Anna Marie Goretzki

Journalistin und Ethnologin, Berlin

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Chopper in Indien: Easy Rider in der Mega-Stadt

Akshai Varde lässt Edel-Chopper für die Neureichen in Mumbai bauen. (Foto: Anna Marie Goretzki)

Handgemachte Motorräder sind ein Spielzeug für Indiens wachsende Wohlstandsschicht. Tüftler Akshai Varde baut die Motorräder streng nach Kundenwunsch. Wenn es sein muss, auch in Form eines Skeletts.

Der Motor röhrt, die Maschine zittert, unter dem Wellblechdach steht eine schwülheiße Melange aus Männerschweiß, Abgasen und dem Duft von indischem Chai. Akshai Varde sitzt breitbeinig auf einem seiner Vardenchi Motorcycles und führt die 29 Pferdestärken des Motors vor. Statt in eine Werkstatt passt der 32-Jährige vom Aussehen eher in einen der Bollywood-Streifen seiner Kunden: weißes Hemd, die oberen zwei Knöpfe lässig geöffnet, große Sonnenbrille, Jeans und Lederschuhe. Akshai Varde aber ist kein Bollywood-Held, sondern Motorrad-Designer.

In Mumbais Stadtteil Yogeshwari West tüftelt er seit sieben Jahren an ausgefallenen Motorrädern für seine gut betuchte Kundschaft. Ein von Schlaglöchern durchfurchter Lehmweg schlängelt sich zwischen kleinen Schuppen hindurch, in denen dünne Männer im ölfleckigen Dhoti und mit Flipflops an den Füßen an gelb-schwarzen Rikschas schrauben. Dazwischen designet Akshai Varde mit einem Kompagnon und 25 Mitarbeitern PS-potente Luxusräder - ganz nach Kundenwunsch: sei es mit iPod-Docking-Station, extravaganter Gravur, bizarrer Bemalung oder mit der Beleuchtung eines Raumschiffes. Chopper für die Reichen, Schönen und Berühmten Indiens. Varde erinnert sich an einen der besonders ungewöhnlichen Aufträge: "Der Schauspieler Jacky Shroff sagte: ,Ich will ein Motorrad, das wie ein Skelett aussieht.' Also haben wir ihm einen Totenkopf gebaut mit zwei LEDs in den Augen. Als wir den Totenkopf zu einem seiner Filmdrehs brachten, konnte er gar nicht glauben, dass es das Frontlicht seines Motorrads werden sollte."

Gestapelte Autoreifen dienen als Arbeitsplatz für zwei Angestellte, die mit hochfrequenten Hammerschlägen zwei Metallhälften zu dem formen, was einmal der Benzintank werden soll. An den Füßen Flipflops. Gehörschutz? Weit gefehlt. Stattdessen scheint die Sonne ein Loch in das Wellblechdach sengen zu wollen. Die Chopper entstehen immer nach dem gleichen Prinzip: Akshai Varde kauft Motorräder der Marke Harley-Davidson oder des indischen Herstellers Royal Enfield und demontiert diese bis auf Rahmen und Motor. Die übrigen Teile entwirft die Firma dann ganz nach Gusto des Kunden.

Je nach Umfang des Auftrags benötigen Varde und sein Team ein bis fünf Monate, um eines der Handmade-Motorcycles fertigzustellen. Schon als Kind war Varde in Motorräder vernarrt, mit 16 tunte er seine erste Yamaha. Nach dem Studium arbeitete er als Flugbegleiter, sparte Geld und kaufte sich eine Royal Enfield. In der Freizeit widmete er sich dann der Komplett-Modifizierung des Gefährts. Die positive Resonanz auf das Bike im neuen Look gab ihm Mut, eine kleine Werkstatt zu mieten und sich ganz auf die Motorrad-Umgestaltung zu konzentrieren. Als nächstes will Vardenchi Motorcycles einen Showroom in Mumbai eröffnen, für später hegt Varde Expansionswünsche rund um die Werkstatt.

Einer der Angestellten stemmt sich gegen deren Tür, die quietschend nachgibt. Die blaue Infinity will Akshai Varde auf einer ersten Probefahrt im Verkehr der Megacity testen. Auf dem makellos blau lackierten Tank des Vardenchi-Unikats spiegelt sich die Sonne, die im Zenit steht. Ein Motorradhelm würde die Kühlung durch den Fahrtwind verhindern - also geht es ohne den lästigen Kopfschutz los. Der knatternde Chopper lässt indische Straßenszenen wie in einem Film vorbeiziehen: In Saris gekleidete Frauen verkaufen Ananas und Melonen aus handgeflochtenen Körben, neben einem Werbeplakat schläft ein Kind im Staub, ein Hund schnüffelt nach Essensresten im Straßengraben.

In Mumbai an der Ostküste Indiens - bis 1996 offiziell Bombay - leben 18 Millionen Menschen. Ungefähr. Keiner weiß wirklich, wie viele es sind. Nur ganz wenige von ihnen können sich ein Vardenchi Motorcycle wie die Infinity leisten. Obwohl der Wohlstand wächst. Umgerechnet müssen die Kunden um die 15.000 Euro für den Luxus auf zwei Rädern hinblättern - je nach Extravaganz des Wunsches. So viel wie ein Rikscha-Fahrer in fast fünf Jahren verdient.

Plötzlich fährt die Infinity durch einen Kuhstall, rechts und links stehen die heiligen Tiere in Holzverschlägen, im nächsten Moment fliegt tief eine Boeing 747 im Anflug auf den Shivaji International Airport vorbei - und dann auf einmal steht die Infinity. Stau. Akshai Varde zuckt gelassen mit den Schultern: "Die Bikes sind nichts, um jeden Tag zur Arbeit oder zum Markt zu fahren. Dafür ist diese Stadt zu voll. Wochenendfahrten. Man arbeitet hart und kommt all seinen Pflichten nach und dann möchte man etwas, das einem Zufriedenheit gibt - und ein Motorrad wie das ist eines dieser Dinge." Sagt's und zirkelt den Chopper geschickt zwischen hustenden Rikscha-Fahrern, klimagekühlten Mittelklassewagen und Ochsenkarren hindurch.

Und schon rollt die Infinity wieder. Vorbei am Gateway of India und entlang des Marine Drive. Das blaue Gefährt glitzert mit dem Arabischen Meer um die Wette und sorgt für Aufmerksamkeit. "Die Leute halten ihr Auto an und machen das Daumen-hoch-Zeichen. Das sieht man oft. Sie sind überrascht, so was auf den Straßen zu sehen. Und noch überraschter, wenn sie hören, dass es in Mumbai, in Indien, gebaut wird", brüllt Akshai Varde gegen den Fahrtwind an. Dann biegt er wieder in den löchrigen Lehmweg ab. Und spätestens hier zwischen den unzähligen Werkstätten zeigt sich wieder die Realität: noch ist Indien Rikscha-Land.

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