Anna Delvey kam immer zu spät. Sie trug die Haare offen und zerzaust und durchzogen von Strähnchen, für die sie 800 Dollar bezahlt hatte. Oft sah man sie in Kapuzenpulli und Jogginghose von Alexander Wang. Ihr Luxus hatte keinen Stil, sondern die geschmacklose Nachlässigkeit der Superreichen. Wenn sie Trinkgeld gab, zückte sie einen Hundert-Dollar-Schein. Sie warf mit Geld um sich; vielleicht glaubten deshalb alle, dass sie wirklich welches hatte.
Wen kümmerte es, dass es mal hieß, ihr Vater sei ein russischer Ölmagnat, mal, er handele mit Solaranlagen. Ihr Akzent klang europäisch. Man erzählte sich, sie komme aus Köln. Als sie ihr Zimmer im 11 Howard bezog, einem der angesagtesten Hotels in Manhattan, stellte niemand Fragen. Und selbstverständlich konnte sie ihre Minibar anschreiben lassen.
Anna Delveys Geschichte war zu gut, um nicht an sie zu glaubenNiemand wusste, was sie eigentlich machte außer Austern essen, Martini trinken und shoppen. Manchmal sprach sie von dem leerstehenden Haus in SoHo, das sie kaufen wollte, einen erlesenen Club sollte es darin geben, Ausstellungen von Damien Hirst, eine deutsche Bäckerei, der Künstler Christo, erzählte sie, werde das Haus zur Eröffnung verhüllen. Sie sei dabei eine Stiftung zu gründen, die Anna Delvey Foundation. Auf der Hülle ihres Smartphones prangten in pinkfarbenen Lettern ihre Initialen: AD.
Anna Delveys Geschichte war zu gut, um nicht an sie zu glauben. Sie war eine Person, in deren Nähe sich Menschen gerne wussten. Wer ihre Aufmerksamkeit bekam, fühlte sich geschmeichelt, wem sie ihr Geld gab, der nahm es gerne an. Nebenbei spann sie auf Instagram ein Netz aus Ikonen des Reichtums: hier eine Jacht, da ein edler Rassehund, ein Roter Teppich, ein Hummer in Montauk. Ihre Geschichte war wirklich gut.
Als Anna Delvey endlich vor Gericht stand, als die Welt erfahren hatte, dass sie in Wahrheit Anna Sorokin heißt, Tochter eines Lkw-Fahrers, geboren in Russland, aufgewachsen in Eschweiler, zitierte ihr Anwalt in seinem Schlussplädoyer Frank Sinatras „New York, New York": „If I can make it there, I'll make it anywhere." Und fügte hinzu: „Steckt nicht ein kleines bisschen Anna in jedem von uns?"
Zu ihren Opfern zählten unter anderem Banken und ein Privatjet-VerleiherAnna Sorokins Geschichte ist die einer klassischen Hochstapelei, Genre: die reiche Erbin. 275.000 Dollar soll sie dank ihrer falschen Identität hinterzogen haben. Zu ihren Opfern zählten Banken, ein Hedgefonds, ein Privatjet-Verleiher und eine Redakteurin der Vanity Fair.
Sie ist eine von mehreren Frauen, die gerade mit ihren Schwindeleien für Aufmerksamkeit sorgen. Am Dienstag erst wurde die Rapperin Loredana in der Schweiz festgenommen, sie soll ein Ehepaar um mehr als eine halbe Million Euro betrogen haben. Und seit Donnerstag läuft der Film „Glam Girls" in den Kinos, das Remake einer Hochstaplerkomödie aus den 80er-Jahren, in den Hauptrollen Anne Hathaway and Rebel Wilson als zwei ungleiche Trickbetrügerinnen.
Frauen, so sieht es aus, erobern ein Metier, das in der Vergangenheit nahezu ausschließlich Männern vorbehalten war, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, in der Literatur und Populärkultur.
Hochstapler, das waren bisher clevere Schurken, die es mit Chuzpe und Größenwahn binnen kurzer Zeit zu unglaublichem Reichtum bringen. Man bewundert sie für ihre Dreistigkeit, ihre Schlauheit, ihren Wagemut, weil ihr Betrug meist darin besteht, sich mit der eigenen einfachen Herkunft nicht zufriedenzugeben. Stattdessen unterwandern sie elitäre Gesellschaftsschichten, denen man es gönnt, wenn ihnen ein Schnippchen geschlagen wird.
So funktionieren die großen Hochstaplergeschichten von Felix Krull bis zum Großen Gatsby, so schaffte es Ferdinand Demara, der vielleicht größte Hochstapler aller Zeiten, als „The Great Imposter" auf die Leinwand.
