Anna E. Poth

freie Journalistin, Sankt Augustin

1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Wiedereinstieg nach Verletzungen - die optimale Rückkehr ans Seil (Teil 1)

Eine lange Trainingspause und schwere Verletzungen lassen die Kletterhalle oder den Fels oftmals zu einem Sehnsuchtsort werden.

Für euch habe ich mit Dr. Kai Engbert gesprochen. Er ist Sportpsychologe in München und betreut unter anderem das olympische Team der deutschen Kletterinnen und Kletterer. Neben dem Kaderteam berät er Leistungssportler der Ski Alpin und Sprung Damen.

In Peking ist er als „Mental Health Officer" bei den olympischen Spielen dabei. Verschiedene olympische und paralympische Spitzenverbände sind seit 2005 seine Auftraggeber.

Doch nicht nur Leistungssportler können zum Sportpsychologen gehen. Die Praxis für Sportpsychologie in München ist offen für alle: Sei es aus dem Breitensport, Spitzensport und Mitarbeitende oder Führungskräfte aus Unternehmen. Das verbindende Element bei allen Patientinnen und Patienten ist die gesunde Leistungsentwicklung.

Wie bereite ich mich nach einer längeren Verletzungspause optimal aufs Klettern vor?

Beim Kopf ist es genauso wie beim Körper auch - der größte Fehler ist es, wenn wir viel zu schnell einsteigen wollen.

Die Leute überfordern sich und kommen in ein Stresserleben. Der Stress führt oft zu negativen Lernerfahrungen, die wir eigentlich vermeiden wollen. Beim Wiedereinstieg in den Klettersport sollte man dort beginnen, wo es schon langweilig ist. Das ist das Niveau, um neu zu starten.

Wenn bereits Ängste oder Panik entstanden sind, wie lässt sich diesen Zuständen entgegenwirken?

Da empfehle ich, mit Leuten in die Halle zu gehen, die einen gut kennen und vor allem vormittags, wenn nicht viel los ist. Eine graduelle Annäherung ist dann eine gute Sache. So wie die Physiotherapie einen Reha-Plan hat, brauchen wir hier auch einen kleinen Plan. Für diesen Plan müssen wir uns fragen:

Was sind die Schritte, die ich brauche, um entspannt wieder mit dem Klettern zu beginnen? Schaue ich erst mal nur zu? Mit wem gehe ich in die Halle oder an den Fels? In welche Halle möchte ich gehen?

Vergessen wir vor lauter Freude aufs Klettern einfach unseren Kopf?

Wichtig ist, dass wir die psychologische Gewöhnung als Teil des Trainings und Kletterns betrachten. Es geht nicht darum, viele Routen zu klettern, sondern sich wieder dem Sport anzunähern. Leute machen immer die gleichen Fehler, doch die gehen nicht weg, wenn man einfach weiterklettert.

Wenn ich merke, dass der Wiedereinstieg mir schwerfällt und Freunde nicht ausreichen, würde ich mir beim Sportpsychologen Tipps einholen.

Es ist möglich, dass vor dem ersten Training die eigenen Stressoren und Triggerpunkte noch nicht ans Licht gekommen sind. Wie gehe ich mit akuten körperlichen Symptomen um?

Wenn während des Trainings stärkere Symptome auftreten wie Atemnot, ist es ratsam, direkt aus der Situation zu gehen. Es geht nicht darum, sich durch die Situation zu beißen. Erst sollte ich mir einen mentalen Werkzeugkasten aufbauen und meinem Stresssystem Tools an die Hand geben.

Das ist oft die Gefahr beim Klettern. Leute denken, dass sie das Klettern müssen, was sie in Videos und Zeitschriften gesehen haben. Doch vielleicht ist man den Routen mental gar nicht gewachsen? Es gibt sehr große Leistungsunterschiede im Klettersport. Wenn ich eine 6er Route in der Halle klettere und dann in die Dolomiten fahre, kann ich mich dort komplett fehleinschätzen.

Nicht ohne Grund bietet der DAV Kurse an, damit wir uns nicht überfordern, aber auch andere durch uns nicht in Gefahr kommen.

Als Kletterpartner oder Partnerin bekomme ich bestenfalls eine Menge von meinem Gegenüber mit. Ist es sinnvoll bei psychisch ungesundem Trainingsverhalten einzuschreiten?

Von außen kann ich als Freund oder Freundin Hinweise geben, doch die Person muss selbst den Leidensdruck spüren. Die Selbsterkenntnis ist der entscheidende Faktor. Eventuell muss ich meine Eitelkeit etwas ablegen und einen Schritt zurückgehen. Wenn ich King oder Queen in der Kletterhalle oder am Fels sein möchte, funktioniert es nicht, wenn ich hyperventiliere und mich mental nicht im Griff habe.

Das Schöne am Klettersport ist, dass es viele unterschiedliche Möglichkeiten gibt den Sport auszuüben. Bei dem breiten Spektrum ist für alle etwas dabei und nichts ist weniger oder mehr wert als das andere. Wir können alle den Bereich finden, der zu unserem Körper, unserer Einstellung und auch zu unserer Psyche passt.

Im zweiten Teil spreche ich mit DOSB Sportphysiotherapeutin Sabine Rohleder. Für einen perfekten Neustart geben wir euch Tipps und Übungen an die Hand. Stay tuned!

Zum Original