Mehr Entfristungen für Postdocs: Löst das Probleme oder schafft es welche? Darüber streiten Politik und Wissenschaft. Unipräsidentin Birgitt Riegraf ist dafür. Warum?
Aus Protest gegen das neue Berliner Hochschulgesetz hat Sabine Kunst, Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin, diese Woche ihren Rücktritt zum Ende des Jahres erklärt. Die Novelle sieht vor, dass wissenschaftliche Mitarbeitende, die promovieren, eine Anschlusszusage für eine unbefristete Stelle bekommen. Auch wer schon promoviert ist und habilitiert oder lehrt, muss künftig weiter beschäftigt werden.
Kunst kritisiert vor allem, dass ihre Universität aktuell nicht auf so viele unbefristet beschäftigte Mitarbeitende ausgerichtet sei. Die Hochschule brauche mehr Zeit und Geld. Bislang ist Berlin das einzige Bundesland mit einem solchen Gesetz.
In Nordrhein-Westfalen ist zwar kein neues Gesetz geplant, allerdings soll es auch dort mehr unbefristet beschäftigte wissenschaftliche Mitarbeitende geben. Wir haben mit Birgitt Riegraf, der Präsidentin der Universität Paderborn, über die Debatte um das neue Berliner Hochschulgesetz, #IchbinHanna und einen Systemwechsel in der Wissenschaft gesprochen.
ZEIT Campus: Der Rücktritt von Sabine Kunst hat viele Reaktionen ausgelöst. Hat diese Nachricht Sie überrascht?
Birgitt Riegraf: Ja, schon etwas, da es von außen betrachtet dafür keine Anzeichen gab. Im Zuge der Diskussionen um dieses Berliner Gesetz hat die Humboldt-Universität in Berlin im Gegensatz zur Freien Universität Berlin nicht sofort mit einem Einstellungsstopp reagiert. Vielmehr wollten sich Sabine Kunst und die HU auf die Suche nach kreativen Lösungen machen. Dabei sind offensichtlich die Grenzen deutlich geworden.
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ZEIT Campus: Kollegen wie der Präsident der TU Berlin haben Verständnis gezeigt. Sie auch?
Riegraf: Sabine Kunst wird gute Gründe für ihren Rücktritt gehabt haben. Die Begründungen sind nachvollziehbar.
ZEIT Campus: Im Hamburger Wissenschaftsausschuss haben Sie diese Woche gesagt, dass ein Systemwechsel im Wissenschaftssystem möglich ist. Was genau ist das Problem?
Riegraf: Eines der Probleme ist, dass in letzten Jahren das Verhältnis zwischen Haushalts- und Drittmittelfinanzierung an den Universitäten zugunsten der Drittmittel aus dem Gleichgewicht geraten ist. Dadurch ist die Anzahl von jungen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen auf befristeten Stellen insgesamt ziemlich angewachsen. Diese Situation führt unter anderem dazu, dass die Konkurrenz um die wenigen Professuren erheblich größer wird. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die auf eine Professur wollen, müssen alle durch einen engen Flaschenhals: Im deutschen Wissenschaftssystem gibt es kaum entfristete Stellen jenseits der Professuren. Die Konkurrenz um die Professuren ist also sehr groß.
"Einzelne Maßnahmen reichen nicht." Birgitt Riegraf
ZEIT Campus: Was muss sich ändern, damit es mehr unbefristete Beschäftigte im Mittelbau gibt?
Riegraf: Insgesamt müssen wir über einen grundlegenden Systemwechsel nachdenken. Mein Eindruck ist, dass die Zeit reif dafür ist und ein breiter Konsens darüber besteht, dass die derzeitige Beschäftigungssituation im Wissenschaftssystem jenseits der Professur so nicht mehr tragbar ist. Um diesen Systemwechsel einzuleiten, reicht es nicht, über einzelne Maßnahmen nachzudenken, sondern wir müssen das System sehr grundlegend auf den Prüfstand stellen - das können wir aus der Entwicklung in lernen. Für mehr unbefristete Stellen im Mittelbau müssen wir über andere Stellenmodelle nachdenken, aber das reicht nicht, um das aktuelle System grundlegend zu ändern.
ZEIT Campus: Wie könnte das aussehen?
Riegraf: Einige Ansatzpunkte: Für unbefristete Stellen im Mittelbau brauchen wir aber in jedem Falle wieder ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Grund- und Drittmittelförderung. Die Universitätsleitungen brauchen mehr Handlungsspielraum bei der Ausgestaltung von Stellenprofilen. Wir müssen über Stellenschärfungen nachdenken und darüber, wie unbefristete Stellen neben oder unterhalb der Professur aussehen könnten. Zum Beispiel den Lecturer, der sich im Mittelbau auf die Lehre konzentriert, wie im angelsächsischen Raum, oder mehr Stellen für Wissenschaftsmanagement schaffen.
ZEIT Campus: Welche Verantwortung haben Sie als Präsidentin, um Veränderungen an Ihrer Universität voranzubringen und bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen?
Riegraf: Als Universitätsleitung und als Arbeitgeber haben wir die Verantwortung dafür zu sorgen, dass die Laufzeit und die Finanzierung von Qualifikationsstellen auch tatsächlich so angelegt sind, dass das Qualifikationsziel erreicht werden kann und sich Mitarbeitende auf ihre Forschung konzentrieren können. Gezielte Personalentwicklungsstrategien sind ebenfalls Maßnahmen, die in unserer Verantwortung liegen.