Eine eigene Netflix-SerieHochstaplerinnen sind anders. Ihnen gehören die Rollen der Venusfallen und Heiratsschwindlerinnen. Sie nutzen ihre Reize, spielen die hilflose schöne Frau - ganz großartig, wie Anne Hathaway in „Glam Girls" auf Knopfdruck falsche Tränen weint - und wickeln so die Männer, ihre Opfer, um den Finger.
Es ist, als traue man Frauen den ganz großen Coup nicht zu. Und gelingt er ihnen doch wie Cassie Chadwick, die sich im New York des Fin de Siècle als Tochter des Stahlmagnaten Andrew Carnegie ausgab und der es so gelang, eine Summe zu ergaunern, die heute zwanzig Millionen Dollar entsprechen würde, interessierte sich Hollywood bisher kaum dafür.
Tatsächlich ist der Schaden, den Anna Sorokin angerichtet hat, vergleichsweise gering. Frank Abagnale zum Beispiel fälschte einst Schecks im Wert von 2,5 Millionen Dollar. Er arbeitete als falscher Pilot, als falscher Arzt, als falscher Anwalt - und das alles vor seinem 21. Geburtstag. Der Banker Jordan Belfort betrog Anleger um insgesamt 200 Millionen Dollar. Und Bernie Madoff ergaunerte als Chairman der Nasdaq-Börse knapp 65 Milliarden Dollar mit dem größten Schneeballsystem der Geschichte.
Abagnale bekam seinen Platz in der Populärkultur mit dem Film „Catch Me If You Can", Belfort ist in „The Wolf of Wall Street" zu sehen, Madoff in „The Wizard of Lies" - und Anna Sorokin bekommt bald eine eigene Netflix-Serie, wenn auch ohne Leonardo DiCaprio und Robert De Niro. Es heißt, sie wünsche sich Jennifer Lawrence für die Hauptrolle.
Der nächste Steve JobsJennifer Lawrence allerdings ist schon für die Rolle einer anderen Hochstaplerin im Gespräch: Elizabeth Holmes. Auch sie steht bald vor Gericht; für das, was sie getan hat, drohen ihr bis zu zwanzig Jahre Gefängnis, 500.000 Dollar hat sie bereits in einem Vergleich an die amerikanische Börsenaufsicht SEC gezahlt, es könnten noch einmal zwei Millionen Dollar Geldstrafe hinzukommen, eine eher lächerliche Summe, bedenkt man, dass Holmes 2016 als jüngste Selfmade-Milliardärin in die Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt geschafft hat - als Chefin von Theranos, eines Unternehmens, dessen Produkt ein einziger Fake war.
Ein Jahr zuvor saß Holmes auf einer Bühne mit Bill Clinton und Jack Ma, dem Gründer von Alibaba, der größten Online-Bezahlplattform der Welt. Clinton, der die beiden eingeladen hatte, fragte: „Wie alt waren Sie, als Sie Theranos gegründet haben?" Holmes, die langen blonden Haare offen, die Lippen rot, dazu den schwarzen Rollkragenpullover, den sie immer trug wie Steve Jobs, lachte verlegen, ehe sie antwortete: „Ich war 19."
Wie Steve Jobs galt sie als exzentrische VisionärinWie Steve Jobs, der 21 war, als er Apple gründete, hatte sie ihr Studium an der Stanford University abgebrochen, um an einer Erfindung zu arbeiten, die versprach, die Welt zu verändern; wie Jobs galt sie als exzentrische Visionärin. Ihr Ziel war es, den „iPod der Gesundheitsversorgung" zu entwickeln. Sie versprach, ihre Erfindung könne aus einem Tropfen Blut mehr als 250 Krankheiten herauslesen, von Diabetes bis HIV und Krebs. Die Geräte sollten klein und erschwinglich sein, sodass sie in jedes Zuhause passen würden. Die Menschen, so Holmes, sollten ihre Gesundheit endlich selbst in der Hand haben, Krankheiten so rechtzeitig erkennen, „dass sich niemand mehr zu früh von seinen Liebsten verabschieden muss". Es gibt einen TED-Talk von ihr aus dem Jahr 2014, da erzählt sie, wie ihr Onkel überraschend an Krebs starb; eine andere Anekdote, die sie oft zum Besten gab, war ihre eigene Angst vor Spritzen.
