Wie geht es Ihnen heute?
Gut.
Ein Interview nach dem anderen zu geben, das klingt anstrengend, wenn man sich wie Sie von schwersten Hirnverletzungen erholt.Ist es auch. Es ist ja nicht irgendeine Geschichte, um die es geht, sondern meine Lebensrealität. Das hat eine andere Dynamik, als wenn ich über mein neues Album rede. Aber mir geht es so weit gut. Die permanenten Schmerzen, die sind da, das ist wie ein Grundsummen, manchmal ist es ein bisschen schlimmer. Aber ich lasse mich nicht so davon beeinflussen.
Wenige Monate nach dem Unfall saßen Sie in der Sendung von Markus Lanz. Damals erzählten Sie, Ihre Füße würden brennen wie Feuer, während Ihre Beine sich anfühlten, als steckten sie in Eiswasser. Wie ist das heute?... wurde als Matthias Paul am 16. Dezember 1971 in Eisenhüttenstadt geboren. Seine Mutter zog mit ihm nach Ost-Berlin, er wuchs in Lichtenberg auf, machte nach der Schule eine Ausbildung zum Nachrichtentechniker und zum Tischler. Eine Woche vor dem Mauerfall reisten er und seine Mutter nach Hamburg aus.
... ging dann zurück nach Berlin und legte 1991 zum ersten Mal als DJ auf, u.a. im Tresor. Der internationale Durchbruch gelang ihm 1998, als seine Single „For An Angel" auf Platz eins der deutschen Charts kletterte.
... ist heute einer der bekanntesten und meistgebuchten DJs der Welt. Er wurde 2006 mit dem Verdienstorden des Landes Berlin ausgezeichnet und war 2012 Botschafter für den BER.
... hatte 2016 einen Unfall bei einem Auftritt im niederländischen Utrecht. Er erlitt schwerste Kopfverletzungen und brach sich zweimal die Wirbelsäule. In seinem Buch „Im Leben bleiben" (Benevento, 20 Euro) beschreibt er seine mühevolle Regeneration.
...lebt mit seiner Frau Margarita in Berlin-Friedrichshain. Im Januar erhielt er vom Veranstalter „Alda Events" elf Millionen Euro Schadenersatz für den Bühnensturz.
Das ist alles noch da. Die Ärzte sagen: Was nach zwei Jahren noch da ist, bleibt auch. Man kann über Therapien nur versuchen, eine Linderung zu erzielen. Aber man gewöhnt sich so weit daran, dass der Schmerz immer weiter in den Hintergrund der Wahrnehmung rückt.
Nachdem Sie aus dem Krankenhaus entlassen wurden, mussten Sie kleinste Alltagshandlungen neu lernen und ganz bewusst ausführen. Multitasking ging gar nicht.Was das Gefühl in den Beinen angeht, kann man gar nichts machen, das sind neurologische Probleme. Aber ich mache Logopädie für die Sprache und Gedächtnistraining, um das da oben alles auf Trab zu halten.
Faszinierend ist auch, dass dieser Apparat Fähigkeiten wieder erlernen kann, die, wie bei Ihnen, komplett verloren waren.Wenn man in etwas Routine bekommt, hat das so eine Art Dominoeffekt, dann werden auch andere Sachen einfacher. Ich denke, wenn ich zum Kühlschrank gehe, um die Milch rauszuholen, mittlerweile nicht mehr darüber nach, welchen Muskel ich benutzen muss. Diese Routine ist wieder da, ich kippe mir nicht permanent die Milch über die Klamotten wie anfangs. Wenn man diese motorischen Fähigkeiten mal verloren hat, stellt man fest, was das Gehirn so alles „nebenbei" macht. Das ist ein faszinierender Apparat.
