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Es war einmal eine Urlauberhochburg - WELT

Glasklares Wasser, ganzjährig sommerliche Temperaturen und eine betörende Unterwasserwelt - an Reizen ist der ägyptische Badeort Scharm al-Scheich nicht gerade arm. Seit Ägypten politisch instabil ist und der Sinai wiederholt vom Terror heimgesucht wird, sind die Gästezahlen aber im Keller. Und doch keimt Hoffnung. Momentaufnahmen vom Roten Meer

Bereits ein Blick vom Steg in das türkisblaue Wasser des Roten Meeres lässt die bunte Unterwasserlandschaft erahnen, die an der Küste vor Scharm al-Scheich friedlich schlummert. Wenn man eintaucht, spürt man warme Meeresströmungen an sich vorbeiziehen - mittendrin eine Schildkröte.

Durch die Strahlen der am Zenit stehenden Sonne erscheinen die Fischschwärme noch farbenfroher, die in die Höhe ragenden Korallenriffe noch majestätischer und die gemütlich vor sich hin treibenden Quallen noch durchsichtiger. Bei diesem Anblick halten sogar erfahrene Taucher noch ehrfürchtiger inne als sonst.

Eine Welt wie keine andere, ein schillerndes Unterwasserparadies - und gleichzeitig eine wahre Goldgrube. Seit der Erschließung der Sinaihalbinsel lebt die Region vom Tourismus.

„90 Prozent der lokalen Wirtschaft sind tourismusabhängig. Zwischen all dem Wüstensand gibt es weder Industrie- noch landwirtschaftliche Betriebe", sagt Jacques Peter, Hotelmanager der Savoy-Gruppe in Scharm al-Scheich. Der gebürtige Elsässer war hautnah dabei, als auf einer 700.000 Hektar großen Fläche aus Schutt und Sand nach und nach drei Luxushotelanlagen mit weitläufigen Poollandschaften und Sportanlagen entstanden. Der dazugehörige Soho Square, ein Las-Vegas-ähnlicher Komplex mit unzähligen Restaurants, Einkaufs- und Unterhaltungsmöglichkeiten, kam als Sahnehäubchen hinzu. Sobald die Sonne untergeht, erhellen den Platz mehrere Hundert Lichterketten und Werbetafeln. „Mister Jacques", wie der Hotelmanager hier von allen genannt wird, ist stolz auf seine leuchtende Stadt. Er lebt seit neun Jahren in Scharm al-Scheich und kennt den Ort wie seine Westentasche. Daher weiß er auch, wie wichtig zahlende Urlaubsgäste sind: „Unsere Existenz hängt von ihnen ab." Gerade weil alternative Branchen im Südsinai fehlen, seien Touristen für jedes einzelne Unternehmen lebensnotwendig.

Zur Geburtsstunde des Tourismus im Sinai vor ungefähr 30 Jahren war es nicht etwa ein zentraler Auftrag aus der Hauptstadt Kairo, der den Anstoß gab, es waren die Beduinen selbst. Die nomadischen Wüstenbewohner öffneten damals ihre Tore, weil sie Weltenbummler aus aller Herren Länder auf dem Sinai willkommen heißen und ihnen ihre Wüstenkultur näherbringen wollten.

Jahrzehnte später hat sich daran nichts geändert. Im ehemaligen Fischerdorf und Beduinenlager Dahab, etwa 80 Kilometer nördlich von Scharm al-Scheich, gibt es bis heute um die 5000 Beduinen. Sie leben vom Tourismus, aber auch von Viehzucht und Fischfang. Ihre Wüstenkenntnisse sind besonders bei den für Touristen angebotenen Kamel- und Quadtouren unentbehrlich. So sind sie im Laufe der Jahre zu einer Attraktion für Urlauber geworden, die durchaus mit kulturellem Interesse anreisen. Dass die Besuche der Beduinendörfer größtenteils inszeniert sind und weniger das wahre Wüstenleben abbilden, ist für das Urlaubsfoto oft aber kaum von Belang.

Selbstredend sind Beduinen weitaus mehr als nur eine Sehenswürdigkeit. Teile des Sinaigebietes gehören einer alteingesessenen Beduinendynastie. Ihr Oberhaupt, der Scheich, verpachtet das Land an lokale Unternehmer aus der Tourismusbranche. Auf diese Weise sind auch Mary Kirchisner und Klaus Reinhard zu ihrem Stück Land in Sharks Bay gekommen. Nur einen Katzensprung vom „Savoy"-Luxusresort entfernt haben sich die beiden Deutschen ihren Traum von der eigenen Pension mit Tauchschule erfüllt. Es ist das letzte alleinstehende Camp inmitten von großen All-inclusive-Hotelanlagen.

