
Fremde Leute aus aller Welt an einem Esstisch – das ist die Idee von EatWith. Die Gäste von Cornelia Kohlers aus Berlin warten auf ein ganz besonderes Drei-Gänge-Menü ©Ann-Christin Baßin
In Privatwohnungen mit lauter Unbekannten ein Abendessen genießen? Wer im Urlaub die Landesküche durch Einheimische kennenlernen und einige Insidertipps bekommen möchte, mietet sich bei eatwith.com einen Platz an der Tafel. Ein besonderes Erlebnis für Gäste und Gastgeber
Von Ann-Christin Baßin
Es gießt wie aus Kübeln, während ein Gast nach dem anderen triefend in das Ladengeschäft von Cornelia Kohlers huscht. Die Künstlerin aus Berlin-Schöneweide hat an diesem Abend für neun Gäste ein Drei-Gänge-Menü vorbereitet. Die weißen Servietten sind akkurat gefaltet, die sommerliche Tisch-Deko aus Sanddornzweigen und Zitronen wirkt einladend.
Zugegeben, es kostet ein wenig Überwindung, sich in einer fremden Stadt mit lauter unbekannten Menschen privat zum Essen zu verabreden. Die Idee: hungrige Reisende erfahren bei gastfreundlichen, einheimischen Köchen mehr über Land und Leute. Das zumindest verspricht die Dinner-Community EatWith. Sie bietet rund um den Globus in über 200 Städten – von New York, über Buenos Aires, Sydney, Zagreb bis Barcelona – Menüs über Gastgeber-Plattformen im Internet an. In Deutschland kann man in Berlin, Düsseldorf, Bonn und München teilnehmen.
Gegründet wurde EatWith von dem israelischen Geschäftsmann Guy Michlin im Jahr 2012. „Ein Jahr zuvor war ich mit meiner Frau und meiner kleinen Tochter im Urlaub auf Kreta“, erinnert er sich. „Und bald hatte ich genug von dem ewig gleichen Touristen-Futter. Ich sehnte mich nach einem authentischen griechischen Essen.“ Da fiel ihm ein, dass ein ehemaliger Kollege auf der Insel lebt. Guy wollte eigentlich nur einen Restaurant-Tipp haben, konnte der Einladung „Kommt vorbei und esst mit uns“ dann aber nicht widerstehen. Guy Michlin: „Er war der schönste Abend der ganzen Reise und eines der besten Essen meines Lebens.“
Eine Erfahrung, die ihm noch lange nachging. „Ich dachte, das ist es doch, was jeder Reisende sich wünscht: willkommen zu sein und sich wie zu Hause zu fühlen, gerade wenn man weit weg ist“, sagt er. Das Airbnb der Gastronomie sozusagen. Zurück in Tel Aviv kündigte er seinen Job bei einem führenden Solarunternehmen und fand in Shemer Schwarz einen IT-Spezialisten, mit dem er seine Idee verwirklichen konnte. „Wir waren es einfach leid, in den angesagten Restaurants zu reservieren, auf unseren Tisch zu warten und einen Haufen Geld dafür auszugeben“, berichtete Shemer Schwarz. „Es musste eine neue Möglichkeit geben, auswärts gut zu essen.“
Die beiden Existenzgründer nahmen an einem Förderprogramm für Startups teil, erhielten Büroräume, ein Coaching und ein Mentoring. Nach einigen Monaten stieg ihr Förderer als erster Investor bei EatWith ein. Weitere Partner folgten. Bis heute brachte das Unternehmen ein Risikokapital von acht Millionen Dollar auf und zählt mittlerweile 14 Mitarbeiter, verteilt auf Barcelona, Tel Aviv und San Francisco.
Rat mal, wer zum Essen kommt!
Die Anmeldung für das Dinner funktioniert wie bei Airbnb: Man wählt online Ort und Termin aus und schaut, was angeboten wird. Dann erscheinen Menüplan, Fotos vom Essen und von der Wohnung sowie eine Selbstbeschreibung des Gastgebers und seine Bewertungen. Bestätigt der Gastgeber die Anfrage, wird der Teilnahmebetrag per Paypal eingezogen. Man ist zum Essen verabredet.