Sie sagen das so bescheiden, „halbwegs vernünftig". Wenn man an die Prognose denkt, die Sie direkt nach dem Unfall bekamen, ist es ein Wunder, wie wir uns heute unterhalten. Wie haben Sie das geschafft?Was man nur leider nicht machen kann, ist, die Zellen wieder herzustellen, die einmal zerstört wurden. Aber es gibt eben diese Gliazellen, das sind eigentlich nur Informationsdurchleiter, aber die kann man in der Tat trainieren und so das umliegende Gewebe anregen, Funktionen zu übernehmen, die das abgestorbene Gewebe vorher hatte. Bei mir war gerade an der Stelle, wo das Sprachzentrum sitzt, viel kaputt. Dass ich wieder halbwegs vernünftig reden kann, ist offensichtlich ein Zeichen dafür, dass das funktioniert. Ich weiß nicht, mit welchem Teil meines Kopfes ich gerade rede, aber ich tu's.
Als Sie im Koma liegen, singt Ihre Frau Margarita Ihnen leise „Somebody" von Depeche Mode vor, weil das Ihr gemeinsamer Song ist. Ihre Atmung beruhigt sich. Die Ärzte sagen Ihrer Frau, dass das wahrscheinlich nur Zufall war.Es gibt da zum einen eine Reihe praktischer Gründe: Zehn Minuten entfernt von der Halle in Utrecht lag eine neurologische Spezialklinik, in die ich gebracht wurde; an diesem Sonntag war außerdem zufällig ein Spezialist da, der sofort die richtigen Maßnahmen einleiten konnte. Aber es gab auch einen übergeordneten Grund, ohne den ich nicht überlebt hätte: meine Frau. Ohne sie hätte das trotz allem nicht funktioniert. In so einer Situation braucht man einen Grund, zu kämpfen.
Ihre Frau hat einen Erfindergeist gezeigt, der sehr beeindruckend ist. Sie sorgte dafür, dass alle, die an Ihrem Bett waren, lächelten, in der Hoffnung, die positive Atmosphäre möge sich auf Ihren Zustand auswirken.Das ist der Punkt, wo es beinahe esoterisch wird. Es ist schwer zu erklären. Es gab diese Situation, wo ich faktisch im Kopf aus war, dennoch, als meine Frau meinte, halt meine Hand, habe ich zugedrückt. Irgendwas in mir wusste: That's my girl. Was auch immer das war. Ich kann's nicht einordnen, es gibt für mich keine Erklärung dafür, zumal ich nicht an Gott glaube, aber irgendwas ist da, irgendwas verbindet uns über die Bewusstseinsebene hinaus.
Nicht jeder hat das Glück, liebende Angehörige an seiner Seite zu haben. Gibt es denn etwas, das Krankenhäuser tun können, um den Genesungsprozess zu verbessern?Man muss sich das vorstellen: Du kommst da an, und da war ein Unfall und du hörst: Er wird nie wieder wissen, wer du bist. Das ist schon krass. Und sich davon nicht unterkriegen zu lassen, zu sagen: Das akzeptiere ich nicht. Das ist schon groß.
Sie waren in der Humboldtmühle, eine Rehaklinik am Tegeler See.Es ist dieses Lächeln. Als ich nach mehreren Wochen hier in Berlin ankam, war ich noch immer ziemlich kaputt da oben, deshalb habe ich das auch kaum wahrgenommen. Woran ich mich aber erinnere, ist, dass alle Leute mich freudig begrüßt haben: He, da kommste! Haben gelächelt und waren einfach positiv. Ich hatte das Gefühl: Jetzt wird alles gut, hier wird mir geholfen. Das sind ja Kleinigkeiten, aber die machen einen Riesenunterschied, der nachwirkt. Das ist das, was dir Kraft gibt. Man schaukelt wie auf einem unendlichen Ozean, eine Welle nach der anderen bricht über einen herein, so ein kleiner Fingerzeig hilft einem, auf etwas hinzusteuern.
