Unten am Fluss, wo Friedrichshain auf Kreuzberg trifft, ist Berlin nicht mehr das, was es einmal war. Früher, und das ist jetzt nur so zehn, vielleicht fünfzehn Jahre her, lag dort ein altes Schiff, an Deck saßen Studenten und andere Menschen, die viel Zeit und wenig Geld hatten, sie tranken billiges Bier, das in einem Bretterschuppen am Ufer verkauft wurde, und sahen dabei den Mond über der Oberbaumbrücke aufgehen. Vielleicht zogen sie danach noch weiter, in die Maria, ins Ostgut, wie die Clubs in diesem Niemandsland damals hießen.
Am Fluss fransten die Ränder der Stadt aus wie ein alter Teppich, blieb Raum für Begegnungen, für den Zufall, der Neues entstehen ließ. Das also, was Berlin weltweit den Ruf verschaffte, ein Ort der Freiheit und Kreativität zu sein.
Unten am Fluss ist Berlin heute eine andere Stadt. Das alte Schiff ist verschwunden, am Ufer, das jetzt planiert und glatt gezogen ist, liegen Boote, auf denen Touristen in Zelten campieren. Hinter der East Side Gallery reihen sich klotzige Bürowürfel aneinander, schnöde Rasterfassaden, an denen der Blick abprallt, eine Architektur so einfallslos wie ein schlechter Witz.
Berlin wächst und wächst. Die Stadt wird immer größer, vielversprechender und auch herausfordernder. 2030 werden vier Millionen Menschen in Berlin leben.
Auf berliner-zeitung.de werfen wir in den kommenden Tagen für Sie einen Blick in die Zukunft:4 Millionen, die wachsende Stadt, Berlin 2030.
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So also sieht es aus, das neue Berlin. In zweiter Reihe ist ein neues Stadtquartier entstanden: Hotels, Büros, ein Parkhaus, gerade wurde die East Side Mall eröffnet, ein Shoppingmonster mit über hundert Geschäften, und bis Ende des Jahres soll die neue Zentrale von Zalando fertig sein. Auf rund 100.000 Quadratmetern werden dort 2.500 Menschen daran arbeiten, Zalandos Vormacht in Europas Onlinehandel weiter auszubauen. Wohnungen gibt es in diesem neuen Quartier keine.
Arbeiten oder konsumierenDafür heißen die Meetingräume „Tempelhofer Feld" oder „Badeschiff". Man hat bei Zalando nicht vergessen, wo man ist, im Gegenteil. Von einem „Standort im Herzen" Berlins ist in Pressemitteilungen die Rede und davon, dass der Campus ein „integraler Teil der Stadt" sein soll. Im Erdgeschoss des neuen Quartiers haben die ersten Läden eröffnet, Filialen einer Bäckereikette, einer Kaffeekette, einer Burgerkette, eines Carsharing-Unternehmens, eines Bikesharing-Unternehmens. Wer immer sich hier aufhält, macht zwei Dinge: arbeiten oder konsumieren. Oder die East Side Gallery fotografieren.
Es heißt immer, Unternehmen wie Zalando, einst als Start-up in einer WG in Mitte gegründet, seien wichtig für die Stadt. Weil sie Geld bringen und Arbeitsplätze. Sie sind ein Grund, warum Berlin wirtschaftlich wieder wächst, wie die Grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop kürzlich in einer Rede im Abgeordnetenhaus sagte. „Die Digitalwirtschaft ist ein starker Treiber unserer Wirtschaft und Industrie." Sie hat dafür gesorgt, dass Berlin als Gründerhauptstadt Europas gilt, als Start-up-Metropole. Das klingt nicht mehr arm, das klingt reich - und sexy. Dass alle hierher wollen, fügte Pop hinzu, sei eine große Chance für Berlin.
