Anke Pedersen

Freie Journalistin - Wirtschaft, Hotellerie, Reise, Mobilität, Sustainability , Kempen

2 Abos und 2 Abonnenten
Artikel

Kettenreaktion

Mit derartigem Gegenwind werden Marriott und Hilton wohl nicht gerechnet haben: Kaum hatten die beiden Hotelgiganten verkündet, kurzfristige Zimmerstornos ab 48 Stunden vor Anreise künftig mit einer Gebühr in Höhe des Übernachtungspreises zu berechnen, da hagelte es Protest und Boykottdrohungen aus vielen Teilen der Geschäftsreisewelt. Das Storno bis 18 Uhr am Anreisetag sei im Corporate Travel ein Muss, so der Tenor, alles andere ein Angriff auf die Flexibilität der Reisenden.


Doch Hilton und Marriott wagen diesen Angriff nicht als Einzige. So groß scheint der über Jahre gewachsene Schmerz im Angesicht eingeschränkter Planungssicherheit, dass schon kurz nach ihren US-Konkurrenten auch die britische Intercontinental Hotel Group verkündete, Buchungen kostenlos nur noch bis 24 Stunden vor Anreise zu canceln. Und in Deutschland appellieren Branchengrößen wie Elke Schade an ihre Kollegen, diese "super Vorlage" der Ketten aufzugreifen, um die "wirtschaftlich unsinnigen Stornierungsbedingungen" endlich zu revidieren.


Nur fünf Prozent aller Buchungen werden innerhalb von 48 Stunden vor Anreise storniert

Zwar liegt der Anteil der Buchungen, die innerhalb von 48 Stunden vor Anreise storniert werden, bei nur etwa fünf Prozent, das zeigt ein Blick auf das Buchungsverhalten der größten HRS Unternehmenskunden in den zurückliegenden zwölf Monaten.


Doch darum gehe es ja auch gar nicht, findet die Chefin des Beratungsunternehmens Marketing4Results, Gabriele Schulze, sondern darum, "dass die Hotellerie wohl die einzige Branche sein dürfte, die ihre leicht verderbliche Ware für Wochen aus dem Vertrieb nimmt, um sie dann achtlos kurz vor der erwarteten Gastanreise wieder vor die Füße geworfen zu bekommen".


Dass zumindest Marriott nach dem Starwood-Deal seine Marktmacht über kurz oder lang darauf verwenden würde, die Kosten der Übernahme wieder reinzuholen - ob mit höheren Raten oder nun eben verschärften Stornobedingungen -, war allseits erwartet worden. Auch überrascht es nicht wirklich, dass mit Hilton die Nummer zwei dieser Welt in dem von Ketten dominierten US-Markt nachzieht; und auf die USA und Kanada beschränken sich die neuen 48-Stunden-Regelungen ja derzeit noch. Fraglich hingegen, ob auch der Rest der Branche - und insbesondere auch die Individualhotellerie - dem Vorstoß der Großen folgen wird. Allen voran in Märkten wie Europa und Asien, in denen eben nicht die Ketten den Ton angeben.


Zugegeben: Zur Privathotellerie gehört Interconti nicht gerade. Dennoch fahren die Briten ihre neue Storno-Policy kettenweit - beziehen den europäischen Markt also explizit mit ein. Daher ist es möglicherweise auch kein Zufall, dass sie sich mit ihrer 24-Stunden-Hürde für eine abgemilderte Form des Stornos entschieden haben. Proteste jedenfalls - sie blieben weitgehend aus. Kann der Gast - insbesondere aber der Business Traveller - damit also leben?


Benjamin Park sagt Ja, erwartet aber eine Gegenleistung. "Ich finde das Bis-18-Uhr-kostenlos-Storno der Hotellerie nicht fair gegenüber", erklärt der Travel Manager bei Parexel. "Um 18 Uhr kann man ein Zimmer nur noch schwer anders verkaufen. Ich denke, wenn die Hotels preislich ein wenig runtergehen, wären 24 Stunden vorher für jeden Corporate okay. Das kann man meistens schaffen."


Viele seiner Travel-Management-Kollegen scheinen das ganz ähnlich zu sehen. Um herauszufinden, wie groß die Toleranz ihrer Corporate-Kunden gegenüber alternativen Stornobedingungen ist, hat HRS hundert von ihnen ganz konkret befragt. Das Ergebnis: Ein Drittel der Umfrageteilnehmer plant die Verhandlung "entsprechender Sonderkonditionen" in der gerade begonnenen Sourcing-­Saison. Wie diese Extras beziehungsweise "Gegenleistungen" aussehen könnten, erklärt Benjamin Park: Wenn ein Hotel in einer Verhandlung nicht bereit sei, die 18-Uhr-Regelung beizubehalten, müsse man eben nach Kompromissen für beide Seiten suchen. Motto: "Ich akzeptiere dein neues Storno, dann sag du mir: Was kriege ich für 24 Stunden, was für 48 Stunden?"

