Anna-Theresa Bachmann

Freie Reporterin & Fotojournalistin, Berlin

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Bergkarabach: "Die Welt verschliesst die Augen"

Leergefegte Kühlregale: Geschäft in Stepanakert, Foto: Edgar Harutyunyan, Keystone

Keine Medikamente, rationierte Lebensmittel: Seit zwei Monaten ist die einzige Zufahrt nach Armenien versperrt - 120 000 Menschen sind praktisch von der Aussenwelt abgeschnitten. Zeugnisse eines Lebens unter der Blockade.


Jeden Tag, erzählt Sasun Davtyan via Whatsapp, fahre er mit den Augen die Umrisse seines Sohnes auf dem Handydisplay ab: die Hände, die Füsse, das Köpfchen mit den braunen Haarbüscheln. Er wolle nicht verpassen, wie sein Kind wachse. Manchmal, wenn das Internet stabil sei, filme sich Davtyans Frau mit dem vier Monate alten Baby vor dem Spiegel. Das helfe dem Vater - 330 Kilometer entfernt in Armeniens Hauptstadt Eriwan. Oft breche die Verbindung jedoch mitten im Videoanruf ab. Mal bloss für wenige Sekunden, mal höre er einige Stunden lang nichts.


Eigentlich wollte der 34-jährige Finanzdirektor im Dezember nur für ein paar Tage beruflich nach Eriwan reisen: ein kurzer Unterbruch der Ferien bei den Schwiegereltern in Stepanakert, der Hauptstadt Bergkarabachs. Nun ist daraus ein Abschied auf unbestimmte Zeit geworden: Seit dem 12. Dezember ist der Latschin-Korridor blockiert, die einzige Zufahrtsstrasse zwischen Armenien und dem De-facto-Staat Arzach, wie die mehrheitlich armenische Bevölkerung Bergkarabach nennt. Vermeintliche Umweltaktivist:innen aus Aserbaidschan versperren den Weg. Viele internationale Expert:innen gehen mittlerweile davon aus, dass Baku sie gezielt steuert. 120 000 Menschen sind so weitestgehend von der Aussenwelt abgeschnitten - darunter Davtyans Familie.



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