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Olaf Scholz: "Merkel hätte die Messehallen auch mieten können"

Eigentlich sollte es am Dienstagabend bei der Diskussionsveranstaltung der SPD in der Kursana-Residenz in Niendorf um die bevorstehende Bundestagswahl gehen. Niels Annen, Wahlkreisabgeordneter der SPD für Eimsbüttel, wollte mit dem SPD-Landesvorsitzenden Olaf Scholz über das Wahlprogramm der Partei sprechen und sich den Fragen der Bürgerinnen und Bürger stellen.

Doch am Dienstagabend interessierte das kaum jemanden: Stattdessen sollte sich Hamburgs Erster Bürgermeister Scholz zu den Krawallen am Rande des G20-Gipfels äußern. Es gab Gesprächsbedarf - und viele Fragen.

Scholz kritisiert Rote-Flora-Anwalt Andreas Beuth und die Linken

"Wir müssen alles dafür tun, dass so etwas nie wieder vorkommt", sagt Scholz gleich zu Beginn der Veranstaltung. Er redet ruhig und bestimmt. An diesem Abend erlebt man den Bürgermeister besonnen, seine Worte wählt er vorsichtig und mit Bedacht. Er beantwortet kritische Fragen, dennoch bleiben am Ende viele Antworten aus. Dafür betont Scholz etwa, dass es nun eine Diskussion darüber brauche, woher die Bereitschaft komme, so eine Gewalt zu tolerieren. Denn:

"Was mich neben den militanten Gewalttätern mindestens genauso betroffen hat, waren die Leute, die das offenbar für eine Party gehalten haben", sagt er. "Leute, die Döner gegessen und Bier getrunken haben, Selfies machten und sich dann in eine Gruppe von Leuten, die auf Polizisten schmeißen, einreihten. Was sind das für moralische Vorstellungen?" Und: "Wir müssen darüber reden, wer sich damit gemein macht."

Damit bezog sich Scholz auf die Aussagen von Rote-Flora-Anwalt Andreas Beuth, der nach den Krawallen am Freitag gesagt hatte, er hege "gewisse Sympathien" für "solche Aktionen - nur bitte nicht im Schanzenviertel - warum nicht in Pöseldorf oder Blankenese?". "Das sind Leute mit überhaupt keinen linken, sondern nur noch gewaltbereiten Vorstellungen", so Scholz.

Auch von den Linken fordert der SPD-Politiker sich von "linker Gewalt" deutlicher zu distanzieren. Dabei kritisiert er vor allem den Bundestagsabgeordneten Jan van Aken (Die Linke), der die Groß-Demonstration "Grenzenlose Solidarität statt G20" organisiert hatte.

"Es ist ein Problem, wenn ein Bundestagsabgeordneter eine Kundgebung anmeldet und es nicht schafft, die Vermummten herauszuholen und wegzuschicken",

sagt Scholz. "Und der es nicht geschafft hat, den Satz über seine Lippen zu bringen: 'Ich will keine Gewalttäter in meiner Kundgebung.' Wer diesen Satz nicht sagt, muss die Verantwortung dafür tragen, sich im Vorhinein nicht von solchen Gewalttaten distanziert zu haben, - auch politisch."

"Den Sicherheitsexperten und der Polizeiführung ist nichts vorzuwerfen"

"War das vielleicht ein Planungsfehler von Ihnen?", fragt plötzlich ein junger Mann aus dem Publikum. "Wir haben alle Sicherheitserkenntnisse des Bundes und der Länder zusammengefasst", antwortet Scholz. "Den Experten aus Deutschland und der Polizeiführung, die das zusammengetragen haben, ist nichts vorzuwerfen." Auf die Frage nach seiner Verantwortung geht er zunächst nicht ein.