Über die Jahre sammelte Elizabeth Holmes fast eine Milliarde Dollar von Investoren ein, im Aufsichtsgremium ihres Unternehmens saßen erlauchte Gestalten wie Henry Kissinger, der ehemalige US-Außenminister, George Shultz, der ehemalige US-Finanzminister, und James Mattis, der später Außenminister unter Trump werden sollte. Mehr als 700 Menschen arbeiteten für Theranos, 2013 stellte die Drogeriekette Walgreens die Geräte in über 40 seiner Filialen auf, im selben Jahr war Theranos an der Börse zehn Milliarden Dollar wert.
Elizabeth Holmes hatte es geschafft. Sie galt als der nächste Steve Jobs. Das einzige Problem: Die Technologie hinter ihrer Erfindung hat nie funktioniert. Während das Silicon Valley seinen neuesten Star mit Kapital überhäufte, während Magazine wie Fortune Holmes' Gesicht auf Titelseiten druckten, Time sie zu einem der hundert einflussreichsten Menschen der Welt kürte, arbeitete sie fieberhaft daran zu verbergen, dass Theranos' Technologie höchstens ein Dutzend Bluttests durchführen konnte, und das auch nur fehlerhaft. Alle anderen Tests ließ sie mit verdünntem Blut auf herkömmlichen Laborgeräten laufen. Es war ein riesiger Betrug, ein Spiel mit der Gesundheit Tausender Menschen. Ihr Unternehmen führte sie wie eine Diktatur, im Labor herrschte ein „Klima der Angst", so beschreiben es heute ehemalige Theranos-Mitarbeiter.
„Die vielleicht beste Tarnung für einen Hochstapler ist es, eine Frau zu sein"John Carreyrou, Reporter beim Wall Street Journal, deckte Holmes' Machenschaften 2015 auf, im vergangenen Jahr erschien sein Buch „Bad Blood", das ein Bestseller wurde. Im März sendete HBO eine zweistündige Dokumentation über den Fall, ABC Radio widmete Elizabeth Holmes eine sechsteilige Podcast-Serie.
Anna Sorokin und Elizabeth Holmes, zwei Hochstaplerinnen, deren Geschichten ein Millionenpublikum faszinieren - gerade weil sie Frauen sind. Woran liegt das?
„Die vielleicht beste Tarnung für einen Hochstapler ist es, eine Frau zu sein", sagt die Schriftstellerin, Psychologin und professionelle Pokerspielerin Maria Konnikova, die Cassie Chadwicks Geschichte in ihrer Podcast-Reihe „The Grift" erzählt. Vielleicht, weil Frauen generell unterschätzt werden; vielleicht, weil sie als das „schwache Geschlecht" gelten. Und weil Menschen das glauben, was in ihr Weltbild passt. Es kann also gut sein, dass Frauen die besseren Hochstapler sind - und schlichtweg seltener erwischt werden.
Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum Frauen sich seltener Prestige erschwindeln.
„Für Männer war es immer einfacher, in Führungspositionen zu gelangen", sagt der Literaturwissenschaftler Wieland Schwanebeck, der an der Dresdener Universität zur Hochstapelei forscht. Aufsichtsräte wie Chefetagen sind noch immer vornehmlich männlich besetzt. „Wenn es doch mal eine Frau in die ‚Old Boys'-Netzwerke schafft, ist sie von vornherein einem viel stärkeren Kontrollblick ausgesetzt."
Der klassische Hochstapler, der sich als Arzt ausgibt wie Gert Postel, der in den 80er-Jahren als Dr. Dr. Clemens Bartholdy Amtsarzt in Flensburg wurde, spielt mit dem Bild, das die Gesellschaft von der Figur hat, die er verkörpert, und das oft mehr zählt als die tatsächlichen Kompetenzen und Fähigkeiten. „Insofern leisten Hochstapler einen Dienst an der Gesellschaft", sagt Schwanebeck, „sie zeigen uns, wo wir genauer hinsehen müssen."
Mehr Schein als SeinWo also lenkt Anna Sorokin unseren Blick hin? Was erzählt uns Elizabeth Holmes - über uns?
Der Fall Theranos wirft vor allem ein Schlaglicht auf die Kultur des Silicon Valleys, des Ortes also, wo die Unternehmen und Technologien erfunden werden, die den Anspruch haben, unsere Zukunft zu gestalten. Es ist ein Ort, in dem Frauen gerade mal zwei Prozent des Risikokapitals einsammeln, das dort von Investoren verteilt wird - was es Frauen nahezu unmöglich macht, Unternehmen zu gründen.
