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Insolvente Pflegeheime trotz teurer Plätze

Viele Pflegeheime stehen vor der Insolvenz, obwohl Pflegebedürftige oft mehrere Tausend Euro für einen Platz bezahlen. Warum ist die Finanzierung der Heime so schwierig und wie könnte die Lage verbessert werden?


Fast 2.500 Euro müssen Pflegebedürftige inzwischen durchschnittlich jeden Monat an Eigenanteil zuzahlen. Die Kosten variieren dabei zwischen den Bundesländern um mehrere hundert Euro. In Sachsen-Anhalt zahlen Pflegebedürfte im ersten Jahr ihrer Pflege im Durchschnitt knapp unter 2.000 Euro, in Nordrhein-Westfalen hingegen etwa 2.800 Euro. Das geht aus einer Erhebung des Verbandes der Ersatzkassen aus dem Januar 2023 hervor. Die genauen Kosten hängen zudem von der Wahl des Pflegeheims ab. Für Einrichtungen im gehobenen Preissegment zahlen Pflegebedürftige auch 4.500 Euro oder noch mehr als Eigenanteil.

Seit Januar 2022 unterstützt die Pflegekasse aber die Betroffenen beim Eigenanteil - abhängig von der Dauer der Pflegebedürftigkeit. Im ersten Jahr übernimmt die Pflegekasse fünf Prozent des Eigenanteils des Pflegebedürftigen, im zweiten Jahr dann 25, im dritten 45 und ab dem vierten Jahr 70 Prozent. Damit sollen Pflegebedürftige vor Überforderung durch steigende Kosten geschützt werden.

Im September 2022 waren diese Kosten zuletzt nochmal deutlich gestiegen. Seitdem werden Pflegekräfte nämlich nach Tarif bezahlt. Eine Regelung, die gut für die Pflegekräfte ist und ihnen mehr Gehalt beschert hat. Die Kosten aber werden an die Pflegebedürftigen weitergereicht. Weshalb immer weniger Menschen den letzten Lebensabschnitt mit ihrem eigenen Geld finanzieren können.

Seit 2017 ist der Eigenanteil fast unabhängig vom Pflegegrad. Ob man im Pflegegrad 2 bis 5 eingestuft ist, spielt keine Rolle mehr für die Kosten, die man übernehmen muss. Wer allerdings lediglich im Pflegegrad 1 eingestuft ist und trotzdem vollstationär gepflegt werden möchte, bekommt lediglich 125 Euro Zuschuss zu einem Pflegeplatz und muss den Rest selbst bezahlen. Die Kosten, die die Pflegekasse zahlt, fallen aber je nach Grad natürlich unterschiedlich aus. Ein Pflegebedürftiger im Grad 2 kostet die Kasse 770 Euro, im Grad fünf sind es 2.005 Euro.

In Deutschland springt die Sozialhilfe ein, wenn jemand den Eigenanteil nicht stemmen kann. Trotzdem ist das eigene Vermögen inzwischen oft entscheidend dafür, ob ein Pflegebedürftiger zeitnah einen Pflegeplatz findet oder nicht.

Jens Bauermeister betreibt ein Pflegeheim im Berliner Süden und er spricht offen darüber, dass die finanziellen Engpässe immer mehr zu einer Zwei-Klassen-Versorgung führen: „Die Bearbeitungszeiten bei der Sozialhilfe sind sehr langsam, und teilweise müssen da die Pflegeeinrichtungen und die Pflegedienste viel Geld vorfinanzieren. Und als kleiner Träger ist das auch nur sehr bedingt möglich."

In seiner Einrichtung sei ein Drittel der Bewohner Sozialhilfeempfänger. Er müsse sehr genau überlegen, ob er viele weitere Sozialhilfeempfänger annehmen könne. Eine zu hohe Quote könne seinen mittelständischen Betrieb gefährden.

Die Betreiber haben insbesondere drei Probleme: Steigende Mieten, hohe Energiepreise und den Fachkräftemangel.

Die Energiepreise und die Mieten können die Betreiber zumindest teilweise auf die Bewohner umlegen. Der Fachkräftemangel hingegen wird für viele Altenheime zum Ruin. Fehlendes Personal führt zu der paradoxen Situation, dass in immer mehr Pflegeheimen Betten leer stehen, obwohl der Andrang groß ist. Der Grund ist die gesetzlich vorgeschriebene Untergrenze für das Personal: Die Heime dürfen nur so viele Betten belegen, wie sie den Anforderungen entsprechend mit ihrem Personal abdecken können. Fehlt das Personal, müssen die Betten also leer stehen. Leere Betten aber sind für Pflegeheime der sichere finanzielle Ruin.

„Wir müssen mit einer 96-prozentigen Auslastung rechnen, sonst sind wir von der Kalkulation der Pflegekassen her, wenn wir darunter sind, im Minusbereich", sagte Jens Bauermeister, der ein Pflegeheim im Berliner Süden leitet. Die Pflegekassen handeln mit den Heimbetreibern regelmäßig neue Pflegesätze aus, diese sind aber immer sehr knapp kalkuliert.

