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Interview

molos Gedankenanstoß: Ein Pin-Button für mehr Sicherheit - Der Arbeitsalltag in Corona-Zeiten

Sonntag, 12:04. Draußen sind es sieben Grad. Die Heizung springt an, die Küchenuhr tickt. Auf dem Esszimmer liegen noch die Brötchenkrümmel vom Frühstück. Wir sitzen am Fenster einander gegenüber. Heute ist Maries* freier Tag – einer von zwei in der Woche, jeden Mittwoch und Sonntag. Sie arbeitet als Floristin. Seit acht Jahren schneidet Marie Blumen an, bindet die Buntware zu Sträußen und Kränze für zig Anlässe. Von Hochzeiten, Geburtstagen und Valentinstagen bis hin zu Beerdigungen. „Die Floristik ist ein kreativer Beruf, den ich kennen und lieben gelernt habe.“


von Anne-Kathrin Oestmann


„Vor Corona?“ Sie schaut mich mit einem Stirnrunzeln an. Eine Ewigkeit läge die Normalität zurück. Jeden morgen, Punkt 8:45 wurden in einem Meeting die wichtigsten Themen besprochen – welche Angebote neu waren, wann welche Lieferung kommen würde und welche Aufgaben für den Tag bearbeitet werden müssten. Die Kund:innen zu bedienen, nimmt einen großen Part ein. „Ohne sie könnte ich meine Arbeit kaum ausführen. Wir machen das alles ja für die Kunden“, sagt Marie. Der Kontakt sei sehr wichtig. Denn jede Bestellung wird nach Wünschen gefertigt. Schwierigkeiten traten nur dann auf, wenn der eine oder die andere unzufrieden sei. „Leute, die überhaupt gar nicht wissen was sie wollen, denen man nichts recht machen kann. Das ist nervenaufreibend“, sagt Marie.


Was aber noch mehr auf die Nerven gegangen sei, war der Beginn von Corona. Als im Frühjahr 2020 das Virus aus China, Wuhan Europa erreichte. „Erst durften nur eine beschränkte Anzahl an Kunden in den Laden“, sagt Marie. Statt umgeben von Blumen, Gräsern und Töpfen am Tresen zu stehen und beobachten zu können, wie aus eine Hand voll Chico, Eukalyptus und Federfan, Gerbera und Lisianthus ein Strauß entsteht, galt fortan „Click und Collect“. Dabei wird die Bestellung online oder telefonisch aufgegeben und im Laden ohne Umwege an der Kasse abgeholt. Die Einführungen der AHA-Regeln habe ihr Sicherheit gegeben – Abstand halten, Maske tragen, Händewaschen. „Man ist vorsichtig. Und an den Maßnahmen halten wir uns“, sagt Marie.


Doch als die Inzidenz-Zahlen explodierten, Bürokräfte ins Home Office versetz wurden und andere Unternehmen die Kurzarbeit ankündigten, blieb die Floristin und ihre Kolleg:innen vor Ort im Laden. „Das ging gefühlt eine Ewigkeit. Wir haben versucht die Zeit zu nutzen.“ sagt Marie. Dekor wurde umgebaut und Regale aufgebaut – Tag für Tag. „Irgendwann wusste man nicht mehr was man machen sollte. Das war schrecklich. Ich habe hundert mal die Regale abgewischt, jeden einzelnen Topf ausgewaschen, Ware einsortiert, das Lager aufgeräumt und Spinnweben an der Decke weg gesaugt.“ Die Zeit dehnte sich wie eine Kaugummi. „Man hat schon immer auf die Uhr geguckt und sich gefreut, wenn eine Stunde dann wieder vorüber gegangen ist und dann hatte man noch fünf Stunden und wusste nicht was man noch tun sollte.“


Die Kund:innen haben gefehlt. Menschen, die durch das Geschäft strömten, die Gespräche und Anerkennung. „Von einem älteren Herren, der öfters einen Blumenstrauß für seine Frau bei uns binden ließ, haben wir immer wortlos einen Kurzen als Trinkgeld bekommen“, sagt Marie mit einem Lachen. Auch den Besucher:innen habe das Stöbern gefehlt. „Gerade die älteren Leute fanden es schade, dass sie nicht mehr normal einkaufen konnten“, sagt sie. Am 13. Februar diesen Jahres, kurz vor dem Valentinstag durften die Blumenläden in Niedersachsen wieder öffnen. „Jetzt mit der Zeit werden die auch unvorsichtiger und nicht nur die junge sondern gerade die alten Leute“, sagt Marie. Der eine oder die andere vergisst auf 1,5 Metern Distanz zu gehen. Auch wenn ein Pin-Button auf der Arbeitsjacke darauf hinweist „Bitte Abstand halten“. Es gäbe aber auch Vorfälle bei denen Kund:innen überzeugt davon sind, dass die Maske ein 360 Grad Schutz sei. „Aber bisher habe ich noch nie die Nerven verloren“, so Marie.


Auch wenn die Floristin und ihre Mitarbeitenden das eine oder andere Mal mit Ignoranz, Egoismus oder Irrsinnigkeit konfrontiert werden, freut sich Marie darüber weiterhin vor Ort an ihrem Arbeitsplatz sein zu können – hinter dem Tresen zwischen Ranunkeln, Freesien und Anemonen. „Im Prinzip habe ich einen großen Vorteil. Ich sitze nicht nur zu Hause, ich sehe was anderes und starre nicht 24/7 gegen die gleichen vier Wände. Nie mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Dass das auf Dauer langweilig wird, kann ich mir gut vorstellen“, sagt Marie. Denn auch wenn sich der Alltag verändert hat, konnte ihr Arbeitsrhythmus der selbe bleiben.



*der Name wurde anonymisiert / das Interview wurde unter Corona-Reglungen durchgeführt