Seit neun Monaten blockiert Aserbaidschan die einzige Landverbindung zwischen Armenien und Bergkarabach. Über die sozialen Medien organisieren die Menschen vor Ort ihr Überleben - und appellieren verzweifelt an die Aussenwelt.
Als Aschot Gabrieljan im Dezember 2022 eine Landkarte auf Instagram postet, ahnt er noch nicht, dass sich sein Feed bald zum virtuellen Tagebuch eines monatelangen Zermürbungsversuchs entwickeln würde. "Hier könnt ihr den Latschin-Korridor sehen", schreibt er damals - und kringelt für seine Follower:innen den entsprechenden Landzipfel im Südkaukasus auf der Karte rot ein. Durch den Korridor schlängelt sich die einzige Strasse, die Armenien mit der selbsterklärten Republik Arzach in Bergkarabach verbindet - jener umkämpften Region, in der mehrheitlich Armenier:innen leben, die aber völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört. Gabrieljan ist dort geboren und aufgewachsen, in seinem Post warnt der Armenier vor einer "humanitären Katastrophe".
Zu diesem Zeitpunkt begann das Regime in Baku, die Strasse abzuriegeln. Medikamente, Hygieneprodukte, Mehl - nur noch Hilfstransporte des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) durften die Zufahrt passieren. Und sogenannte russische Friedenstruppen, die seit Ende des letzten Karabachkriegs von 2020 eigentlich für Stabilität in der Region sorgen sollen. Mittlerweile ist auch das vorbei. Laut dem IKRK erreichten die letzten Transporter mit Lebensmitteln Bergkarabach Mitte Juni; seit Anfang Juli kommen keine medizinischen Hilfsgüter mehr in die Region.
Arzachs 120 000 Bewohner:innen sind damit auf sich allein gestellt. In armenischen Medien ist von einer Verdreifachung der Fehlgeburtenrate die Rede, das Bild einer abgemagerten Leiche soll den ersten Hungertoten zeigen. Luis Moreno Ocampo, ehemaliger Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, warf Aserbaidschan jüngst genozidale Absichten vor: "Hunger ist die unsichtbare Waffe des Völkermords", schrieb er.
Journalist:innen können bereits seit Beginn der Blockade nicht mehr nach Bergkarabach einreisen, eine unabhängige Überprüfung der Lage vor Ort ist nahezu unmöglich. Und doch verdichtet sich das Bild - durch das, was die Eingeschlossenen in den sozialen Medien posten. In Facebook-Gruppen etwa floriert der Tausch alltäglicher Dinge: Für ein Stück Seife gibt es eine Zahnpastatube, für Öl, Salz oder ein Päckchen Kaffee neun Damenbinden. Auf Instagram berichten User:innen über die langen Warteschlangen vor Supermärkten und Bäckereien, in denen man doch nur leere Regale vorfindet.
Eines dieser Fenster in die Blockade ist Aschot Gabrieljan...