Ein weiterer Kostentreiber waren die Infektionsschutzmaßnahem während der Corona-Pandemie. Diese hätten für Betreiber viele Zusatzkosten bedeutet, sagte der Geschäftsführer des Verbands katholischer Altenhilfe in Deutschland, Andreas Wedeking, Anfang März 2023. Zwar würden Pflegesätze an die gestiegenen Kosten angepasst, aber erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung. Die Finanzierung der Altenheime laufe dadurch dem realen Kostenanstieg hinterher.

Wenn ein Altenpflegeheim Insolvenz anmeldet, dann hat das für die Mitarbeitenden und Bewohner oft weniger Konsequenzen als befürchtet. Denn meistens werden die Heime von neuen Betreiber aufgekauft, die dann auch das Personal und die Pflegebedürftigen übernehmen, berichtet Tobias Hartwig, der als Insolvenzverwalter für das Unternehmen Schultze und Braun arbeitet.

Heime, die nicht rentabel arbeiten, finden trotzdem einen Käufer, weil die Marktbedingungen nicht für alle Unternehmer schlecht sind. Während kleine Betriebe straucheln, kann sich das Geschäft ab einer bestimmten Größe noch immer lohnen. Einer, der das aus eigener Erfahrung weiß, ist Christoph Jaworski.

Jaworski betreibt mehrere Pflegeheime und ambulante Dienste vom nördlichen Hessen bis ins südliche Niedersachsen. Es kommen immer mehr dazu - zuletzt ein kleines Pflegeheim in Braunschweig, das Haus am Lehmanger, das ihm Insolvenzverwalter Tobias Hartwig vermittelt hat. Fast 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt der Unternehmer inzwischen an 16 verschiedenen Standorten. Doch wenn man ihm zuhört, bekommt man den Eindruck, lieber, als die insolventen Heime zu sanieren, wäre ihm eigentlich, sie würden die Hilfe gar nicht brauchen.

„ Ich persönlich bin überzeugt davon, dass die 40-Betten Pflegeheime die besseren Pflegeheime sind. Klassisches Beispiel, eine Einrichtung in der Nähe von Kassel, die wir mal übernehmen sollten. 35 Betten. Die Eigentümerin ist 85 Jahre alt. Die war Gemeindeschwester. Sie kennt vor Ort alle. Das sind zwei Einfamilienhäuser, die mit einem Baukörper verbunden sind. Das ist einfach ein Zuhause."

Doch solche kleinen Pflegeheime könnten auf dem Markt heute nicht mehr bestehen, wenn sie nicht zu einem größeren Unternehmen gehörten. Jaworski macht dafür die politischen Bedingungen verantwortlich: Während er mit seinem großen Unternehmen die zwölf Monate überbrücken konnte, die die letzten Pflegekassen-Verhandlungen bei ihm gedauert hätten, treibe das kleinere Heime in den Ruin.

Klar ist, dass der Druck im Pflegesystem zunehmen wird. Denn die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland steigt - und wird weiter steigen. Das Statistische Bundesamt gibt an, dass Ende 2021 fünf Millionen Menschen in Deutschland gepflegt wurden. Bis 2055 werde diese Zahl auf 6,8 Millionen ansteigen, schätzt das Bundesamt. Danach seien keine größeren Steigerungen mehr zu erwarteten, weil ab 2055 geburtenschwächere Jahrgänge pflegebedürftig werden.

In den kommenden Jahren müssen also mehr und mehr Pflegebedürftige finanziert werden, dabei ist das Pflegesystem jetzt schon am Limit. Das Bundeskabinett hat am 5. April 2023 einen Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) beschlossen, der Abhilfe schaffen soll. Ein wichtiger Baustein darin: Höhere Beiträge zur Pflegeversicherung. Ab dem 1. Juli 2023 soll der Beitrag zur Pflegeversicherung um 0,35 Prozentpunkte steigen.

Für Menschen im Pflegeheim sollen die Leistungszuschläge um fünf bis zehn Prozentpunkte angehoben werden. Wer längere Zeit gepflegt wird, müsste dann einen kleineren Eigenanteil zahlen. Lauterbach selbst räumte ein, dass damit noch keine langfristige Perspektive für die Pflege geschaffen sei. Zu dieser Frage habe man eine Kommission eingesetzt.

Im größten Problemfeld, dem Fachkräftemangel, wurde ein entscheidender Schritt schon gemacht: Seit dem 1. September 2022 müssen Pflegeheime ihre Beschäftigten nach Tarif bezahlen. Eine Lohnerhöhung, die ein Baustein sein kann, um den Beruf attraktiver zu machen. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sind noch nicht abschätzbar. Das Eintrittsgehalt in den Beruf sei aber immer noch ein Drittel zu niedrig, meinte der Pfleger Marcus Jogerst-Ratzka in Deutschlandfunk Kultur.

(Quellen: Deutschlandfunk, Ann-Kathrin Jeske, Stephan Karkowsky, pto)
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