
Bleed-Chef Michael Spitzbart mit dem Bikini aus Recycling-Material für die Saison 2018 © Ann-Christin Baßin
Für diese Mode musste kein einziges Tier leiden
Für
Billig-Kleidung bezahlen weltweit Textilsklaven mit ihrer Gesundheit
und Tiere mit ihrem Leben. Öko-Modelabels setzen einen Kontrapunkt und
bringen Sportswear auf den Markt, die nichts mehr mit dem
Kartoffelsack-Image zu tun hat
Von Ann-Christin Baßin
Helmbrechts bei Bayreuth. 26 Grad im Schatten. Die Strickmütze sitzt. – Egal, wie warm es ist, von seiner Beanie trennt sich Michael Spitzbarth nur zum Schlafen. Der Modedesigner steht halt auf Kopfbedeckungen. Die Mütze gehört – wie auch die hellgraue Jeans, das schwarze T-Shirt mit der Aufschrift „Sustainability is not a crime“ (dt. Nachhaltigkeit ist kein Verbrechen) und das grüne Hemd aus Hanf, das er trägt – zu seiner eigenen Kollektion. Der 36-Jährige ist so ganz anders, als man sich einen Modeschöpfer vorstellt. Mit einem exzentrischen Karl Lagerfeld oder Jean-Paul Gaultier hat er nichts gemein. Michael Spitzbarth war Profi-Skater und ist als Franke sowieso total bodenständig.
„Von meinen Eltern habe ich die Kreativität nicht“, sagt er lachend. „Die sind eher auf der drögen Seite zu Hause: meine Mutter ist Buchhalterin und mein Vater ehemaliger Stadtkämmerer. Beide ausgesprochene Zahlenmenschen. Ich bin froh, dass ich sie in diesen Dingen immer um Rat und Hilfe bitten kann. Das war oft auch bitternötig …“
Mode erhält bei uns wenig Wertschätzung
Ihr einziges Kind hat schon immer gern gezeichnet und gebastelt, Skateboards und T-Shirts selbst bemalt und mit Siebdruck experimentiert. Die Herstellung von Textilien hat in Michael Spitzbarths Heimatstadt eine jahrhundertealte Tradition. Bereits im Mittelalter gab es hier Leinen- und Woll-Webereien. Von hier aus gingen Stoffe in die ganze Welt. Kein Wunder, dass er nach dem Abitur Textil- und Modedesign im nahegelegenen Münchberg studierte. Aber ihm war früh klar, dass er kein High-Fashion-Designer für teure Einzelstücke sein wollte, sondern ein sinnvolles, serielles und möglichst langlebiges Design schaffen wollte. „Ich finde es schlimm, dass Mode eine Lebensdauer von zwei bis höchstens fünf Monaten hat“, erklärt er.
Die neuesten Modelle der angesagten Designer werden in Windeseile kopiert und dann von den großen Ketten zu Schleuderpreisen angeboten. Acht oder mehr neue Kollektionen innerhalb eines Jahres sind normal. Laut Greenpeace besitzen Deutsche heute vier Mal mehr Kleidung als noch 1980. Das Ergebnis sind überfüllte Kleiderschränke mit kaum getragenen Klamotten oder Wegwerf-Mode, für die Textilarbeiterinnen ausgebeutet werden und unsere Umwelt leidet.
Michael Spitzbarth: „Ich versuche mit aller Kraft, die Schnelllebigkeit da raus zu nehmen, mache Slow- statt Fast-Fashion.“
Doch bis dahin war es ein weiter, steiniger Weg. Nach dem Studium folgten anderthalb Jahre in bei einem bekannten Sportartikelhersteller. „Furchtbar war das“, erinnert sich der Qutdoor-Freak. „Ständig ist von Natur und Draußen die Rede, dabei sind die Produkte voller Chemikalien, die Umwelt und Gesundheit belasten! Ich hab’s irgendwann nicht mehr ausgehalten.“
Keine Öko-Kartoffelsack-Mode
2008 gründete er sein eigenes Label mit dem martialischen Namen bleed. „Denn für unsere Produkte muss niemand bluten. Keine Qual, kein Mord, kein Gift“, erklärt der Designer. „Der Mensch hat die Erde rücksichtslos ausgebeutet, und gerade in der Modeproduktion passiert relativ viel Leid: Tierleid, Menschenleid und auch die Natur kriegt einiges ab an Giftstoffen, die ungefiltert in die Flüsse und Seen geleitet werden.“
Seine ökologische, nachhaltige Qutdoor- und Street-Mode, ist tierfreundlich und fair produziert. Aber stylisch und cool, das heißt keine typische Öko-Kartoffelsack-Mode. In guter Qualität, mit funktionalen Schnitten, in schönen, dezenten Farben, aber relativ unspektakulär. Und das ist Absicht, denn man soll die Klamotten der Marke „bleed“ lange tragen können.
Spitzbarth: „Wir versuchen, dieses Bluten zu stoppen, indem wir Werkstoffe verarbeiten, die aus recyceltem Polyester oder Tencel sind und wiederverwendet werden können oder natürliche Rohstoffe, zum Beispiel aus Eukalyptuspflanzen, die biologisch abbaubar sind. Schon während ich etwas entwerfe, mache ich mir Gedanken über seine Entsorgung. Dieser Verantwortung darf man sich heute nicht mehr entziehen. Man muss drastisch werden, um den Leuten begreiflich zu machen, was ihr Konsumverhalten bewirkt.“
Dass viele Menschen beim Thema vegane Mode die Augen verdrehen, ist er gewohnt. Als Pionier auf diesem Gebiet musste er Einiges wegstecken. Seine erste Kollektion bestand aus nur 20 Teilen. T-Shirts und Pullis. Damit ging der bleed-Gründer bei verschiedenen Läden Klinkenputzen, die er aus der Skaterszene kannte.