Klaus ist gebürtiger Augsburger, fühlt sich mittlerweile aber als „Scharmer". Kein Wunder, denn der Süden der Halbinsel und seine paradiesische Unterwasserwelt sind bereits seit 17 Jahren sein Zuhause. Vor knapp zehn Jahren lernte er bei einem Tauchausflug seine jetzige Frau Mary kennen. Kurze Zeit später wanderte die gelernte Grafikdesignerin aus Mühldorf bei München zu ihm ans Rote Meer aus. Seitdem investieren sie Zeit und Geld in den Ausbau ihres kleinen Reiches und feiern dieses Jahr zehnjähriges Jubiläum. Wenn Mary, Klaus und ihre 20 Mitarbeiter auf diese zehn Jahre zurückblicken, sind es nicht nur rosige Erinnerungen. Bereits nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 blieben die Strände von Scharm al-Scheich für einige Wochen leer. Als einige Zeit später bekannt wurde, dass die Flugzeugentführer der islamistischen Terrororganisation al-Qaida angehört hatten, wurden Reisende weltweit vorsichtiger. Ein Land wie Ägypten, das zu 80 Prozent muslimisch ist, bangt nach derartigen Vorfällen besonders um seine Gäste. Damals normalisierte sich die Lage glücklicherweise wieder.

Erst mit der Revolution von 2011 und dem Sturz des Präsidenten Husni Mubarak wurde es ernster. Krawalle, Demonstrationen, mit jedem Anschlag wuchsen die Zweifel an der Sicherheit und der Stabilität des Landes. Spätestens nach dem Absturz einer russischen Chartermaschine über dem Nordsinai im Oktober 2015 kollabierten die Besucherzahlen. Sämtliche Charterflüge aus Russland, Großbritannien und Deutschland wurden gestrichen. Scharm al-Scheich glich in dieser Zeit einer Geisterstadt. Die bunten Lichterketten und Werbetafeln am Soho Square blieben aus. Der Unterschied zwischen vor und nach der Krise sei deutlich, sagt Hotelmanager Jacques Peter. Während 2010 noch 4,7 Millionen Urlauber nach Scharm al-Scheich kamen, wurden 2016 nur noch 890.000 gezählt. Die Anzahl der Arbeitsplätze habe sich ebenfalls auf 51.000 halbiert, circa 80 der ehemals 250 Hotels mussten schließen. „Die Krise hat viele Existenzen zerstört", sagt Klaus. Auch Freunde des Unternehmerpaares mussten ihre Zelte abbrechen, da ihnen Scharm al-Scheich keine Zukunftsperspektive mehr bot.

Dass sich Angst und Skepsis in den Köpfen der Urlauber festsetzen und diese lieber alternative Reiseziele wählen, überrascht Klaus nicht. Die Hauptursache für die Touristenflaute der letzten Jahre sieht er in der Berichterstattung: „Sie hat in Europa den Eindruck vermittelt, dass in Ägypten Kriegszustände wie in Syrien herrschten. Kein Wunder, dass Ägypten als Urlaubsort gemieden wurde." Spätestens nachdem sie ein Fernsehteam eines deutschen Privatsenders besucht hat, um vor Ort Abwehrpanzer und völlig leer geräumte Supermarktregale zu filmen, steht für die beiden fest, dass es hauptsächlich um Einschaltquoten und Sensationalismus gehe. „Die Reporter waren richtig enttäuscht, als sie feststellten, dass die Lage gar nicht so dramatisch war", sagt Mary. Die beiden Auswanderer seien in all den Jahren noch nie in eine bedenkliche Situation geraten. „Wenn Urlauber in Scharm al-Scheich tätlich angegriffen worden wären, hätte sich das ebenfalls herumgesprochen", versichert Klaus. Seiner Meinung nach gehe es leider viel zu oft darum, eine möglichst brisante Geschichte zu bringen. Ob dies negative Konsequenzen für Land und Menschen habe, sei zweitrangig.