Warum haben Sie sich dazu entschieden, dieses Buch zu schreiben?Ja, eigentlich sind sie dort spezialisiert auf Schlaganfälle, viele Patienten aus dem Unfallklinikum Marzahn kommen dorthin. Das ist keine abgehobene Privatklinik, klar gibt es da auch viele Privatpatienten. Aber egal, wer da war, ob das die 80-jährige Oma war, die versuchte, nach einem Schlaganfall zurück ins Leben zu finden, oder ob ich das war. Es wurde immer geschaut: Was können wir machen, um diesem Menschen jetzt zu helfen? Da habe ich größte Dankbarkeit.
Siehe Michael Schumacher.Wir haben am Anfang gar nicht nach außen kommuniziert, ich war ja gar nicht in der Lage, einen Gedanken zu fassen. Dann kam eine große deutsche Tageszeitung, die sagte: Wir machen die Story sowieso, sag doch lieber was. Also habe ich mich dazu geäußert und war bei Markus Lanz, weil ich wusste, dass man da nicht vorgeführt wird. Dort hat mich jemand vom Verlag gesehen, der hat zu mir gesagt: Wenn man in so einer Situation wie du bist und googelt, weil man versucht, Hoffnung zu finden, dann ist da nichts. Die Storys über Hirnschäden, die man im Internet findet, sind alle schlimm.
Sie erzählt insbesondere am Anfang große Teile des Buches.Ja. Und die Erfahrung hat auch Margarita gemacht, meine Frau. Am Anfang war das Buch eine lose Idee. Ein großes Problem war ja, dass ich an die ersten vier Monate nur sporadische Erinnerungen habe, es war also auch notwendig zu „recherchieren". Da war natürlich Margarita die, die am nächsten dran war.
Was hat Ihnen Kraft gegeben?Ja, ihre Erfahrung war wichtig. Es ging darum, eine positive Geschichte zu erzählen. Wobei ich mich immer vor diesem Wort sträube. Es ist ja keine Geschichte, es ist unser Leben. Nach einem Auftritt im Frühstücksfernsehen hat mir eine junge Frau geschrieben, die auch einen Unfall hatte: Wenn der Paul das kann, kann ich das auch. Wenn meine Geschichte nur einer Person hilft, hat sich das schon gelohnt.
The power of love. Das klingt so platt, aber es ist unglaublich, welche Energie man selbst aufbringen kann, wenn man einen Grund hat; auch diese Stärke, mit der Margarita mich aus diesem tiefen Loch geführt hat, das ist sehr besonders. Dann die Pfleger, Krankenschwestern, Therapeuten, Ärzte, die mir nie das Gefühl gegeben haben, Spritze rein und fertig, sondern: Die tun alles irgendwie Mögliche. Da war für mich klar: Wenn die sich alle so den Arsch aufreißen, bin ich jetzt nicht derjenige, der sich hängen lässt.
„Ich will hier raus! Ich will wieder Musik machen!"
Sie schreiben in Ihrem Buch auch über Ihre Kindheit in Eisenhüttenstadt und Ost-Berlin, über Ihre Anfänge als DJ. Warum war Ihnen das wichtig?Die Musik, meine Ost-West-Vergangenheit, das spielt alles mit rein, beeinflusst, wer ich bin. Und erklärt, warum mir manche Sachen wichtig sind und andere nicht. Nur vier Monate nach dem Unfall stand ich wieder auf der Bühne und habe Musik gemacht. Das war enorm wichtig für mich, zu sagen: Ich will hier raus! Ich will wieder Musik machen! Das ist meine Passion! Und um das zu erklären, musste ich schreiben, wo ich herkomme, wo ich mit Musik in Berührung gekommen bin.
Aus Ihrem Büro in den Treptowers gleich da drüben fällt Ihr Blick heute auf Ihre Schule, auf das Haus, in dem in den 90er-Jahren das UFO war, einer dieser legendären Berliner Clubs. Wie sehen Sie Ihre Herkunft heute?Ich bin niemand, der in Erinnerungen schwelgt, ich sehe eher die Veränderungen und die Möglichkeiten, die die Stadt hat. Auf der anderen Seite muss man die politischen Defizite einräumen, die wir zurzeit haben. Es wird offensichtlich nichts umgesetzt von dem, was wir Berliner bräuchten. Wenn man sich überlegt, dass es fünfzehn Jahre dauert, bis die Elsenbrücke da unten repariert ist, fasst man sich an den Kopf!