In Berlin haben sich um 19 Uhr alle Gäste um die schön gedeckte Tafel von Cornelia Kohlers (41) versammelt: fünf Frauen und vier Männer aus ganz unterschiedlichen Bereichen: ein Pärchen aus Finnland, ein Weinhändler und ein Mitarbeiter des rbb aus Berlin, zwei Bloggerinnen aus der Nachbarschaft, ein weiteres Pärchen aus Frankfurt und eine Fotografin aus Hamburg. Alle zwischen 26 und 55 Jahre alt. Sie wollen ungewöhnlich essen, dabei nette Leute kennenlernen und es gemütlich haben.
Vor ihnen liegt ein Mohnbrötchen und selbst gemachte Kräuterbutter als Amuse gueule. Dazu ein Erdbeer-Cocktail. Danach folgt das köstliche Drei-Gänge-Menü: Als Vorspeise gibt es hausgemachtes Mandel-Ciabatta mit Tomaten-Nektarinen-Haselnussöl und mariniertem Oktopus. Der Hauptgang besteht aus Bio-Spareribs vom Thüringer Duroc Schwein oder vegetarisch mit mariniertem Tempeh (Fleischalternative aus Sojabohnen), dazu Tomaten-Zwiebel-Chutney, Mousse aus geröstetem Mais, getrocknete Cherrytomaten mit Thymian, Pimientos de Padrón und Rauchmandeln. Das Fleisch ist butterzart und fällt fast vom Knochen. Im Gegensatz dazu die knackigen Rauchmandeln – ein Genuss! Abgerundet wird das Menü durch ein Dessert, bestehend aus einer Zitronentarte und einem Rhabarber-Erdbeersorbet mit kandierten Minzblättern und frischen Erdbeeren. Der Preis: 57 Euro pro Person, inklusive aller Getränke wie Wasser, Wein und Kaffee. Normalerweise muss Alkohol selbst mitgebracht werden. Aber Wolfgang, der Weinhändler, hat den passenden Rosé- und Rotwein ausgesucht.
„In dieser Gegend kann man nirgends so gut essen wie bei Cornelia“, resümiert Theresa, die Bloggerin aus der Nachbarschaft. Beifälliges Nicken reihum.
Vom Supperclub zur Kontaktbörse
Über die Hälfte der Gäste sind Wiederholungstäter, denn Cornelia Kohlers betreibt schon seit einiger Zeit einen Supperclub, ist als Gastgeberein also erfahren. Für EatWith ist es ihr erstes Event. Vorher wurde sie eingehend gebrieft. Denn das Unternehmen lässt nicht jeden Koch auf seine Kunden los. Laut Geschäftsleitung schaffen es nur vier bis acht Prozent der Bewerber, in die Reihe der Gastgeber aufgenommen zu werden. EatWith-Mitarbeiter prüfen potentielle Kandidaten anhand von online-Bewerbung, Fotos vom Essen und Veranstaltungsort, stellen persönliche Fragen und beurteilen ein Demo-Abendessen. Wichtig ist die Persönlichkeit und Kommunikationsfähigkeit des Hobby-Kochs oder der -Köchin, wie einzigartig, sauber und gemütlich der Ort ist und wie gut die Qualität des Essens ist. Frisch und hausgemacht sollte es sein. Die Gastgeber kreativ und leidenschaftlich. 15 Prozent der Einnahmen gehen als Provision an EatWith, dafür erhalten die Gastgeber einen professionellen Internetauftritt und sind mit bis zu einer Million Dollar für eventuelle Folgeschäden abgesichert.
