins Homeoffice, wer Bus und Bahn fährt, eine medizinische Maske tragen. Wieder ringt die Politik um neue und alte Corona-Maßnahmen. Was reduziert die Ansteckungsrate messbar? "Wenn alle weniger Kontakte haben", sagt Dirk Brockmann. Wie mobil die Deutschen bisher trotz der Beschränkungen sind, erkennt der Physiker an anonymen Bewegungsdaten. Er modelliert die Pandemie für das Robert Koch-Institut (RKI).
ZEIT ONLINE: Nach den Verhandlungen der Bundeskanzlerin mit den Ministerinnen und Ministern steht fest: Arbeitgeberinnen, für die Homeoffice betrieblich machbar ist, sind dazu verpflichtet, dies zu ermöglichen. Außerdem gelten noch strengere Kontaktbeschränkungen im Privaten. Herr Brockmann, könnte das, was mancher schon "Mega-Lockdown" nennt, den Durchbruch bringen, um die Neuinfektionen endlich auszubremsen?
Dirk Brockmann: Fest steht, dass alle etwas tun müssen, um die Zahl der Neuinfektionen zu senken und dauerhaft niedrig zu halten. Wenn ich zu Fuß oder mit dem Auto unterwegs bin, bedeutet das zwar nicht, dass ich zwangsläufig Risikobegegnungen für eine Ansteckung habe. Aber meist sind eben doch Menschen involviert, denen man unterwegs und am Ziel begegnet: im Büro, im Supermarkt oder beim Besuch von Verwandten. Mobilität hat fast immer etwas mit Kontakten zu tun. Wenn sie reduziert wird, reduzieren sich die Kontakte - und damit die Gelegenheiten, bei denen Menschen das Coronavirus verbreiten.
ZEIT ONLINE: Sie werten nicht nur die Corona-Statistiken mit den Infektionszahlen, Todeszahlen und der Ansteckungsrate aus - sondern schauen sich auch Daten an, die verraten, wie mobil die Menschen während der Pandemie sind. Können Sie daran erkennen, was die Mobilität bisher messbar eingeschränkt hat und was weniger?
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Brockmann: Ja, allerdings kann man das nur indirekt sehen. Wenn man vergleicht, wie sich die Mobilität in den verschiedenen Phasen der Lockdowns geändert hat, wird deutlich: In der ersten Welle des Ausbruchs im Frühling 2020 haben die Menschen die Regeln quasi vorweggenommen. Noch bevor Maßnahmen beschlossen wurden und die Bundeskanzlerin ihre erste größere Rede zur Pandemie gehalten hat, hat die Bevölkerung reagiert. Damals war klar: Eine Pandemie breitet sich aus - also eine Seuche, die den ganzen Globus erfassen wird. Die Fußballeuropameisterschaft wurde verschoben. Die Menschen haben Angst bekommen. Zwar sind noch nicht alle mit Masken herumgelaufen, aber die Straßen waren leer und die Mobilität verringerte sich um 40 Prozent, in den Städten sogar um 70 Prozent im Vergleich zu den vorherigen Jahren zur selben Jahreszeit.
ZEIT ONLINE: Und wie mobil ist Deutschland derzeit noch?
Brockmann: Am 16. Dezember hat im Vergleich zum Frühling ein recht harter begonnen. Trotzdem haben die Menschen sich viel weniger eingeschränkt als damals. Die Mobilität ist zwar derzeit geringer als in den Wintern vor dem Corona-Ausbruch - und sie ist infolge des Winter-Lockdowns gesunken. Aber nicht so rasch und stark wie zu Beginn Anfang 2020. Die Menschen haben auf diesen Lockdown also nicht so stark reagiert.
ZEIT ONLINE: Anfang letzten Jahres konzentrierten sich die Eindämmungsversuche noch stark auf Hotspots - also Orte, an denen sich das Virus nach Superspreading-Events besonders ausgebreitet hatte. Rückreisende aus Skigebieten spielten eine Rolle, der Karneval, einzelne große Feste oder Fleischfabriken, in denen viele in der Belegschaft infiziert waren. Inzwischen ist das Virus aber doch überall?
Brockmann: In der Tat spielte das Reisen - global gesehen und auch innerhalb Deutschlands - damals eine besondere Rolle. Denn die Mobilität führte dazu, dass das damals noch neue Coronavirus, das zunächst nur für lokal begrenzte Ausbrüche sorgte - neue Orte erreichen konnte, an denen es zuvor nicht war. Gerade jetzt in dieser Phase der Pandemie ist das wieder entscheidend: Neue Virenvarianten, die durch Mutationen entstanden und teilweise ansteckender sind als bisherige Coronaviren, haben Deutschland erreicht, sich aber noch nicht überall verteilt. Eine davon, B.1.1.7., ist in Großbritannien schon relativ verbreitet. Durch die Mobilität zwischen Großbritannien, Deutschland und anderen Staaten wird diese mutierte Variante nun also wieder in verschiedene Regionen Deutschlands eingetragen, was die Lage verschärfen wird. Mobilität ist also auch entscheidend dafür, ob und wie stark sich neue, gefährlichere Varianten hierzulande durchsetzen.