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"Alles war der Effizienz untergeordnet"

"In einem Zoomcall mit sechs Siebtklässlern, das war für mich eine Horrorvorstellung!" Als das Nachhilfeunternehmen, für das Bastian arbeitete, seinen Unterricht coronabedingt ins Digitale verlegte, gab er seinen Nebenjob als Nachhilfelehrer auf. "Die Arbeitsbedingungen waren in Präsenz schon schlecht", erzählt der 23-jährige Student. Als er dann erfuhr, dass das Unternehmen online weitermachen wolle wie bisher, befürchtete er das Schlimmste: "Im Worst Case hätte ich sechs Schüler gleichzeitig betreuen müssen. Das ist einfach nicht umsetzbar!"

Zu große Schülergruppen verschiedenster Klassenstufen und Fächer in ständig wechselnder Besetzung, das war für Bastian schon vor der Pandemie an der Tagesordnung. Hinzu kam die katastrophale Ausstattung der Räumlichkeiten: Schulbücher sind ebenso wie technische Geräte veraltet - und viel zu wenig vorhanden. Ständig musste Bastian improvisieren. "Das ist einfach sehr, sehr stressig", betont der ehemalige Nachhilfelehrer, "und steht in keinem Verhältnis zur Bezahlung."

Wie die anderen Lehrer*innen war Bastian nicht am Institut angestellt. Die Bezahlung liegt knapp über dem Mindestlohn. Und aus der Unternehmensführung gab es Druck: Die Mitarbeiter*innen würden dazu angehalten, so viele Kinder wie möglich in die Gruppen zu pressen, um den Gewinn zu maximieren, erzählt Bastian. "Da wurde alles der Effizienz untergeordnet - nicht der Lerneffizienz, sondern der wirtschaftlichen Effizienz. Die Schüler kamen immer zuletzt."

Das Nachhilfeinstitut ist chronisch unterbesetzt. Deshalb musste der junge Lehrer oft den Unterricht in Fächern übernehmen, für die er sich fachlich nicht qualifiziert fühlt. Im Endeffekt habe man ihm "jedes Fach zugeschustert, bei dem gerade Not am Mann war", erzählt er. Und wenn wieder einmal eine Lehrkraft wegen der schlechten Arbeitsbedingungen aufhörte, saßen in Bastians Kurs noch ein paar Schüler*innen mehr. Bei dem ständigen Wechsel könne man sich gar nicht aufeinander einstellen - darunter litten vor allem die Kinder.

Die Förderung der Schüler*innen hänge allein an den Honorarkräften, erzählt Bastian. Ab und zu verlängerte er der Kinder wegen seine Unterrichtsstunden: "Wenn ich gemerkt habe, der Schüler hat eine Klausur vor sich und ist noch nicht vorbereitet, dann habe ich eine halbe Stunde drangehängt" - ohne Bezahlung, versteht sich. Dieses Beispiel zeige gut, wie fehlerbehaftet das ganze Konzept sei, findet Bastian. "Aber was soll ich tun? Ich kann ihn doch nicht einfach heimschicken!"

Die Wissensvermittlung liegt Bastian. Schon zu Schulzeiten halft er Mitschüler*innen bei den Hausaufgaben und lernte gemeinsam mit ihnen für das Abitur. "Die Sache an sich macht mir großen Spaß", lacht Bastian, "und ich habe auch ein Talent dafür."

Doch die Arbeitsbedingungen am Nachhilfeinstitut machten ihm zu schaffen. Von Woche zu Woche wuchs der Frust. Als die Corona-Pandemie die Situation noch zu verschlimmern drohte, kündigt Bastian. Ein erleichterndes Gefühl: "Die Arbeitsbedingungen waren so schlecht, dass ich schlussendlich nur froh war, weg zu sein." Lange konnte er sich nicht zu diesem Schritt durchringen, wollte die Kinder nicht im Stich lassen. Dass der Unterricht digital ohnehin nicht umsetzbar schien, machte ihm den Abschied leichter.

Jetzt will Bastian die freie Zeit erst mal für sein Studium nutzen - Politologie und Volkswirtschaftslehre in Regensburg: "Mein Studium ist unfassbar spannend, aber ziemlich zeitaufwendig." Auch deshalb ist Bastian eigentlich ganz froh über den Schlussstrich. Zwei Semester sind es noch bis zu seinem Abschluss. Und wenn er fertig ist, kann sich einen lehrenden Beruf durchaus wieder vorstellen. Zum Beispiel in der politischen Bildung - und unter besseren Arbeitsbedingungen.

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