Schon zu Sowjetzeiten war Dschermuk ein beliebter Urlaubsort. Doch seit Aserbaidschan letzten Herbst Armenien angriff, bleiben die Wellnesstempel und Hotelanlagen leer. Im benachbarten Karabach droht derweil eine humanitäre Katastrophe.
Reisepass, Bargeld - Kristina Iwanjan stopft beides in einen Rucksack, zieht eine dicke Jacke über ihren Schlafanzug und rennt los. Es ist kurz nach Mitternacht, und der Himmel über Dschermuk dröhnt. Auf der Strasse, so erinnert sich Iwanjan später, seien ihr Menschen begegnet, die glaubten, die grellen Lichter in den Wäldern seien ein Feuerwerk. Ein Fest vielleicht zu Ehren des südarmenischen Kurorts, in dem an jenem 13. September 2022 nach zwei Jahren Coronapandemie wieder Hochsaison herrscht. Auch das Olympia-Sanatorium, ein mausgrauer Koloss mit 52 Zimmern, in dem Iwanjan als Managerin arbeitet, ist damals voll belegt.
Als sie im "Olympia" eingetroffen sei, habe das Personal die Gäste bereits die Treppen hinunterdirigiert, berichtet Iwanjan. Tagsüber hatten sich die Besucher:innen in den unterirdischen Behandlungsräumen noch mit ätherischen Ölen verwöhnen lassen. Nun dient das dicke Kellergemäuer als Bunker, die Massagesessel und Sofas werden zu Feldbetten umfunktioniert. Bald sei ihr klar geworden, was sie längst vermutet gehabt habe, sagt Iwanjan: Aserbaidschan greift - nach jahrzehntelangen Kämpfen um die Region Bergkarabach - armenisches Staatsgebiet an. Auch andere Regionen im Grenzgebiet zwischen Armenien und Aserbaidschan stehen grossflächig unter Beschuss. Ein Novum im Konflikt der beiden Länder.