Was aber, wenn die Techfirmen dazu beitragen, die Stadt so zu verändern, dass sie immer weniger lebenswert wird für ihre Bewohner? Wenn der öffentliche Raum wie in dem neuen Quartier an der Spree so unwirtlich wird, dass sich dort niemand mehr aufhalten will, der es nicht unbedingt muss? Wenn Berlin nur noch die Kulisse ist, vor der sich Unternehmen inszenieren?
Der größte Arbeitgeber der StadtZalando ist mit seinen insgesamt 6.000 Mitarbeitern der größte Player unter den Berliner Unternehmen, die mal als Start-ups angefangen haben; Home24 hat in Berlin etwa 700 Mitarbeiter, Delivery Hero rund 1.200, dazu kommen noch 800 Fahrer.
Im Durchschnitt haben die Berliner Start-ups nur gut zwei Dutzend Angestellte. Das täuscht aber darüber hinweg, wie groß die Techszene in Berlin tatsächlich ist.
Die letzte fundierte Schätzung stammt aus dem Jahr 2016. Der Ökonom Hergen Wöbken, Leiter des Berliner Instituts für Strategieentwicklung (IFSE), veröffentlichte damals eine Studie zu den Start-ups der Stadt. Nach einer sehr engen Definition, in der nur Unternehmen gezählt wurden, die jünger als fünf Jahre waren und ihren Hauptsitz in Berlin hatten, kam Wöbken auf 620 Start-ups mit rund 13.000 Mitarbeitern. Zählte man ältere Start-ups wie Zalando, Babbel oder Soundcloud dazu, hatte die Techszene geschätzt rund 30.000 Angestellte und war damit schon 2016 der größte Arbeitgeber der Stadt. Heute, sagt Wöbken, dürften sich diese Zahlen noch mal verdoppelt haben.
Laut neuestem „ Berliner Startup Monitor" ist der typische Berliner Gründer 35 Jahre alt, hat ein Studium in Wirtschaftswissenschaften und ist ein Mann. Die Hälfte der Angestellten in Berliner Start-ups kommt aus dem Ausland. Sie konkurrieren auf dem Wohnungsmarkt mit Studenten, Familien und Rentnern, die über geringere Einkommen verfügen. Im „ Start-up Guide ", eine Art Stadtführer für Techies, werden - nach einem Grußwort der Wirtschaftssenatorin - die günstigen Berliner WG-Zimmer (nicht mehr als 600 Euro!) und Einraumwohnungen (unter 800 Euro!) angepriesen und das Versprechen gegeben, dass man von 1.500 Euro geradezu dekadent in Berlin leben könne - vorausgesetzt wohl, man mietet keinen Arbeitsplatz im Mega-Co-Working-Space WeWork am Potsdamer Platz für 280 Euro im Monat.
Für Start-ups ist die Stadt eine wichtige Ressource. Sie zehren von Berlins Ruf, eine unangepasste Kreativmetropole zu sein. Zalando wirbt neue Mitarbeiter gezielt mit Berlin als Wohnort an. Die meisten bleiben nur für kurze Zeit. Start-ups - und Zalando insbesondere - sind bekannt für ihre hohe Mitarbeiterfluktuation, das ständige Kommen und Gehen trägt seinen Teil dazu bei, dass die Mieten in der Stadt in die Höhe schnellen.
Rundumversorgung nur für Mitarbeiter„Mit der Digitalwirtschaft gibt es einen neuen Akteur in der Stadtentwicklung", sagt Felix Hartenstein, „und in Berlin wird das besonders deutlich sichtbar." Hartenstein ist Stadtökonom, was bedeutet, dass er städtische Themen durch eine wirtschaftliche Brille betrachtet. Er hat VWL studiert und war danach wissenschaftlicher Mitarbeiter im Studiengang Urban Development an der TU Berlin. Zusammen mit dem Architekten Hans-Hermann Albers hat er das „ Institut für Wirtschaft und Stadt " gegründet; sie analysieren, wie Unternehmen Stadträume verändern - durch ihre Niederlassungen, durch ihre Dienstleistungen und Technologien.
