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Botanik: Was blüht da draußen eigentlich?

Blütenpracht im Garten des französischen Malers Claude Monet © Veronica Reverse/​unsplash.com

Manche nennen es Maßliebchen, andere Tausendschön und wieder andere Marienblümchen ‒ wissen Sie, welche Pflanze gemeint ist? Ein kleines, unscheinbares Gewächs mit weißen Blütenblättern und gelbem Dotter: das Gänseblümchen. Der Volksmund kennt an die hundert verschiedenen Bezeichnungen für das Gewächs ‒ je nach Region oder Dialekt heißt es anders. Und damit ist das Gänseblümchen nicht allein: Viele der Bezeichnungen für Pflanzen, die noch heute auf Wiesen und Balkonen wachsen, stammen aus dem Mittelalter, sind überliefert aus alten Büchern, Liedern und Bildern. Sie beschreiben das Erscheinungsbild einer Pflanze, geben Hinweise auf ihre Verwendung als Heilpflanze oder zeugen von so manchem Aberglauben.

In der Wissenschaft erwies sich die Namensvielfalt jedoch schon bald als nicht besonders praktikabel, zu hoch war die Verwechslungsgefahr. Deshalb bekam jede Pflanzenart ab Mitte des 18. Jahrhunderts einen einzigen wissenschaftlichen Doppelnamen. Der erste Name benennt dabei die Gattung, der zweite die Art. Das Gänseblümchen hieß ab 1753 offiziell nur noch Bellis perennis, die ausdauernde Schöne - und zwar auf der ganzen Welt.

Auf die Idee, jede Pflanze nach dieser Nomenklatur zu benennen, kam der schwedische Botaniker Carl von Linné; sein System der Namensgebung ist bis heute der Standard. Doch die alten Bezeichnungen existieren weiter - in den meisten Fällen sind sie sogar bekannter als die offiziellen Benennungen. So erlauben die überlieferten Namen einen Blick in die Welt unserer Vorfahren. Sechs rätselhafte Pflanzennamen und ihre Ursprünge:

Mummel

Glaubt man alten deutschen Sagen, dann verwandeln sich weiße Seerosen nachts in geheimnisvolle Wasserwesen: Nymphen, auch Mümmlein oder Mummeln genannt. Im Mondschein tanzen sie über die Wasseroberfläche, singen und musizieren. Sobald der Tag hereinbricht, werden sie wieder zu Seerosen, so erzählt man sich.

Ein Zusammenhang zwischen Nymphen und Seerosen findet sich bereits in der griechischen Mythologie. Eine Nymphe, die aus unerwiderter Liebe zu Herakles an gebrochenem Herzen stirbt, wird von den Göttern zu neuem Leben erweckt, allerdings in Form einer Seerose. Daher rührt wohl auch der botanische Name des Wassergewächses: Nymphaea alba - weiße Nymphe. Im Griechischen heißt sie Herakleios.

Früher galt die weiße Seerose als Symbol der Keuschheit, auch wenn der Name Nymphaea eher das Gegenteil vermuten lässt. Ihren Samen und Wurzeln wird nachgesagt, dass sie die Libido dämpfen; im Mittelalter nutzten Mönche und Nonnen die Pflanze tatsächlich zu diesem Zweck.

Namentliche Verwechslungsgefahr besteht mit der gelben Teichmummel (Nuphar luteum), auch Mümmelken genannt. Zwar gehören beide zur Familie der Seerosengewächse, nicht aber zu einer Gattung. Früher wurden die beiden Seeblumen aber nur nach ihrer Blütenfarbe unterschieden: weiße und gelbe Mummeln eben.

Lungenkraut

Das Lungenkraut hat, wie sein Name bereits verrät, etwas mit der menschlichen Lunge zu tun - genauer gesagt, mit ihrer medizinischen Behandlung. Die Klosterschwester und Kräuterkundlerin Hildegard von Bingen empfahl die auch als Lungenwurz bekannte Pflanze bereits vor tausend Jahren gegen Lungenbeschwerden, weil sie husten- und entzündungshemmend wirkt.

Im Mittelalter wurde das Lungenkraut sogar zur Behandlung von Tuberkulose eingesetzt. Denn Mediziner und Heilerinnen der damaligen Zeit nahmen an, dass Form und Farbe einer Pflanze Hinweise darauf geben können, welche Leiden sie heilen. Das Lungenkraut mit seinen weiß gefleckten Blättern erinnerte sie an eine Tuberkuloselunge.

Auch der lateinische Name Pulmonaria officinalis verweist auf die lungenheilende Wirkung der Pflanze: Pulmo heißt nichts anderes als Lunge. Der Zusatz officinalis zeigt an, dass die Pflanze zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet wird. Die Naturheilkunde setzt bis heute auf die Wirkung des Lungenkrauts, in der Schulmedizin wird es hingegen nicht verwendet.

Die Pflanze ist außerdem als Hänsel und Gretel, Brüderchen und Schwesterchen oder auch als die ungleichen Schwestern bekannt. Diese Namen beziehen sich auf die unterschiedlich gefärbten Blüten des Lungenkrauts. Bis zu ihrer Bestäubung blühen sie rosa, danach sind sie blau. Die wechselnde Blütenfarbe funktioniert wie eine Ampel für Insekten und zeigt, wann die Pflanze bestäubt werden kann.