Ganz zu schweigen von dem Flughafen, für den Sie schon den Klingelton für die Durchsagen komponiert hatten ...Beides hat noch mal eine andere Dynamik. Beim BER geht es ja um internationale Ausschreibungen, das ist ein komplexes Ding. Aber eine Brücke zu reparieren, die einfach kaputt ist? Nicht zu vergessen, dass der Anschluss an die A100 in zwei Jahren fertig ist. Das heißt, die kommen alle hier an und dann nicht weiter. Da fragt man sich: Was machen unsere Politiker hier eigentlich?
Was ist denn übrig von Ihrer Ost-Identität, so weit es so etwas gibt? Bei Ihnen hat man eher das Gefühl, Sie sind ein Weltbürger, der seinen Lebensmittelpunkt eher pragmatisch gewählt hat.Ich glaube, dass sich so eine Identität aus den Erfahrungen speist, die man gemacht hat. Jemand, der sein Leben in Brandenburg verbracht hat, bekommt seine Identität eher daher. Mein Leben ist global, deshalb ist meine Identität ein Mischmasch aus allem Möglichen. Ich weiß gar nicht, ob ich so besondere Ossi-Sachen an mir habe ...
Sie sind Atheist.Etwas, was bestimmt mit meiner Herkunft zu tun hat, ist, dass ich eine sehr puristische Beziehung zur Musik habe. Als ich mit Musik, die mir etwas bedeutet, in Kontakt gekommen bin, da wusste ich weder, wie die Leute aussehen, noch habe ich verstanden, was die da singen. Ich war einfach nur ein Fan von dem Audiofile. Dieses Verhältnis habe ich mir bewahrt. Das ganze Brimborium, das manche heute veranstalten, ist mir total wurst. Wenn etwas gut ist, ist es gut, wenn etwas scheiße ist, ist es scheiße. So bin ich groß geworden.
Verfolgen Sie die Ost-West-Debatten, die jetzt besonders im 30. Jubiläumsjahr des Mauerfalls geführt werden?Ja, ich verfolge aufmerksam, was in unserem Land passiert. Vor allem aber auch, was nicht passiert. Das Problem ist: Der Brandenburger ist anders als der Bayer, der Hesse anders als der Sachse. Das hat mit der lokalen Identität zu tun. Auf der anderen Seite ist die Welt heute so offen, dass wir alle Bürger eines Planeten sind, so sehe ich uns.
Was passiert denn nicht in unserem Land?Wenn ich Politiker wäre und ich sehe, da ist eine Brücke kaputt, über die jeden Tag 55.000 Leute fahren, dann finde ich so schnell wie möglich einen Weg, dieses Problem gut zu lösen - und sitze da nicht ideologisch verbrämt und sage: Aber Fahrräder sind doch viel besser.
Es ist interessant, dass wir bei Musik angefangen haben und bei Politik gelandet sind. Sie sehen Ihre Aufgabe als Künstler nicht nur darin, Leute zu bespaßen, sondern haben eine Botschaft.Ich äußere mich politisch, weil ich es für notwendig halte, dass aus der Mitte unserer Gesellschaft heraus etwas passiert. Ob das eine Sammelbewegung ist oder eine Partei - von dem, was gerade politisch angeboten wird, halte ich nicht sehr viel, wenn es darum geht, die Probleme, die vor uns liegen, zu bewältigen und Deutschland so aufzustellen, dass wir auch in zwanzig Jahren noch eine wichtige Rolle spielen.