Vor zwei Jahren waren Hartenstein und Albers im Silicon Valley, sie haben sich dort die Firmenzentralen von Google und Facebook angeschaut. Der Besuch, sagt Hartenstein, habe sie ernüchtert: Facebooks neue Zentrale liegt in einem Gewerbebau in Menlo Park, das gesamte Erdgeschoss nimmt eine Parkgarage ein, darüber liegt das größte Großraumbüro der Welt, Hunderte Schreibtische reihen sich unter freiliegenden Lüftungsrohren aneinander, Kabel hängen von der Decke, dazwischen stehen ein paar Yuccapalmen. Das Unfertige ist gewollt; wer hier arbeitet, soll sich noch immer als Teil eines Start-ups fühlen.
Zehn Kilometer entfernt liegt das Hauptquartier von Google. Auf dem Areal, erzählt Hartenstein, gibt es alles vom Friseur bis zum Arzt - nur für Mitarbeiter. Diese Rundumversorgung hat ein klares Ziel: Den Angestellten soll möglichst alles abgenommen werden, damit sie sich vollkommen ihrer Arbeit widmen. Das steigert die Produktivität und damit den Umsatz - eine ganz einfache Rechnung.
„Diese durchkuratierten Firmengelände simulieren Stadt", sagt Hartenstein, „dort haben die Angestellten alles und brauchen die echte Stadt gar nicht mehr."
Wobei die Firmen, die im Silicon Valley sitzen, ihre Mitarbeiter damit locken, dass San Francisco gleich um die Ecke liegt. Google holt seine Leute mit Bussen aus der Stadt ab. Aktivisten haben herausgefunden, dass in den Gegenden rund um die Haltestellen, an die Angestellten einsteigen, fast 70 Prozent aller Zwangsräumungen in San Francisco stattfinden. Die Mieten sind dort exorbitant gestiegen, ein Platz in einem Hochbett koste 1 400 Dollar im Monat, berichtet Hartenstein. Gleichzeitig gibt es fast genauso viele Multimillionäre wie Obdachlose.
„Techfirmen sorgen für Wohlstand", sagt Hartenstein, „aber auch für Verdrängung und Segregation."
Verantwortung für die StadtIn Kreuzberg mieteten die Samwer-Brüder 2017 das alte Postamt an der Skalitzer Straße an. Jetzt muss der Privatclub ausziehen, ein kleines Konzertjuwel der Stadt, und die Post. Anwohner hängten am letzten Öffnungstag eine Traueranzeige an die Eingangstür.
Und irgendwann erreicht die Gentrifizierung die Start-ups selbst. Eine Studie der Unternehmensberatung PwC zeigte gerade, dass es für Start-ups in Berlin immer schwieriger wird, neue Mitarbeiter zu finden. Der Hauptgrund: zu hohe Gehaltsforderungen. Die dürften auch mit den steigenden Mieten zu tun haben. Die im Übrigen auch dafür sorgen, dass Start-ups es immer schwerer haben, Büroräume zu finden.
Auch wegen solcher Prozesse sollten Unternehmen sich dafür interessieren, was in ihrem Umfeld passiert. Hartenstein und Albers nennen es „Corporate Urban Responsibility", die Verantwortung also, die Unternehmen für eine Stadt haben - die wahrzunehmen sich am Ende auszahlt, für beide Seiten.
Kreuzberg vs. Google
Was passiert, wenn Techfirmen die Lage in der Stadt falsch einschätzen, konnte man gut beobachten, als Google das ehemalige Umspannwerk in Kreuzberg anmietete, um dort einen Campus zu eröffnen. Auf einmal wurde in Berlin viel über die Obdachlosen in San Francisco diskutiert - und was Google damit zu tun hat.
Dabei hatte Google nie vor, in Kreuzberg eine Firmenzentrale zu eröffnen. Der Campus sollte ein sogenannter Accelerator mit einem knappen Dutzend Mitarbeitern werden, ein Ort also, wo Start-ups ein Mentoring-Programm durchlaufen und Investoren kennenlernen können.