„Ich hab mir ’ne Menge Nackenschläge abgeholt“, gesteht er. „Meine Sachen waren viel zu groß geschnitten und die Auswahl zu gering. Statt leger und weit mussten die Shirts figurbetonter sein. Und mit unter 50 Teilen brauchte ich nirgends mehr aufzuschlagen.“ 2008, im großen Börsencrash gestartet, gab ihm niemand Geld. Es war die schwierigste Zeit für Gründer. Banken winkten alle ab. Selbst viele Freunde haben nicht verstanden, was Michael wollte. Nachhaltigkeit war noch kein Thema.
2400 Jeans in Vaters Doppelgarage sorgten für schlaflose Nächte
„Im Nachhinein war es ganz gut, dass ich nicht als Betriebswirtschaftler gedacht habe, sondern als Skateboarder: Wenn dir etwas misslingt, musst du immer wieder aufstehen, solange bis es klappt. Das hat mir im Leben immer geholfen“, sagt Michael Spitzbarth.
„Heute würde ich Gelder ohne Ende bekommen. Ich reinvestiere in meine Firma. Wir haben unseren Break-Even-Point nach vier Jahren erreicht. Doch die ersten drei Jahre waren richtig schlimm. Schlaflose Nächte. Damals gab es kaum positive Resonanz!“
Auf seiner ersten Messe 2009 standen 20 Öko-Herstellern etwa die gleiche Anzahl Einkäufer gegenüber. Heute umfasst seine Kollektion ca. 300 Teile und Öko-Mode ist ein großer Trend, an dem die Modebranche nicht mehr vorbeikommt.
Franken ist das Land von Bier und Fleisch. „Beim Bier bin ich geblieben, beim Fleisch nicht. Für mich war das Tierleid der Massenproduktion immer furchtbar“, sagt der Mann ohne Fernseher, der gern selbst kocht und als Sportler sehr auf seine Ernährung achtet. Am liebsten macht er Ratatouille oder vegane Burger aus Grünkern oder Kidneybohnen und Pilzen. „Wir kochen mindestens einmal pro Woche auch zusammen in der Firma. Natürlich vegan. Beim Essen kann man sich gut austauschen.“
Man kann so gut sein, wie man will, wenn’s keiner mitkriegt, geht man pleite. Michael Spitzbarths großes Ziel war es damals, Öko-Jeans herzustellen. Mit wenig Chemikalien und reduziertem Wasserverbrauch. Die Waschungen sollten mit Ozon durchgeführt werden und die Effekte mit dem Laser. „Jeans sind sozusagen die Königsdisziplin. Durch Beziehungen fand ich eine Fabrik, die zu meinen Bedingungen produzieren konnte, doch ich musste wenigstens 2400 Hosen abnehmen.“
Dafür wurde kurzerhand Vaters Doppelgarage ausgeräumt. „Als der Laster auf den Hof rollte, war ich nicht sicher, ob die Jeans da alle reinpassen würden“, sagt der 36-Jährige lachend. Viele schlaflose Nächte und Warnungen seiner Mutter folgten. Doch es gelang ihm, die Hosen innerhalb von neun Monaten zu verkaufen.
Kork statt Mord
Was ihm nun noch fehlte, war ein Leuchtturmprojekt, das auch in den Medien für Aufmerksamkeit sorgte. Einige Umwelt-Preise hatte er ab 2011 schon bekommen. Da kam ihm in Portugal – seiner zweiten Heimat – 2015 der Geistesblitz: weltweit die erste vegane „Lederjacke“ aus nachwachsendem Kork herzustellen. „Die Idee entstand aus einer Bierlaune heraus“, erinnert sich der begeisterte Skater, Surfer, Snowboarder, Wanderer und Kletterer. Es gibt in dem Land viele Korkeichen. Dünn geschnitten und schwarz eingefärbt ein flexibles, weiches Material, allerdings zehn Mal so teuer wie Leder. Per Crowdfunding sammelte Michael Spitzbarth von mehr als 500 Unterstützern etwa 73.000 Euro ein. Das war der Durchbruch! Durch die Jacke wurde sein Label schlagartig bekannt.
Mittlerweile beschäftigt er 7 Mitarbeiter. Vor allem seine Kollegin Lena Grimm, die für die Damenmode verantwortlich ist, liebt das Handwerk: Mit Holzschnitten, Handzeichnungen und kleinen Stickereien sorgt sie immer wieder für Hingucker. Ihre erste eigene Outdoor-Kletter-Kollektion aus Stoffresten und kam sehr gut an. Das Foto-Shooting dafür fand natürlich im nahen Fichtelgebirge statt. Freunde fungierten dabei als Models.
„Wir fotografieren immer nur Freunde und Bekannte, die den Sport auch tatsächlich ausüben“, sagt Michael Spitzbarth. „Das sieht man den Bildern auf unserer Homepage und in den Katalogen auch an. Sie wirken viel natürlicher.“
Was wünscht sich der frisch verheiratete Designer für die Zukunft? ,„Dass sich mehr Leute für ökologische, stylische Mode begeistern. Dass der Trend weggeht von der sogenannten Fast Fashion. Und dass unsere aktuelle Bademoden-Kollektion aus alten Fischernetzen und Teppichresten ein Erfolg wird.“ www.bleed-clothing.com
Zum Original