Die AfD hält auch nichts von den etablierten Parteien ...Die heißen zwar Alternative, aber sie sind keine. Mein Punkt ist: Welche Begründung kann es geben - entschuldigen Sie, dass ich noch mal darauf zurückkomme - dass es fünfzehn Jahre dauern soll, bis diese Brücke fertig wird? Da wundert es einen nicht, dass Leute frustriert sind und aus Protest Sachen wählen, die gar nicht in ihrem Interesse sind. Es ist ja nicht so, dass die sogenannten Sozialprogramme der AfD die kleinen Leute irgendwie unterstützen würden. Die pragmatische, offene Gesellschaft der Mitte in Deutschland wird von keinem repräsentiert.
Auch nicht von der Großen Koalition, die sich als die Mitte sieht?Nö. Sehe ich überhaupt nicht! Wir haben da eine Frau Merkel, die gefühlt seit hundert Jahren Kanzlerin ist und von irgendwelchen digitalen Initiativen spricht. Geht's noch? Oder da sitzt ein Peter Altmaier im Fernsehen und faselt etwas von 5G! Ich bin ja schon froh, wenn ich in Berlin lückenlos telefonieren kann! Wir hängen hinterher, und zwar massiv.
Von den Zahlen her geht es Deutschland ausgezeichnet. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosenzahlen sind so niedrig wie zuletzt 1991.Ich rede nicht von der Statistik, ich rede von der gefühlten Wahrnehmung von uns allen. Klar sagt die Statistik, es gibt weniger Kriminalität. Aber wenn ich auf der Straße lang laufe und mir kommt eine Truppe von Jungs entgegen, und ich fühle mich nicht wohl, dann bringt es nichts, wenn ich die Statistik raushole und sage: Statistisch gesehen passiert mir hier nichts. Die Politiker haben eine Verantwortung dafür, dass die Bürger, die sie gewählt haben, sich auch sicher fühlen.
Das klingt nach einer gewissen Entfremdung von der Politik. Vor zehn Jahren sind Sie noch mit Ihrer Hymne „We Are One" bei der Feier zum 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer am Brandenburger Tor aufgetreten. Würden Sie das heute wieder machen?Bisher gab es noch keine Anfragen. Politische Entfremdung ist aber nicht richtig, eher im Gegenteil: Es ist ja politisches Engagement, von dem ich spreche.
Zumindest ist es eine Entfremdung von dem politischen Personal.Nehmen wir mal den Auftritt von Andrea Nahles beim SPD-Konvent kürzlich. Sie fordert alles Mögliche, aber nichts davon löst auch nur ein Problem von Familien in Treptow. Sie verspricht viel, setzt das aber nicht konsequent um. Das muss man SPD und CDU vorwerfen.
Welcher Partei fühlten Sie sich bisher nahe?Ich würde es nicht an einer Partei festmachen, aber ich fühle mich immer schon dem Gedanken der Sozialdemokratie am nächsten. Das war aber auch zu einer Zeit, in der die Sozialdemokratie geguckt hat, wie können wir die Gesellschaft fairer machen.
An welchen Politiker denken Sie da?Trotz all der Mängel, die die Hartz-Reformen hatten, sind durch Schröder und Fischer Weichen gestellt worden, von denen wir heute noch zehren. Es wäre sinnvoller gewesen, das Hartz-IV-System zu modernisieren, anstatt es zu verteufeln und zu diesem großen Bruch zu kommen. Die SPD, wie sie heute ist, ist mir zu ideologisch. Ich bin Pragmatiker, ich sehe ein Problem und mich interessiert: Wie kann ich es lösen?
Das ist doch typisch ostdeutsch.Ja, vielleicht bin ich da der Ossi.