Umso mehr wollten alle an Elizabeth Holmes und ihre Idee glauben, sie war die eine, die es stellvertretend für so viele andere schaffte. Selbstverständlich mit genau den Eigenschaften, mit denen Männer die „Broculture" im Silicon Valley erst hatten entstehen lassen: Sie arbeitete wie ein Tier, schmiss rauschende Feste für ihre Mitarbeiter und erniedrigte sie, wenn sie nicht taten, was sie von ihnen verlangte, sie verstellte sogar ihre Stimme zu einem tiefen Bariton, der ihr androgynes Outfit komplementierte.
Die Figuren des risikofreudigen Start-up-Gründers oder des erfolgreichen CEOs verkörpern mit ihrem hypermaskulinen Gebaren eine Form der Männlichkeit, die Wieland Schwanebeck per se als Maskerade und damit als Form der Hochstapelei sieht. Sie ist mehr Schein als Sein - und verwischt so die Grenzen zwischen dem, was real und was erfunden ist - am Ende auch für den, der diese Rolle spielt.
Auf einem Nährboden aus AngstWeil Elizabeth Holmes sie perfektionierte, ließ man sie mitspielen. Weil sie eine Frau war, vertraute man ihr, dass sie ihre Vision von einer besseren Welt Wirklichkeit werden lassen wollte.
Das alles geschah auf einem Nährboden aus Angst, etwas zu verpassen, der „Fear of Missing Out", kurz FOMO: Kein Investor will zu spät kommen, wenn das nächste Facebook an den Markt geht. Dafür nimmt er in Kauf, dass Unternehmen jahrelang rote Zahlen schreiben. Uber, Spotify und Airbnb machten 2018 zum ersten Mal Gewinn, teilweise mehr als zehn Jahre nach ihrer Gründung.
Alle großen Techfirmen sind Wetten auf die Zukunft. „Fake it till you make it", tue so, als ob, bis du es geschafft hast - Elizabeth Holmes hat dieses Motto auf die Spitze getrieben. Und scheint dabei vergessen zu haben, dass ihre Technologie, weil sie nicht funktionierte, Menschen in Lebensgefahr bringen konnte.
Hochstapelei ist eine Form des Narzissmus, die in den allermeisten Fällen mit einem weiteren psychologischen Phänomen einhergeht: dem Machiavellismus, einem rücksichtslosen und manipulativen Streben nach den eigenen Zielen bei gleichzeitiger Empathielosigkeit.
Der Narzissmus ist es allerdings auch, der Hochstaplern zum Verhängnis wird. „Es drängt sie ins Rampenlicht, obwohl sie eigentlich unauffällig bleiben müssten, um ihren Betrug durchzuziehen", sagt Wieland Schwanebeck.
Es war also nur eine Frage der Zeit, bis Anna Delvey auffliegen würde. Ihr ausschweifendes Jetset-Leben endete mit einer Reise nach Marokko, wo sie binnen weniger Tage 62 000 Dollar ausgab. Und natürlich funktionierte ihre Kreditkarte nicht. Sie überredete ihre Freundin Rachel Williams, die Vanity-Fair-Redakteurin, das Geld vorzuschießen. Williams war es dann, die Anna Delvey anzeigte, als die ihr das Geld nach Wochen immer noch nicht zurückgezahlt hatte.
Soziale Netzwerke wie Instagram machen die Hochstapelei noch einfacherZeitgleich waren Delveys Versuche aufgeflogen, Bankkredite mit gefälschten Dokumenten zu erschwindeln, und die Luxushotels, in denen sie sich einquartiert hatte, hatten sie auf die Straße gesetzt. Anna Delveys Leben fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus, das sie aber überhaupt nur deshalb hatte bauen können, weil so viele bereit gewesen waren, sich von ihr täuschen zu lassen. Weil sie es ihr so leicht gemacht hatten.
„Geld gibt es in grenzenlosen Mengen", hat Anna Sorokin der Journalistin Jessica Pressler gesagt, die sie im berüchtigten Rikers-Gefängnis in New York besuchen konnte, „aber es gibt nur eine begrenzte Menge Menschen, die Talent haben." Die talentierte Miss Sorokin.
Vielleicht hat es auch mit dieser Zeit zu tun, in der wir leben. Und dabei geht es noch nicht mal darum, dass in den USA ein Präsident an der Macht ist, den einer seiner ehemals engsten Vertrauten, Michael Cohen, einen „Hochstapler" nannte. Große Hochstapler hat es immer gegeben, und Experten wie Maria Konnikova sehen keine Hinweise, dass es heute mehr von ihnen gibt als zu anderen Zeiten. „Aber Social Media hat die Schwelle herabgesetzt", sagte Konnikova der Harvard Gazette, „kleine Betrügereien haben sicher zugenommen."
