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Sachverständigenrat: Was haben die Corona-Maßnahmen gebracht?

Maskenpflicht, Schulschließungen und 2G-Regel: Wie sinnvoll waren die staatlichen Corona-Maßnahmen? Die wichtigsten Antworten zum Gutachten des Sachverständigenrats

Sachverständigenrat

Wie wirksam sind die einzelnen Corona-Maßnahmen?

Die Bewertung der einzelnen Corona-Maßnahmen zeigt: Viele sind am Anfang effektiv, allerdings lässt der Effekt mit der Zeit nach. Bei anderen lässt sich die Wirksamkeit aufgrund fehlender Daten noch nicht abschließend bewerten.

Masken und Maskenpflicht

Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass das Tragen von Masken ein wirksames Instrument in der Pandemiebekämpfung sein kann. Entscheidend sei jedoch, dass die Maske richtig getragen werde. Eine schlecht sitzende und nicht eng anliegende Maske habe einen verminderten bis keinen Effekt, heißt es. Das müsse in der Öffentlichkeit viel deutlicher betont werden als bisher geschehen. Ob die Schutzwirkung von FFP2-Masken gegenüber medizinischen Masken wirklich besser sei, ließe sich nicht abschließend beurteilen.

Das Gremium sprach sich dafür aus, eine Maskenpflicht künftig auf Innenräume und Orte mit einem hohen Infektionsrisiko zu beschränken. Die Übertragung des Coronavirus sei in Innenräumen deutlich stärker als draußen.

Lockdowns sind dem Sachverständigenrat zufolge ein wirksames Mittel zur Bekämpfung einer Pandemie, allerdings verliere sich der Effekt schnell. Laut Bericht gibt es "keinen Zweifel, dass generell die Reduktion enger physischer Kontakte zur Reduktion von Infektionen führt". Gerade zu Beginn einer Pandemie sei es sinnvoll, die Übertragung in der Bevölkerung zu reduzieren, um das Gesundheitssystem auf die bevorstehende Krankenlast einzustellen und den Ausbruch lokal zu begrenzen. Wenn erst wenige Menschen infiziert seien, wirkten Lockdown-Maßnahmen deutlich stärker. Je länger ein dauere und je weniger die Menschen bereit seien, die Maßnahme mitzutragen, desto geringer sei der Effekt.

Kontaktnachverfolgung

Ähnlich wie bei den Lockdown-Maßnahmen sei die Kontaktnachverfolgung in der Frühphase der Pandemie wirksam, heißt es in dem Bericht. Es müsse jedoch überprüft werden, unter welchen Prämissen der Nutzen der Kontaktnachverfolgung im Vergleich zum Zuhausebleiben bei Symptomen überwiege. Außerdem sei eine bessere Digitalisierung der Infektionserfassung mit bundesweit einheitlichen Systemen zukünftig unabdingbar.

2G/3G-Maßnahmen

Laut Gutachten ist der Effekt von 2G/3G-Maßnahmen bei den derzeitigen Virusvarianten in den ersten Wochen nach der Boosterimpfung oder der Genesung hoch. Der Schutz vor einer Infektion lässt demnach mit der Zeit jedoch deutlich nach. Deshalb, empfiehlt der Sachverständigenrat, sollten aufgrund des Infektionsgeschehens Zugangsbeschränkungen erforderlich werden, eine Testung unabhängig vom Impfstatus.

Schulschließungen

Die genaue Wirksamkeit von Schulschließungen ist laut Bericht offen. Das liege daran, dass im schulischen Bereich eine Reihe von Maßnahmen gleichzeitig eingesetzt worden sei und damit der Effekt der Einzelmaßnahmen nicht evaluiert werden könne. Die Pandemie habe sich vor allem auch auf die psychische Gesundheit der Kinder ausgewirkt, heißt es in dem Gutachten. Der Sachverständigenrat empfiehlt deshalb den Einsatz einer Expertenkommission, die die Wirksamkeit von Schulschließungen unter der besonderen Berücksichtigung des Kindeswohls beurteilen soll.

Welche Auswirkungen hatte die Pandemie für Gesellschaft und Wirtschaft?

Dem Gutachten zufolge hatte die Pandemie erhebliche psychosoziale Auswirkungen für die Bürgerinnen und Bürger. Deshalb forderte das Gremium, künftig Maßnahmen wie therapeutische Angebote in die Pandemiemaßnahmen zu integrieren. Besonders betroffen waren demnach Frauen und Kinder. Viele der Maßnahmen hätten zu einer Retraditionalisierung von Geschlechterrollen geführt. So wurden demnach besonders Mütter durch Kita- und Schulschließungen erheblich eingeschränkt. Künftig dürften die Maßnahmen nicht einseitig zulasten von Frauen und Kindern gehen, forderten die Wissenschaftler.

Dem Bericht zufolge haben Bund und Länder frühzeitig auf wirtschaftliche Folgen reagiert. Diese hätten "große finanzielle Anstrengungen unternommen, um gegenzusteuern". Trotz bislang beispielloser Hemmnisse des Wirtschaftslebens sei es nicht zu einem so starken Einbruch der Wirtschaftsleistung gekommen wie in der großen Finanzkrise im Jahr 2008. "Ein großer Anstieg der Beschäftigungslosigkeit blieb bisher ebenso aus wie ein drastischer Einbruch der verfügbaren Einkommen oder ein massiver Anstieg der Unternehmensinsolvenzen", heißt es.