In den vergangenen Jahren hat eine ganze Reihe Konzerne solche Hubs in Berlin eröffnet, von Lufthansa über SAP bis Daimler. Es ist der Versuch, die Schnelligkeit und die Innovationsfähigkeit von Start-ups für das eigene Unternehmen zu nutzen. Und niemand störte sich groß an diesen Hubs und Inkubatoren. Aber in Kreuzberg, einem der härtesten Immobilienmärkte der Welt, wo Bürgerinitiativen und Anwohner derzeit erbitterte Kämpfe gegen Investoren führen, schrillten bei dem Namen Google sofort alle Alarmglocken.
Der Konzern war der perfekte Feind. Weil er für alles steht, was linke Gruppierungen in Kreuzberg ablehnen: einen entgrenzten Kapitalismus, die Missachtung von Datenschutz und Privatsphäre, eine Konzernmacht, deren Dimension kaum zu begreifen ist.
Protest mit Töpfen und PfannenDie Protestgruppen nannten sich „ Google ist kein guter Nachbar" und „ Fuck Off Google" und beschlossen, von denen zu lernen, die schon seit Jahren neben Google leben. Sie luden eine Aktivistin aus Kalifornien ins SO36, es war voll, und die Frau berichtete von Robotern, die Obdachlose verscheuchen und von Anwohnern mit BBQ-Soße beschmiert werden, und von ihren Blockaden der Google-Busse. „Ihr müsst euch Google in den Weg stellen", sagte sie.
Jeden Freitag standen Anwohner also vor dem Umspannwerk und schepperten mit Pfannen und Töpfen. Es gab Demos und Aufkleber, Webseiten und digitale Unterschriftenlisten. Im September wurde das Umspannwerk für einen Nachmittag lang besetzt. Im Oktober verkündete Google, doch keinen Campus mehr eröffnen zu wollen, und übergab das Gebäude an Betterplace und Karuna, zwei gemeinnützige Organisationen.
Vor zwei Jahren war der Campus von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller mit den Worten begrüßt worden, es sei „ein großer Tag" für die Stadt; nach Googles Rückzug sprach die CDU von einem „ schweren Rückschlag für den Wirtschaftsstandort Berlin ".
Dass Google nach wie vor ein Büro Unter den Linden hat und gerade ein weiteres in der Tucholskystraße aufmacht, dass es nur einen Kilometer Luftlinie vom Umspannwerk mit der Factory bereits einen großen Accelerator gibt, dass Betterplace und Karuna auch Start-ups sind, nur eben mit sozialem Engagement als Arbeitsfeld - all das ging in der Debatte verloren.
Sinnvoll? Sozial? Nachhaltig?„Der Hype um Start-ups lenkt von der Frage ab, wie sinnvoll oder notwendig das jeweilige Start-up ist, ob es ein guter Arbeitgeber ist, sozial und ökologisch nachhaltig agiert", sagt Hergen Wöbken, der Leiter des IFSE. „Wir müssen schon genauer hinschauen und uns fragen, was wir uns gesellschaftlich für unsere Stadt wünschen." Nicht jedes Start-up sei per se gut für Berlin.
Dann kam eine Woche später die Nachricht, dass Siemens in Spandau einen Innovationscampus für 600 Millionen Euro bauen wird, und der verhinderte Google Campus war vergessen. Ein neues Stadtviertel soll dort entstehen, mit eigenem U-Bahn-Anschluss und Wohnungen auf 200.000 Quadratmetern.