Stiefmütterchen

Den Namen Stiefmütterchen hat die Viola tricolor ihrem Aussehen zu verdanken: Denkt man die fünf Blütenblätter als Patchworkfamilie, sitzen links und rechts neben der Stiefmutter, dem größten und buntesten Blütenblatt, ihre beiden leiblichen Töchter. In deren Schatten wachsen zwei weitere, meist dunklere Blütenblätter. Sie stellen die beiden Stieftöchter dar. Besonders anschaulich zeigt sich die stiefmütterliche Behandlung der beiden dunklen Blütenblätter auf der Rückseite der Pflanze: Während die Stiefmutter auf gleich zwei Kelchblättern thront, müssen sich die beiden Stiefkinder eins teilen.

Der lateinische Name Viola tricolor erklärt sich hingegen ohne große Fantasie. Auf Deutsch bedeutet er schlicht dreifarbiges Veilchen. Tatsächlich sind die Blütenblätter des Stiefmütterchens meist aus drei Farben zusammengesetzt: gelb, weiß und violett.

Die seltenere Bezeichnung Pensee stammt aus dem Französischen. Herbe de la pensée bedeutet so viel wie Pflanze des Andenkens. Das Stiefmütterchen gilt als Symbol der Erinnerung - und ist deshalb von Friedhöfen nicht wegzudenken. Hier ist allerdings oft das Garten-Stiefmütterchen (Viola wittrockiana) anzutreffen. Diese Kultursorte ist nicht so kälteempfindlich wie das wilde Stiefmütterchen, sie trotzt sogar Schneeschauern.

Seifenkraut

Seifenkraut oder Saponaria officinalis - sowohl der botanische als auch der volkstümliche Name weisen auf dieselbe Kraft der Pflanze hin: Sie kann wie Seife zum Waschen benutzt werden. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts diente das Nelkengewächs in Europa als Seifenersatz. In manchen Gegenden Südosteuropas kommt die Staude bis heute zum Einsatz. Die Wäsche wird mit Stücken des Wurzelstocks (Rhizom) eingerieben, in Kombination mit Wasser entsteht ein seifenartiger und reinigender Schaum.

Grund dafür: Seifenkraut enthält eine waschaktive Substanz, das sogenannte Saponin. Sie findet sich auch in Efeu oder Kastanien, die ebenfalls zum Waschen verwendet werden. Saponine reinigen besonders schonend, deshalb kommen sie auch bei besonders empfindlichen oder historischen Textilien zum Einsatz. Für die Pflanzen selbst haben die Saponine eine Schutzfunktion: Sie wirken als Abwehrstoffe, beispielsweise gegen Pilzbefall oder Insekten.

Das Seifenkraut blüht zwischen Juni und Oktober. Abends und nachts entfaltet die Pflanze einen süßlichen Duft. Die Wildform duftet dabei viel stärker als die gezüchtete Gartenpflanze Rosea Planea - nach Seife riecht allerdings keine von beiden.

Frauenmantel

Das Blatt der Alchemilla vulgaris mit seinen regelmäßigen Wölbungen erinnert an einen wallenden Umhang. Deshalb heißt das Rosengewächs auch Frauenmantel, Marienmantel oder Muttergottesmäntelchen. Weniger fromm ist ihr botanischer Name: Alchemilla, die kleine Alchemistin.

Das Pflänzchen war unter den Alchemisten des Mittelalters heiß begehrt. Doch war es nicht die Pflanze selbst, die ihr Interesse weckte, sondern der glitzernde Wassertropfen, der oft in der Mitte des Blattes zu finden ist. Denn die Alchemisten glaubten, dass man daraus Gold gewinnen könne. Die alten Germanen hingegen nahmen an, die Tropfen seien Tränen der Göttermutter Frigga. Deshalb trägt die Pflanze auch den Namen Tränenschöne.

Doch die Tropfen sind weder Tränen, noch entstehen sie durch Regen oder Tau, wie der Name Tauschüsseli suggeriert. Die kleine Alchemistin produziert sie selbst: Ist die Pflanze von Wasser gesättigt, drückt sie durch die Blattränder Wassertröpfchen nach außen - diesen Vorgang nennt man in der Guttation.

Schlafmützchen

Kaum verzieht sich die Sonne hinter die Wolken oder fängt es an zu regnen, klappen die leuchtend gelben Blütenblätter zusammen - und es sieht aus, als mache das Schlafmützchen ein Nickerchen. Schlafmützen gibt es im Pflanzenreich viele. Auch Gänseblümchen und Buschwindröschen schließen ihre Blüten, sobald Regenwetter aufzieht ‒ denn dann ist kein Besuch von Bienen oder anderen Bestäuberinsekten zu erwarten.

Seinen botanischen Namen Eschscholzia californica hat das Schlafmützchen dem Arzt Johann Friedrich von Eschscholtz zu verdanken. Anfang des 19. Jahrhunderts begleitete er als Schiffsarzt den Naturforscher Adelbert von Chamisso bei einer naturwissenschaftlichen Expedition um die ganze Welt. Die Blume mit ihren auffällig orangegelben Blütenblättern entdeckte Chamisso in San Francisco und benannte sie nach seinem Kollegen - das t ging dabei wohl verloren. Aufgrund ihrer geographischen Herkunft heißt die Pflanze auch Kalifornischer Mohn, und ihre gelb leuchtenden Blütenblätter haben ihr den Namen Goldene Kappe eingebracht.

Auch wenn das Schlafmützchen bereits im 19. Jahrhundert mit zurückkehrenden Goldsuchern aus den USA nach Deutschland kam, wird es nicht als einheimisch betrachtet. Das sind nämlich nur Pflanzen, die vor dem Jahr 1492 eingewandert sind - mit oder ohne menschliche Hilfe. Alle, die danach kamen, sind sogenannte Neopythen. Als solcher ist der Kalifornische Mohn heute in vielen deutschen Gärten zu finden. So prächtige Mohnfelder wie in Kalifornien gibt es hier aber nicht.

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