Wie bewertet der Rat die "epidemische Lage nationaler Tragweite"?

Für das Infektionsschutzgesetz als rechtliche Grundlage der Pandemiebekämpfung sieht der Sachverständigenrat erheblichen Reformbedarf. Die "Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite" sei juristisch fragwürdig. "An ihre Stelle sollten konkrete Ermächtigungsgrundlagen zum Erlass von Rechtsverordnungen in den einzelnen Fachgesetzen treten", heißt es in dem Gutachten.

Die vom Bundestag laut Infektionsschutzgesetz festgestellte epidemische Lage nationaler Tragweite bestand über mehrere Monate bis Ende November 2021. Sie gibt dem Bund das Recht, ohne Zustimmung des Bundesrates Verordnungen zu erlassen, etwa zu Tests, Impfungen, Arbeitsschutz oder Reiseregelungen. Zudem beziehen sich konkrete Maßnahmen wie Maskenpflicht oder Kontaktbeschränkungen, die die Länder festlegen können, laut Infektionsschutzgesetz auf die Feststellung der Lage.

Wie aussagekräftig ist das Gutachten?

Nach Einschätzung der Experten hat der Abschlussbericht nur eine eingeschränkte Aussagekraft. Es fehlten Daten und eine fachübergreifende begleitende Forschung, um die Wirkung einzelner Regelungen genau untersuchen zu können, schreiben sie. Die Experten machen vor allem die Politik und Behörden verantwortlich für eine "katastrophale Corona-Datenlage" in Deutschland, die der Grund dafür sei, dass man die meisten von der Politik verordneten Maßnahmen nur unvollständig habe bewerten können.

Der Sachverständigenrat kritisierte neben der Politik auch das RKI. So sei klar, dass die Wirkung einzelner Maßnahmen nicht erforscht sei. Trotzdem habe man nichts unternommen, um an diesem Zustand etwas zu ändern - bis heute. Dabei, so beklagen die Sachverständigen, ist das RKI laut Infektionsschutzgesetz "die zentrale Forschungs- und Referenzeinrichtung für Infektionskrankheiten".

Außerdem habe die Kommission zu wenig Zeit gehabt und zu wenig Personal bekommen, um eine "umfassende Evaluierung" vornehmen zu können. "Es war richtig, dass der Gesetzgeber im Prozess festgelegt hat, dass die Maßnahmen des IfSG (Infektionsschutzgesetz) kritisch zu evaluieren sind", heißt es in dem Bericht. "Aber zugleich erweist es sich als unglücklich, diese Aufgabe erst nach Ablauf von nahezu zwei Jahren Pandemie ernsthaft anzugehen. Insbesondere die bis dahin versäumte Erhebung der notwendigen Daten lässt sich nicht mehr rückgängig machen."

Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité hatte Ende April das Gremium verlassen. Zur Begründung hieß es unter anderem, dass Ausstattung und Zusammensetzung des Gremiums aus seiner Sicht nicht ausreichten, um eine hochwertige Evaluierung gewährleisten zu können. Die Kommission sei politisch und nicht nach wissenschaftlichen Kriterien zusammengesetzt, sagte Drosten. Er bemängelte das Fehlen eines Epidemiologen.

Was bedeutet das Gutachten für kommende Corona-Maßnahmen?

Das Gutachten soll als Grundlage für das künftige Infektionsschutzgesetz dienen - die bisherige Fassung läuft zum 23. September aus. Dann entfällt die Maskenpflicht in Verkehrsmitteln und Gesundheitseinrichtungen sowie die Möglichkeit, in von Corona stark betroffenen Hotspotregionen zusätzlich Regelungen zu verhängen.

Die Ampel-Koalition ist sich bislang uneins, welche Corona-Maßnahmen ab Herbst gelten sollen. Auf Drängen der FDP hatte sie beschlossen, zunächst die wissenschaftliche Beurteilung durch den Sachverständigenrat abzuwarten. Aus dem Gutachten ergibt sich nun weder eine klare Bestätigung der deutschen Corona-Politik noch eine nachträgliche Ablehnung.

Laut Gesundheitsministerium sollen die Eckpunkte für neue Maßnahmen noch vor der parlamentarischen Sommerpause vorgestellt werden. Die Zeit wird langsam knapp: Der Bundestag geht am 8. Juli in die Sommerpause und tagt in der Woche ab dem 5. September wieder. Die Verabschiedung des überarbeiteten Gesetzes ist dann nach dem Ende der Sommerpause im September vorgesehen.

Was ist der Sachverständigenrat?

Der Sachverständigenrat, der je zur Hälfte von Bundesregierung und Bundestag besetzt wurde, besteht aus Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen verschiedener Fachrichtungen, darunter Juristen, Ärztinnen und Virologen. Das 18 Mitglieder umfassende Gremium ist eingesetzt worden, um die Corona-Maßnahmen zu bewerten und damit der Politik auch Empfehlungen für die Zukunft an die Hand zu geben. Eine externe Evaluierung der Maßnahmen war im Infektionsschutzgesetz festgeschrieben worden.

Das Gremium ist nicht zu verwechseln mit dem Corona-Expertenrat im Bundeskanzleramt, der regelmäßig Empfehlungen zur aktuellen Pandemielage abgibt.

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