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Corona-Wiederaufbaufonds: Warum Karlsruhe EU-Schulden prüft

Ein Hilfspaket der EU von 750 Milliarden Euro soll den Staaten helfen, die Folgen der Pandemie zu bewältigen. Dafür werden gemeinsam Schulden aufgenommen. Ob das zulässig ist, entscheidet nun das Bundesverfassungsgericht.

Es war die Zeit, als es noch kaum Impfungen gegen Corona gab und sich viele EU-Länder im Lockdown befanden. Die EU rang deshalb mit dem Problem, wie die Folgen der Pandemie abgemildert werden könnten.

Die Antwort der Staats- und Regierungschefs im Sommer 2020: Ein 750 Milliarden Euro teures Hilfspaket, der sogenannte Corona-Wiederaufbaufonds, soll die Wirtschaft der Mitgliedsländer in dieser Ausnahmesituation wieder ankurbeln. Zur Finanzierung der Hilfen darf die EU erstmals Schulden machen. Die EU-Kommission nimmt also befristet bis 2026 Kredite am Kapitalmarkt auf.

Ging die EU zu weit?

In Deutschland wird diese Entscheidung nun vom Bundesverfassungsgericht überprüft. "Die EU als Institution ist nicht befugt eigene Mittel auf dem Finanzmarkt aufzunehmen, sondern kann nur das ausgeben, was ihr die Mitgliedstaaten zuteilen", argumentierte einer der beiden Kläger, der Unternehmer und Ex-BDI-Chef Heinrich Weiss bei der Verhandlung in Karlsruhe.

Der zweite Kläger, AfD-Mitbegründer und Hamburger Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke, hat eine Gruppe von mehr als 2200 Bürgerinnen und Bürgern hinter sich versammelt. Auch er meint, dass die EU die Entscheidung gar nicht hätte treffen dürfen, weil sie damit ihre Kompetenzen überschritten habe. Die Konsequenz wäre, dass dann auch die deutsche Zustimmung des Bundestags zu dem EU-Ratsbeschluss nicht hätte fallen dürfen. Diese Entscheidung greifen die Kläger deshalb vor dem Bundesverfassungsgericht an.

Sorge vor "Schuldenunion"

Politisch steht hinter dem juristischen Streit vor allem die Sorge vor dem schleichenden Eintritt in eine sogenannte Schuldenunion. Das gemeinsame Schuldenmachen durch die EU führt nämlich dazu, dass Deutschland im Ernstfall für andere Mitgliedsstaaten haften könnte, wenn sie die Hilfsgelder nicht rechtzeitig zurückzahlen.

Die Kläger meinen deshalb, Deutschland ginge mit dem Fonds unkalkulierbare Haftungsrisiken ein. Außerdem würde der Beschluss die Hoheit des Bundestages über die eigenen Finanzen aushebeln und damit gegen EU-Recht verstoßen.

Allerdings müsste Deutschland nicht sofort haften, wenn ein Mitgliedstaat bei der Rückzahlung ausfällt. Erst einmal würde die EU-Kommission einspringen. Wenn sie nicht zahlen kann, würde Deutschland außerdem nicht komplett haften, sondern nur für einen Teil.

EU-Verträge lassen Schuldenaufnahme offen

Juristisch ist die Frage, ob die EU Schulden aufnehmen darf, vor allem deshalb so schwierig zu beantworten, weil dazu in den europäischen Verträgen wenig steht. Es gibt weder eine Norm, die der EU die Schuldenaufnahme ausdrücklich erlaubt noch eine, die sie gezielt verbietet.

Vorgesehen ist aber die Möglichkeit, dass die Mitgliedstaaten in besonders schwierigen Situationen auch zu besonderen Maßnahmen greifen dürfen, um miteinander solidarisch zu sein.

Darauf beruft sich die Bundesregierung und versichert, der Corona-Wiederaufbaufonds sei eine Ausnahme in der Pandemie gewesen. Der Beschluss ebne deshalb auch nicht den Weg in eine Schuldenunion, weil er das gemeinsame Schuldenmachen nur gezielt für diesen Krisenfall und nicht darüber hinaus ermögliche.

Erste Gelder bereits ausgezahlt

Ob das Bundesverfassungsgericht dieser Haltung folgt, ist offen. In einer Eilentscheidung im April hatte das Bundesverfassungsgericht das Ja des Bundestags zu der EU-Entscheidung jedenfalls nicht gestoppt. Der Corona-Wiederaufbaufonds konnte in Kraft treten. Zuvor hatten alle EU-Mitgliedstaaten zugestimmt.

Das Hilfsprogramm ist also angelaufen. Die EU-Kommission hat bereits viele Investitionspläne von Mitgliedstaaten genehmigt und nach eigenen Angaben schon mehr als 170 Milliarden Euro ausgezahlt.

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