Die sozialen Netzwerke machen es leicht, eine Person zu kreieren, die es gar nicht gibt. Plattformen wie Instagram verführen dazu, Filter über das eigene Leben zu legen, die es ein klein wenig strahlender erscheinen lassen, als es in Wirklichkeit ist. Und obwohl wir das wissen, sind wir bereit, das Leben der anderen für das zu nehmen, als das es uns erscheint.
Nur so ist es zu erklären, dass ein Mann wie Billy McFarland, noch so ein Hochstapler des Instagram-Zeitalters, es schaffte, ein ganzes Festival auf einer Karibikinsel zu faken. Er brauchte nicht viel mehr dazu als ein paar Influencer, die in Bikinis dafür Werbung machten. Tausende junger Leute kauften Tickets für Tausende von Dollar.
Das Fyre Festival endete in einem logistischen Desaster, wie gerade in einem Dokumentarfilm auf Netflix zu sehen ist. Binnen weniger Stunden implodierte das Paradies, das McFarland im Internet zusammenfabuliert hatte, zu einem einzigen Bild, das ein Festivalbesucher twitterte: eine Styroporpackung mit Toastbrot und Scheiblettenkäse, das Abendessen, das ihm statt des versprochenen Sterne-Buffets serviert wurde.
Realität als wabernde MasseDie Realität ist in den sozialen Netzwerken zu einer wabernden Masse geworden ist. Noch nie hatten wir Zugang zu so vielen Informationen, während es gleichzeitig eine große Unsicherheit darüber gibt, was wahr ist und was nicht. Im Zweifel glauben wir das, was wir eh schon wissen. Anna Sorokin bediente nur die Klischees der High-Society, in der sie sich bewegte. Und die ließ sich gerne verführen.
Am Ende aber ist sie es, von der die Richterin sagte, sie habe sich vom „Glitzer und Glamour New Yorks blenden lassen". Und der Staatsanwalt twitterte: „Anna Sorokin hat echte Straftaten begangen. Jetzt wird sie echte Gerechtigkeit erfahren für ihre Diebstähle und Lügen." Im Übrigen war das derselbe Staatsanwalt, der es 2015 versäumte, Harvey Weinstein anzuklagen, als es erste Belege dafür gab, dass er Frauen belästigt hatte.
Frauen, auch das lässt sich über Hochstaplerinnen sagen, ernten wenig Bewunderung für ihre Betrügereien.
Am Donnerstag wurde Anna Sorokin zu vier bis zwölf Jahren Gefängnis verurteilt, unter anderem für ihren Versuch, sich 22 Millionen Dollar bei einer Bank zu leihen, außerdem muss sie mehr als 220 000 Dollar Strafe und Schadenersatz zahlen. Sie hatte auch vor Gericht ihre Rolle nicht abgelegt, hatte sich von einer Prominenten-Stylistin für die Verhandlungen anziehen lassen, irgendwer richtete einen Instagram-Account für ihre Gerichtsoutfits ein.
Im Gefängnis scheint es ihr bisher gut zu gehen. Sie habe dort eine junge Frau kennengelernt, die wegen Identitätsdiebstahls einsitzt. „Ich hatte keine Ahnung, wie einfach das ist", sagte Sorokin der Reporterin vom New York Magazine.
Fast 17 Millionen DokumenteBis das Urteil im Fall Theranos fällt, könnte es noch eine Weile dauern. Derzeit lesen die Anwälte sich durch einen Berg von fast 17 Millionen Dokumenten. Bis dahin ist Elizabeth Holmes auf freiem Fuß, man sieht sie manchmal durch San Francisco spazieren, immer an ihrer Seite ihr Hund Balto, ein Husky; sie soll auch auf dem Burning-Man-Festival gesehen worden sein.
Entschuldigt hat sie sich bisher nicht für ihren Betrug, weder bei ihren Mitarbeitern, noch bei den Menschen, die viel Geld in Theranos investiert haben, noch bei den Patienten - zehn von ihnen klagen auf Schadensersatz.
Als die ersten Enthüllungen liefen, trat Elizabeth Holmes in einem Fernsehinterview auf, sie sagte dabei einen Satz, der viel verrät über das, was in ihr vorgehen könnte: „Erst denken sie, du bist verrückt, dann bekämpfen sie dich, und plötzlich veränderst du die Welt."
Die beste Hochstaplerin ist sowieso die, die wirklich an sich glaubt. Es heißt, Elizabeth Holmes sammle bereits Kapital für ein neues Unternehmen.