Anna Scholz

Freie Journalistin und Podcast-Autorin, Hamburg

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Artikel

Eine Stadt gebaut auf Abschiedsschmerz und Wiedersehensfreude

Wenn mich jemand fragt, was ich an meiner Wohnung in Eimsbüttel am liebsten mag, dann sage ich: Wenn ich auf's Dach klettere, kann ich die Kräne sehen.


Woher diese romantische Faszination für ein überdimensioniertes Industriegebiet kommt? Das hätte ich mich wahrscheinlich niemals selbst gefragt - dafür brauchte es eine Freundin aus München.


Und ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, aber ich habe da eine Theorie. Es geht dabei auch gar nicht so sehr um die Kräne. Sie sind nur das passende Symbolbild für das, was ich hier versuchen werde, zu beschreiben.


"Nur weil du deinen Anker wirfst, ist das nicht das Ende deiner Reise"

Ich glaube nämlich, der Hafen ist der einzige Grund dafür, dass Hamburg mein Zuhause werden konnte. Bevor ich hierher gezogen bin, habe ich spätestens alle zwei Jahre meinen Wohnort gewechselt - acht Jahre lang. Und auch Hamburg war nur als Zwischenstopp geplant. Zwischen was? Keine Ahnung, denn aus den geplanten drei Monaten sind inzwischen fünf Jahre geworden.


Und das nur, weil ich an meinem ersten Wochenende in dieser neuen, fremden Stadt am Elbufer stand, allen Hafen-Postkarten-Klischees ins Gesicht starrte und mir so sicher wie in keiner Beziehung zuvor (oder seitdem) war: Wir zwei, du und ich, das wird was Großes. Das ist ernst.


Plötzlich verstand ich diese Songzeile, die Kettcar ein Jahrzehnt zuvor durch mein Münsterländer Jugendzimmer geschmettert hatte. Ihr wisst schon, die mit den Landungsbrücken und dem Applaus.


Denn vor mir lag der Hafen und sagte: Schön, dass du da bist, leg an, hab eine gute Zeit, hier bist du richtig. Und dann zieh wieder raus in die Welt, wenn du soweit bist - so machen es die Schiffe seit Jahrhunderten. Nur weil du hier deinen Anker wirfst, ist das nicht das Ende deiner Reise.


Eine Stadt gebaut auf Abschiedsschmerz und Wiedersehensfreude

Aber Hamburg wurde nicht nur mein Zuhause, weil es hier einen Hafen gibt. Sondern weil die Stadt der Hafen ist. Der Hafen ist das Herz, die Seele, die Geschichte dieser Stadt. Hamburg ist gebaut auf Kommen und Gehen, auf Fernweh und Sehnsucht, auf Abschiedsschmerz und Wiedersehensfreude.


Diese Stadt ist Balsam für eine rastlose Nomadenseele wie mich. Hier sind schon so viele fremde Menschen aus den verschiedensten Ecken dieser Welt angekommen. Hier ist Platz für jeden, der dem rauen hanseatischen Klima eine Chance geben will.


Seit diesem ersten Wochenende habe ich unzählige Stunden am Elbufer verbracht. Ich bin im Sonnenaufgang aufs Dockland hochgelaufen und habe im Sonnenuntergang meine Füße im Elbstrand vergraben. Bin mit Containerschiffen um die Wette gerannt und habe nach durchzechten Nächten mit den Möwen ein Fischbrötchen geteilt.


Dies ist mein Zufluchtsort, wenn ich nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Es ist der Ort, der aus einem guten Tag einen Spitzentag macht. Der Blick auf das Kran-Ballett wird immer Zuhause sein. Auch falls ich doch irgendwann in einen anderen Hafen einlaufen sollte.

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