Am Mangel an Polizeieinsatzkräften habe es jedenfalls nicht gelegen, so Scholz. Mit über 20.000 Polizisten und Polizistinnen sei es der größte Polizeieinsatz in der Geschichte Hamburgs gewesen. Auch die benötigte technische Infrastruktur sei der Polizei bereit gestellt worden: Mit den Luft- und Wärmebildern und technischen Leitungen in alle Richtungen, habe man "alles mögliche überwachen" können. Davon werde die Polizei "noch lange profitieren".

"Es hat über die konkrete Art der Gewalt eine Fehleinschätzung gegeben"

Scholz betont, dass mit den Krawallen im Schanzenviertel in der Freitagnacht, nicht zu rechnen gewesen sei. Dann weicht er aus: Durch die "Möglichkeiten der Überwachung", die die Polizei nun habe, sei festgestellt worden, dass sich die Gewalttäter mit Molotowcocktails und Pflastersteinen auf Dächern positioniert hätten, um die Polizeieinsatzkräfte zu attackieren.

Die wenigen Aufnahmen davon, welche von der Polizei veröffentlicht wurden, sind allerdings gegen Mitternacht aufgenommen worden. Die Krawalle hatten aber bereits am frühen Abend begonnen - und die Polizei ist nicht eingeschritten. "Damit hätten sie das Leben der Polizisten gefährdet", sagt Scholz. "Das hätte wahrscheinlich Tote gegeben." Deshalb habe man erst ein Sondereinsatzkommando herbeirufen müssen. Eines wirft Scholz dann aber doch ein:

"Wir haben uns auf verschiedene Szenarien, die passieren können, vorbereitet. Auf diese konkrete Situation waren wir erkennbar nicht gut genug vorbereitet. Und die Kritik muss jetzt auch jeder einstecken."

"Sie haben gesagt, die Sicherheit sei gewährleistet!", ruft nun ein älterer Herr aus dem Publikum. "Ich habe die Verantwortung für diesen Satz übernommen", sagt Scholz. "Es ist das schlimmste für mich, dass ich das gesagt habe und das am Ende nicht gestimmt hat. Wir haben geglaubt, dass wir mit der logistischen und technischen Infrastruktur und mit den 20.000 Einsatzkräften und 48 Wasserwerfen, die Situation in den Griff bekommen können. Deswegen müssen wir uns jetzt die Frage stellen, wie so etwas in Zukunft verhindert werden kann. Aber ja, es hat über die konkrete Art der Gewalt eine Fehleinschätzung gegeben." "Warum sind Sie dann noch im Amt?", fragt jemand aus dem Publikum. Auf diese Frage gibt Scholz keine Antwort.

Am Ende der Diskussionsveranstaltung drängen die Leute zum Bürgermeister, manche bedanken sich, wollen Autogramme und Fotos, andere stellen weitere Fragen. Als Scholz den Raum gerade verlassen will, fragen wir: "Warum haben Sie eigentlich nicht die Bürger und Bürgerinnen gefragt, ob sie den G20-Gipfel in ihrer Stadt austragen wollen, wie damals bei Olympia?" Scholz überlegt kurz, dann sagt er:

"Die Kanzlerin hätte mich auch anrufen können und sagen können, ich habe die Messehallen gemietet."

Dann lächelt Scholz und fügt hinzu: "Hat sie nicht, aber das ist schon eine Entscheidung." Denn, dass der Gipfel überhaupt in der Hansestadt stattfand, das hat die Bundesregierung entschieden.

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) nimmt seinen Parteikollegen deshalb in Schutz. Gegenüber dem Hamburger Abendblatt sagte er: "Olaf Scholz ist nicht der Verantwortliche für diese Gipfel-Inszenierung." Vielmehr trage Bundeskanzlerin Angela Merkel die politische Verantwortung für die Ausrichtung des G20-Gipfels in Hamburg, so Gabriel. Auf die Frage, ob die Kanzlerin ihn also unter Druck gesetzt habe, antwortet Scholz gegenüber den Eimsbütteler Nachrichten: "Nein, ich bin schon damit einverstanden. Ich verdrück mich nicht."

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