Eine der wenigen, die sich in diesen Tagen nicht jubelnd zu Wort meldeten, war die Linken-Politikerin Katalin Gennburg. Bevor sie bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus vor zwei Jahren der SPD überraschend den Bezirk Treptow-Köpenick abnahm, war sie Stadtforscherin. „Es ist eine alte Tradition im Kapitalismus, dass finanzkräftige Akteure gerne Stadt bauen wollen", sagt sie. Für sie geht es dabei nicht nur um Gentrifizierungsprozesse, nicht nur darum, dass nicht abzusehen ist, welchen Einfluss ein Innovationscampus von Siemens auf die noch niedrigen Mieten in Spandau haben wird. Techfirmen, sagt Gennburg, sind mehr als nur ein weiterer Faktor, der den Druck auf die Innenstädte erhöht. „Es geht darum, was eine Stadt eigentlich ist und in Zukunft sein soll."
Katalin Gennburg hat den Posten der Sprecherin für Smart City in ihrer Partei übernommen. Weil sie von Berlins altem Smart-City-Konzept nichts hielt, sagt sie, und gerade deshalb darauf Einfluss nehmen wollte. Siemens profitiere als Produzent von Technologien rund um die vernetzte Stadt in allererster Linie selbst davon, ein Stadtviertel zu bauen, in dem es diese Technologien gleich erproben kann, sagt sie. „Dieser Campus wird eine Dauerausstellung für Siemens' neueste Smart-City-Produkte."
Techfirmen bauen StadtAlle großen Techkonzerne steigen gerade in dieses Geschäft ein. In Menlo Park entsteht neben der alten Facebook-Zentrale ein Viertel namens Zee-Town (wobei das „Z" für „Zuckerberg" steht), Amazon hat vor ein paar Tagen riesige Grundstücke in New York und Virginia gekauft, auf denen neue Zentralen mit mehr als 50.000 Mitarbeitern entstehen sollen. Und Google zieht auf einem alten Hafengelände in Toronto ein ganzes Viertel namens Quayside hoch.
Um Quayside ging es ständig bei den Protesten gegen den Google Campus. Entworfen haben dieses Viertel die Planer von Sidewalk Labs, eine Tochterfirma von Googles Dachorganisation Alphabet. Die Idee ist eine komplett vernetzte, smarte Stadt, die sich im Grunde selbst steuert und verwaltet, getrimmt auf äußerste Effizienz. Die Straßen werden auf die Bedürfnisse von selbstfahrenden Autos abgestimmt sein, Sensoren registrieren die Fußgängerbewegungen und passen die Ampelschaltungen daran an; die Mülltonnen trennen den Müll selbst und stellen die Entsorgung automatisch in Rechnung; die Liegestühle am Ufer lassen sich per App reservieren.
Ein Fuß in der Tür?In Kreuzberg geisterte Toronto durch die Debatten, als Orwell'sches Horrorszenario, als Beispiel für Googles Allmachtsfantasien von einer totalüberwachten Stadt, in der der Konzern jede Bewegung der Bewohner tracken und speichern kann. Und in der Algorithmen eine Stadt lenken statt Menschen.
Und selbst wenn Quayside nur knapp fünf Hektar groß ist - das ist nur ein Zehntel des Wrangelkiezes -: Alphabet hat bereits die 325 angrenzenden Hektar Land gekauft, außerdem den Chelsea Market in Manhattan und ein Grundstück in der Bay Area bei San Francisco. Wäre ein Google Campus in Kreuzberg also nur der Fuß in der Tür?
Man konnte diesen Gedanken hysterisch finden. Erst mal aber ist es interessant, dass man in dieser Debatte am Landwehrkanal beginnen und an der Toronto Waterfront enden konnte, dass beides also irgendwie doch zusammenhängt, nämlich mit der Frage: Wollen wir in Zukunft in einer Stadt leben, wie sie sich Techfirmen vorstellen?
„Urbanität entsteht durch das Unvorhergesehene, den Zufall, das Unfertige", sagt Felix Hartenstein, „die Zukunftsbilder, die wir bei Techfirmen sehen, sind dagegen geprägt von unternehmerischem Denken und einem technokratischen Verständnis von Stadt." Was dabei aus dem Fokus gerät, ist eine gesellschaftliche Diskussion darüber, wie das Zusammenleben in Zukunft eigentlich aussehen soll. Bei den Kreuzberger Protesten wurde die zumindest immer wieder angestoßen.