Bei Cornelia braucht man sich keine Sorgen zu machen: alles bestens! Auch die Tischgespräche sind interessant: kulinarische Geheimtipps machen die Runde, aktuelle Ausstellungen, die man unbedingt besuchen sollte, und Reisen sind ein Thema. Es wird viel gelacht. Und nach dem Essen kann man endlich die interessante Location genauer in Augenschien nehmen. Normalerweise laden Gastgeber zu sich nach Hause ein. Cornelia, Tochter eines Weinbauern aus dem Schwabenland, ist Bildhauerin, Modedesignerin und Event-Managerin und hat in ihren Showroom gebeten. Hier quillt Kreativität aus jeder Ecke: Die Gäste sitzen in einem Birkenwald. Unter den Füßen knirschen weiße Kiesel, ein ausgestopfter Kolkrabe blickt von der Zimmerecke herab. Auf dem Weg zum Klo lauert ein weißer Gipswolf in Originalgröße. Und auf dem stillen Örtchen selbst hängen Zinkeimer mit üppigen Grünpflanzen sowie ein fetter Frosch aus Pappmaché von der Decke.
In der Regel dauert ein Essen etwa drei Stunden. Bei Cornelia ist es so gemütlich, dass sich ihre Gäste erst kurz vor Mitternacht verabschieden. „Wenn ich spüre, die Stimmung ist gut, mag ich den Abend nicht abrupt beenden“, sagt sie. „Schließlich setze ich mich meist erst später dazu und möchte auch etwas von meinen Gästen haben.“
Zum Schluss drückt sie Interessierten noch Flyer mit Infos über den Industriesalon Schöneweide in die Hand. In diesem Stadtteil gibt es also noch jede Menge andere Kunst zu entdecken.
Alle sechs Wochen müssen die drei Jungs der WG zusammenrücken
Bei Flipo in Berlin-Kreuzberg geht es etwas prosaischer, aber nicht weniger herzlich zu. Der angehende Psychotherapeut und leidenschaftliche Hobbykoch lädt seit knapp drei Jahren ins Wohnzimmer seiner WG ein. Aber nur geschlossene Gruppen. Meistens sind es Firmen aus dem Ausland. Einige Chefs wollen ihren Mitarbeitern etwas Besonderes bieten. Letzte Woche ließen es sich z.B. 22 Norweger bei Flipo schmecken. „So viele Gäste hatte ich noch nie“, sagt er lachend. „Die Leute sind immer sehr nett, ich habe noch keine schlechten Erfahrungen gemacht.“
Seine Abende sind fast immer ausverkauft, die Bewertungen in den sozialen Netzwerken sehr gut. Amerikaner, Spanier, Norweger, einmal gab es sogar einen Junggesellinnenabschied von einer Italienerin. Achtmal war der 31-Jährige schon Gastgeber. „Größtenteils sind diese Events jedoch eher langweilig und formal, aber sehr nett“, gesteht er. Gekocht wird immer saisonal. Aktuell sieht sein Drei-Gänge-Menü so aus: Chicorée und Radicchio mit Roquefort-Käse, Lamm-Bolognese und als Nachspeise Kaiserschmarrn., denn als Österreicher liebt er Mehlspeisen. „Meine Küche ist sehr von meinen Eltern beeinflusst, die früher viel nach Italien gefahren sind. Die meisten meiner Gäste wollen Fleisch. Nur selten koche ich vegetarisch. Fleisch, Parmesan oder Olivenöl müssen eine gute Qualität haben. Gemüse hole ich teilweise auch vom Discounter, sonst komme ich preislich nicht hin.“
Ein Dinner mit Fremden kann ein großer Erfolg sein
Bei Flipo kostet das Menü 34 Euro. Davon gehen knapp fünf Euro an EatWith. Der Rest muss die Kosten für die Zutaten und den Arbeitsaufwand abdecken. Für den Studenten ist das Online-Portal EatWith ein kleines Zubrot, aber man muss es auch mögen, dass Fremde durch die eigene Wohnung streifen. Inzwischen wirbeln viele virtuelle Mitess-Zentralen das Restaurantgewerbe ordentlich durcheinander. Doch nirgendwo gibt es so viele Gastgeber wie in Barcelona. Schuld ist die Wirtschaftskrise. Hier fanden sich bei EatWith allerdings auch die meisten Paare wie z.B. Alberto und Ella. Für Jean Yves aus Paris, der schon 736 Gäste bewirtet hat, ist es das Schönste, wenn die Gäste am Ende des Abends begeistert applaudieren. www.eatwith.comZum Original