Die Angst vor einem neuen Karabachkrieg ist groß. Deshalb setzt Armenien alles daran, sich mit Aserbaidschans Schutzmacht Türkei gut zu stellen. In Margara wurde die Grenze nach 30 Jahren kurz wieder geöffnet. Ein Hoffnungsschimmer?
Aus Margara, Armenien, berichtet Anna-Theresa Bachmann
Suren Sargsjan sitzt auf einem Sofa im Innenhof seines Hauses und lehnt sich über einen wackeligen Holztisch. Vor ihm liegen die Kugeln seines Luftgewehrs ausgebreitet, mit dem der 84-Jährige die Spatzen in seinen Obstbäumen verjagt. Mit faltigen Händen schiebt Sargsjan die Munition auf der Wachstuchtischdecke zu einem Haufen zusammen. »So groß war Armenien einmal«, sagt er. Ein Reich, ausgedehnt bis zum Mittelmeer. »Und jetzt?« Der Greis stupst eine einzelne Kugel zur Seite.
Sargsjans Eltern flohen einst vor dem Genozid im Osmanischen Reich. Über den Fluss, der die Türkei und Armenien trennt und den Türken Aras und Armenier Araks nennen.
Eine Brücke, die nicht mehr verbindet
Bis heute markiert das Gewässer die Grenze beider Länder. Und das Ortsende von Margara, einem Dorf mit staubigen Schotterstraßen, 1500 Menschen und Dutzenden Störchen, die auf Dächern und Strommasten in ihren Nestern wachen. Sargsjans ist hier geboren, von seinem Haus sind es kaum 500 Meter bis zum Ufer.
»Es schmerzt mich, dass ich im Fluss nicht baden kann«, sagt der Rentner, der früher als Elektroingenieur gearbeitet hat. Links und rechts des Schilfs markieren Pfeiler das Sperrgebiet, das auf armenischer Seite von russischen Soldaten bewacht wird. Ein verrostetes Tor mit Stacheldraht versperrt den Weg zur einzigen Brücke. Sie führt auf die andere Seite und dort zum verschneiten Gipfel des Berges Ararat, dem biblischen Sehnsuchtsort und Nationalsymbol Armeniens auf türkischem Staatsgebiet. »Mit den Türken kann es keinen Frieden geben«, sagt Sargsjan.
Doch derzeit sind sich zumindest die Regierungen in Ankara und Eriwan so nah, wie lange nicht: Als im Februar das verheerende Erdbeben in der Türkei und Syrien ganze Landstriche verwüstete und Tausende Menschen unter Trümmern begraben wurden, schickte auch Armenien Suchtrupps und Hilfsgüter. Beladene Trucks passierten die schmale Brücke in Margara in Richtung Katastrophengebiet – die erste Grenzöffnung seit 30 Jahren. Ab dem Sommer soll, so der Plan, die gemeinsame Grenze dauerhaft geöffnet werden, wenngleich zunächst nur für Angehörige von Drittstaaten.
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