Die aktuellen Ereignisse zeigen indes: Meist im zeitlichen Zusammenhang mit christlichen Feiertagen wurden koptische Kirchen wiederholt zur Zielscheibe von Anschlägen. Im Dezember 2016 fielen Gläubige in der St.-Peter-und-Paul-Kirche in Kairo einem Attentat zum Opfer. Am Palmsonntag 2017 folgten Bombenanschläge auf zwei Kirchen in Tanta und Alexandria. Der bislang letzte Angriff galt einem Kontrollposten in unmittelbarer Nähe des Katharinenklosters im Sinaigebirge am 18. April. Alle Anschläge wurden im Nachhinein von der Terrormiliz Islamischer Staat für sich beansprucht.

700 Kilometer weiter südlich machen Sonja und Christian Kuhn aus Frankfurt trotzdem Urlaub. „Natürlich nehmen uns diese Vorfälle mit", sagt Christian Kuhn. Trotzdem möchte sich das Ehepaar nicht den Tauchurlaub am Roten Meer verderben lassen. „Wir kommen seit neun Jahren regelmäßig nach Scharm al-Scheich und hatten weder in der Vergangenheit noch jetzt Bedenken wegen der Sicherheit vor Ort", sagt Sonja Kuhn. „Wir fühlen uns hier sicher und können uns überall frei bewegen." Ob in Ägypten oder in Europa, überall könne etwas passieren. Deswegen nicht mehr aus dem Haus zu gehen, würde das Problem auch nicht lösen.

Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi hat einen Tag nach den Anschlägen am 9. April 2017 den landesweiten Ausnahmezustand ausgerufen. Dieser gilt zunächst für drei Monate und räumt den ägyptischen Sicherheitskräften erweiterte Handlungsbefugnisse ein. Dies könnte einerseits die Angst der Menschen schüren, andererseits sollten schärfere Sicherheitsmaßnahmen nicht pauschal verteufelt werden, findet Ahmed Samir. „Mittlerweile kommen nicht mal Ägypter einfach so nach Scharm al-Scheich rein", sagt der Kellner. Er selbst darf nur deswegen den Checkpoint passieren, weil er in einem der Restaurants am Meer arbeitet und dies mit einer speziellen ID-Karte nachweisen kann. Jeder, der in einem Hotel oder einem Betrieb in Scharm al-Scheich beschäftigt ist, habe eine solche Karte. Die Stadt ist nur über zwei Straßen erreichbar, die am Ortseingang mit Kontrollposten versehen sind. „An der Polizei unkontrolliert vorbeizukommen ist aufgrund der geografischen Lage eher schwierig", bestätigt Marketingmanager Waleed Otify, denn Scharm al-Scheich werde im Norden vom Sinaimassiv und im Süden durch das Rote Meer begrenzt. Der Manager aus Kairo pendelt seit 17 Jahren zwischen Scharm al-Scheich und der Hauptstadt. Alle drei oder vier Monate besucht er seine Familie, die wegen der geringeren Lebenshaltungskosten in Kairo geblieben ist. Verglichen mit dem Norden Ägyptens fühle er sich in der Küstenstadt jedoch viel sicherer.

Obwohl zahlreiche Arbeitsplätze bereits gestrichen wurden, Unternehmen zugrunde gingen und in Zukunft mit weiteren Anschlägen gerechnet werden muss, haben Mary und Klaus nie ernsthaft darüber nachgedacht, ihren Traum am Roten Meer aufzugeben und nach Deutschland zurückzukehren. „Wenn man den Schritt geht und auswandert, lässt man sich auf ein Abenteuer ein", sagt Mary. Werde es dann tatsächlich abenteuerlich, werfe man nicht gleich das Handtuch, findet sie.

Auch Jacques Peter kann sich keinen besseren Ort unter der Sonne vorstellen. Dass die deutsche Fluggesellschaft Germania wieder Direktflüge von Deutschland aus anbietet, freut nicht nur den Hotelmanager. Auch wenn die Tauchgäste trotz allem kommen wollten - allein aufgrund der wenigen Flüge sei es schwierig geworden, schildert Mary. „Das einzig Gute daran war die Belastungspause für die Natur." Weniger Badegäste und Schiffe bedeuten bessere Bedingungen für das Rote Meer und seine Fisch- und Korallenbestände.

Wie lange sich diese noch ausruhen dürfen, ist fraglich, denn Germania plant, die Anzahl der Direktverbindungen ab Deutschland im Laufe des Jahres zu erhöhen - trotz der jüngsten Anschläge. Ob das Küstenstädtchen tatsächlich aus seinem Dauertief auftaucht, ist jedoch nicht abzusehen. Zumal sich an der Teilreisewarnung des Auswärtigen Amtes so bald wohl nichts ändern wird.

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