Man hat dreißig Jahre nach dem Mauerfall den Eindruck, wenn über Ostdeutsche geredet wird, geht es extrem schablonenhaft zu: Ostdeutsche sind Opfer, Täter oder Zeitzeugen. In welche Kategorie passen Sie?Als ich kurz nach der Wende freier Mitarbeiter beim SFB wurde (der heutige RBB, Anm. d. Red.), da wurde man auf seine Stasi-Vergangenheit geprüft, auch ich, obwohl ich ja 1989 erst siebzehn war. Ich habe damals mit Interesse in meiner Akte gelesen, wer alles auf mich angesetzt war. Ich war kein Täter, sondern eher ein schwarzes Schaf, aus Sicht des Regimes. Meine Mutter hatte 1989 einen Ausreiseantrag gestellt, von dem Moment an wurden wir schikaniert. Anfang November reisten wir nach Hamburg aus, eine Woche später fiel die Mauer. Wenn ich mir ansehe, wie die DDR heute in Filmen und Serien dargestellt wird, dann wirkt das doch sehr verharmlosend. Das System heute ist dem System damals überlegen, auch wenn nicht alles perfekt läuft.
Als Sie angefangen haben als DJ, brauchten Sie nicht mehr als ein paar Bierkisten, Plattenteller und einen leerstehenden Raum. Heute ist das Nachtleben ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, Clubs sind mittelständische Unternehmen, alles ist sehr professionell. Wie beobachten Sie die Veränderung der Stadt?Damals gab es diverse Off-Locations, mit denen sich Berlin einen Ruf erarbeitet hat. Man konnte in eine Subkultur eintauchen, das machte das Nachtleben aus. Ich habe aber nichts gegen Professionalisierung. Wenn man an einen Sound glaubt, sollte man den so gut wie möglich präsentieren.
Sie schreiben in Ihrem Buch, Berlin fehle der Coolness-Faktor. Was soll denn das heißen?Buenos Aires zum Beispiel ist saucool, da fehlt Berlin eine ganze Menge zu. Berlin ruht sich schon sehr auf dem aus, was bereits erreicht wurde, anstatt sich nach vorn zu entwickeln. Es ist eher so, dass Entwicklungen oft gemeinschaftlich unterbunden werden.
Was meinen Sie?Die Entwicklung einer Stadt hat auch damit zu tun, dass Neues entsteht. Das war etwas, das Berlin immer ausgezeichnet hat. Heute wird herumgestritten, wenn Leute ein brachliegendes Stück Land bebauen wollen. Nehmen Sie das Tempelhofer Feld. Wenn die Wohnungsnot so groß ist, wenn wir sogar bereit sind, sehr viel Geld in die Hand zu nehmen, um Wohnungsbaugesellschaften zu enteignen, warum können wir dann nicht dieses Land zumindest teilweise bebauen? Da fehlt es an pragmatischen Ansätzen. Der einzige Grund, warum das nicht gemacht wird, ist ein ideologischer.
Muss jedes freie Grundstück denn einer Verwertungslogik preisgegeben werden?Stadt bedeutet für mich Entwicklung. In den 90er-Jahren ging es nie darum, dass man zwanzig Jahre in dieser einen Location bleibt. Irgendwas wurde aufgemacht, dann musste es nach einem Jahr wieder zumachen, dann ging es woanders weiter. Das wunderbare E-Werk hätte es nie gegeben, wenn das Planet nicht zugemacht hätte. Da hat keiner groß geschrien, sondern die Leute sind losgezogen und haben einen neuen Ort gesucht.
Es gibt heute eine ganze Reihe junger DJs, die wie Sie um die Welt jetten und vor Zehntausenden Menschen auftreten. Was würden Sie dem Nachwuchs raten? Wie haben Sie das so lange durchgehalten?Wichtig ist, dass die Motivation stimmt. Als ich angefangen habe, war der DJ kein Star, sondern der Freak in der Ecke. Das hat mich geprägt. Mir ist es egal, wie viele Leute vor mir stehen. Es geht nicht um mich, sondern um die Musik, die die Leute euphorisch macht. Und Professionalität ist wichtig. Ich kann mich nicht am Donnerstag wegschießen, wenn ich weiß, ich habe noch drei Shows am Wochenende.
Und irgendwann stehen Sie wie Mick Jagger mit siebzig noch auf der Bühne?Den Hüftschwung kriege ich leider nicht mehr hin.
(...)