Die Krux ist: Techfirmen haben, was Städten derzeit fehlt: die Visionen, das technische Know-how, vor allem aber Geld. Die Städte rennen also immer hinterher. Viele Techfirmen arbeiten nach einer Maxime, die Facebook am schönsten auf den Punkt bringt: Go in and break things. Was man wohlwollend vielleicht so übersetzen kann: einfach machen.
Scheitere schnell, scheitere oftWas dann passiert, hat man bei Uber gesehen, bei Airbnb, beim Carsharing, bei den unzähligen Anbietern von Leihfahrrädern. Mit ihren langsamen Verwaltungen müssen Städte oft erst herausfinden, unter welche Gesetze diese Innovationen fallen. Oder erst ganz neue Gesetze schaffen, die das fassen, was es vorher noch nicht gegeben hat. Dann sind in Berlin schon 26.000 Wohnungen bei Airbnb gelistet. Und dass Berlins Antwort darauf „Zweckentfremdungsgesetz" heißt, ein Wort mit 17 Konsonanten, sagt viel. Taxifahrer machen in Tegel derweil Jagd auf Uber-Fahrer, die illegale Fahrten anbieten; Carsharing sorgt dafür, das zeigte jüngst eine Studie, dass nicht weniger, sondern mehr Autos durch die Stadt fahren; und an jeder Straßenecke stapeln sich die Leihfahrräder.
Aus der Sicht der Firmen macht das vielleicht alles noch Sinn. Eine andere Maxime lautet nämlich: Fail early, fail often. Scheitere schnell, scheitere oft. Was im Sinne einer Fehlerkultur, in der das Scheitern nicht als Versagen gewertet wird, sondern als Chance, ein schönes Konzept ist - wenn es um Stadtentwicklung geht, aber eher nach einem Albtraum klingt.
Und über allem steht die Frage, was eine Stadt eigentlich sein soll: Ist sie vor allem Ware und Absatzmarkt, ein Ort, den wir konsumieren und wo wir konsumieren? Und sind Effizienz und Optimierung das Wichtigste, was Städte brauchen?
Keine einfachen AntwortenLieße sich diese Frage beim öffentlichen Nahverkehr noch recht schnell mit Ja beantworten, sieht es bei vielen anderen Dingen anders aus. Wollen wir einen Essenslieferdienst wie Deliveroo, wenn dessen Fahrer ausgebeutet werden? Wollen wir Amazon, wenn der kleine Buchladen an der Ecke schließt? Wollen wir Tinder, wenn es zwar leichter wird, einen One-Night-Stand zu haben, die Menschen aber gleichzeitig immer einsamer werden?
Die Antworten sind nicht leicht zu haben, so viel ist klar. Weil sie nicht nur von Stadtplanern kommen müssen, sondern auch von jedem einzelnen, der sich seinen Alltag mit den Apps und Dienstleistungen und Technologien vermeintlich leichter macht.
Die Linken-Politikerin Katalin Gennburg sagt: „Wir müssen dringend eine eigene Vorstellung davon entwickeln, wie die Stadt der Zukunft aussieht." Dazu gehört für sie auch, nicht eine Firma wie Google Berlins Kreativität abschöpfen zu lassen, sondern selbst, als Stadt, kommunale Fablabs zu eröffnen. Oder über Algorithmen nachzudenken, die die Stadt smart machen, aber gleich so programmiert sind, dass sie nicht als Überwachungsinstrumente benutzt werden können, eine Art ethisch-korrekte Software also.
Und wer nicht glaubt, dass es dringend Zeit ist, sich über all das Gedanken zu machen, der geht vielleicht einfach mal im neuen Quartier an der East Side Gallery spazieren. Dort ist übrigens auch die Post aus der Skalitzer Straße hingezogen.
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