Politik macht süchtig, sagt Mathieu Sapin. Nach der Langzeitbeobachtung von François Hollande hat er jetzt Emmanuel Macron begleitet. Ergebnis: Eine Comic-Reportage und die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Macht.
Paris, 2017 - ein paar Tage vor der Präsidentschafts-Stichwahl zwischen Marine Le Pen und Emmanuel Macron. Beim letzten TV-Duell der beiden ist der Comic-Zeichner Mathieu Sapin für den Backstage-Bereich akkreditiert. Kurz vor der Debatte kommt plötzlich Macron herein. Er schüttelt allen anwesenden Journalistinnen und Journalisten die Hand - und erzählt dem völlig perplexen Sapin, dass er seinen letzten Comic über Gérard Dépardieu gelesen habe. - Dann zwinkert er ihm zu.
Diese erste Szene ist der Grund, warum Mathieu Sapin, der der Politik nach seinen Comic-Reportagen eigentlich abgeschworen hatte, doch wieder in den Ring stieg: "Die Politik macht süchtig wie eine Fernsehserie", gesteht Sapin. "Man will wissen, wie es weitergeht, und der Wahlkampf 2017 war wie eine neue Staffel: mit vielen Wendungen und einer neuen Figur, Macron. Und als er mir sagte, dass er meinen Comic gelesen hat, war das quasi eine Einladung, eine neue Folge zu machen: Wenn man einmal damit anfängt, kann man nicht mehr aufhören - das ist wie eine Droge."
Faszination der Macht gepaart mit Selbstironie
Dieser Faszination für die Macht versucht Sapin in seinem Comic "Comédie Francaise" auf den Grund zu gehen: Wahrheitsgetreu und mit einer großen Portion Selbstironie erzählt er, wie er nach dieser ersten Begegnung mit Macron drei Jahre lang versucht, an den charismatischen, aber aalglatten Präsidenten heranzukommen - und dabei immer wieder scheitert. Die zentrale Frage: Wie kann sich ein Künstler der verführerischen Macht nähern, ohne dabei seine Seele zu verlieren?
Dazu sucht Sapin auch nach Parallelen zur Zeit des absolutistischen Sonnenkönigs - und zeichnet in einem "Comic im Comic" detailgenau den Werdegang des Dramatikers Racine nach: Der gilt wegen seiner Tragödien heute als das Sinnbild der französischen Sprache - und auch er hatte einen Hang zur Macht, sagt Sapin: "Was ich nicht wusste: Racine hat ziemlich jung mit dem Theater aufgehört, um an den Hof zu gehen und Propaganda für den König zu machen: freiwillig, nicht aus finanziellen Gründen, denn seine Theaterkarriere lief ja sehr erfolgreich. Er hat das wirklich gemacht, um dem König nahe zu sein."
Durch die beiden Erzählstränge reflektiert Sapin das ambivalente Verhältnis von Kunst und Macht: Damals waren Künstler oft vom Wohlwollen der Monarchen abhängig. Die Monarchen wiederum nutzten die Künstler für ihre Zwecke. Und auch heute sind Kreative oft auf Fördergelder oder Institutionen angewiesen. Dennoch gibt es große Unterschiede, betont Sapin: "Es liegt nahe, Vergleiche zu ziehen - aber eigentlich ist da nichts vergleichbar: Denn die Epoche von Ludwig XIV. war letztlich eine Diktatur: Es gab keine Möglichkeit zum Protest, die Kirche war sehr repressiv... Das ist heute in Frankreich nicht der Fall, auch wenn einige behaupten, dass man sich nicht frei äußern kann. Aber Frankreich, eigentlich ganz Europa ist heute eine Demokratie. Das ist der große Unterschied."
Sapin kam Macron zwar nie so nahe wie dessen Vorgänger Hollande, doch er schaffte es immerhin ins "Vorzimmer" der Macht: Und so gewährt er als zeichnender Beobachter einen Einblick hinter die Kulissen der Politik - etwa, wie er von einem Journalisten Macrons Handynummer bekam und der ihn dann um ein Abendessen mit Dépardieu bat, oder wie eine Pressereise mit dem Präsidenten nach La Réunion ablief. Als Zeichner hat er da gewisse Vorteile: "Die Leute stehen dem Zeichnen viel wohlwollender gegenüber - und oft habe ich bestimmte Akkreditierungen nur bekommen, weil ich zeichne. Wäre ich Fotograf, hätten sie gesagt: Nein, keine Fotos, keine Videos. Außerdem transportiert ein Comic visuell Informationen, die der Text nicht rüberbringt: Hintergründe, Einrichtungen, Gesichtsausdrücke... Aber ein Comic ist trotzdem immer ein Zusammenspiel aus Zeichnung UND Text."
Neben dem Erzähltext, den Zeichnungen und den Sprechblasen gibt es noch eine vierte Erzähl-Ebene: Kleine Kommentare auf gelbem Grund, die mal selbstironische Bemerkungen über seine eigene Figur sind, mal weiterführende Infos über alle dargestellten Personen - wie Fußnoten. Dadurch kann man sich beim Lesen schon mal verzetteln. Gleichzeitig zeigt dies die Authentizität der Comic-Reportage: Nichts darin ist - laut Sapin - fiktiv.
In fünf höchst unterhaltsamen und lehrreichen "Akten" beschreibt er auf 165 Seiten das Polit-Theater in Frankreich - damals wie heute. Auf die Frage, um welche Gattung es sich dabei handelt, antwortet der Comicmacher: "Ich neige dazu, die Dinge immer mit Humor zu sehen, deshalb würde ich sagen, es ist eine Komödie - oder vielleicht eher eine Tragikomödie."