Vor die Wahl gestellt, entscheiden sich 82 Prozent aller Corporates für das Hotel mit 18-Uhr-Storno

Unverschämt? Mag ja sein. Aber wer den dicken Fisch angeln will - den mit den großen Übernachtungsvolumina -, der sollte auch den richtigen Köder wählen. Ob er einem selbst schmeckt oder nicht. Und der Köder, auch das zeigt die Umfrage von HRS, heißt Flexibilität in der Reiseplanung: So gaben satte 82 Prozent der Teilnehmer an, "bei der Wahl zwischen zwei Hotels mit der gleichen Anzahl an Sternen, gleichem Service und vergleichbarem Standort besonders stark das Haus mit den flexibleren Konditionen zu bevorzugen".

Die Branche hat es versäumt, ihren Gästen zu sagen, wie kulant sie ist!


Für Gabriele Schulze ist das ein typischer Fall von "Immer ist der Hotelier der Idiot!". Denn sobald ein Firmenkunde um die Ecke komme, erwarte dieser grundsätzlich "die niedrigsten Raten und die kulantesten Stornoregelungen". Ein Unding, findet die Ex-Chefin der Best Western Hotels Deutschland: "Wenn du so viel Flexibilität willst, dann zahl dafür!", appelliert sie in Richtung der Corporates und betont: "Die Leute sollen sich bewusst werden, wie viel Geld die Hotellerie verliert!"


Dass zumindest Marriott nach dem Starwood-Deal seine Marktmacht über kurz oder lang darauf verwenden würde, die Kosten der Übernahme wieder reinzuholen - ob mit höheren Raten oder nun eben verschärften Stornobedingungen -, war allseits erwartet worden. Auch überrascht es nicht wirklich, dass mit Hilton die Nummer zwei dieser Welt in dem von Ketten dominierten US-Markt nachzieht; und auf die USA und Kanada beschränken sich die neuen 48-Stunden-Regelungen ja derzeit noch.

Fraglich hingegen, ob auch der Rest der Branche - und insbesondere auch die Individualhotellerie - dem Vorstoß der Großen folgen wird. Allen voran in Märkten wie Europa und Asien, in denen eben nicht die Ketten den Ton angeben.

Naturgemäß sieht HRS das ganz genau so. Seit Bekanntwerden der verschärften Stornopolitik der Ketten raten die Kölner der Privathotellerie, dies als Chance zu begreifen. Motto: Der Corporate-Kunde wolle es nun mal flexibel, also bietet ihm diese Flexibilität! Den Vorwurf, HRS schlage sich damit auf die Seite seiner Firmenkunden, mag Björn Nilse, bei HRS Director Hotel Solutions für die deutschsprachige Region, so nicht stehen lassen. "Es sind nicht wir Mittler, die Flexibilität fordern. Wir spiegeln nur das wieder, was wir in den Gesprächen mit unseren Firmenkunden gesagt bekommen, und beraten unsere Hotelpartner dahingehend, wie sie diesen Wünschen nachkommen können."


Diese Chance könne ein Hotelier nutzen oder es eben lassen, wenn es für sein Haus keinen Vorteil bringe. Entscheidend sei aber, diese Entscheidung bewusst zu treffen beziehungsweise erst dann, wenn man sich mit den eigenen Preisen und Leistungen beschäftigt habe. Nilse: "HRS bietet Hotels das entsprechende Werkzeug, um sowohl flexible als auch restriktive Raten anzubieten."

Zur Beschäftigung mit dem eigenen Pricing rät auch Hotelexpertin Elke Schade. Die Meinung der Buchungsportale hält sie in diesem Kontext zwar für "irrelevant": "Das sind Vermittler und somit ist klar, dass diese die einfachsten und kundenfreundlichsten Bedingungen haben möchten; und das ist auch legitim." Legitim sei aber auch, "dass die Hotels wirklich mal kalkulieren, wie sich die quasi nicht vorhandene Stornierungsfrist in der Kasse auswirkt".


Als Aufruf dazu, nun gar keine flexiblen Raten mehr einzustellen, will die langjährige Chefin bei Dorint und den Ringhotels das gleichwohl nicht verstanden wissen. Stattdessen seien "eigenes unternehmerisches Denken und Handeln gefragt", betont sie - wohl wissend, dass dazu oftmals der Mut fehle à la: "Na ja, das machen doch alle so, sonst bucht ja keiner mehr." Schades Rat gegen das Gefühl der Machtlosigkeit: "Kommunikation ist ganz wichtig! Zeigen Sie Ihrem Kunden die Vorteile auf, die Sie ihm gewähren! Sagen Sie ihm: Ich bin jetzt kulant." Denn genau das habe die Branche bislang versäumt: "Ihren Gästen zu sagen, wie kulant sie ist." Darüber hinaus solle jeder viel mehr mit seinen Raten und Kontingenten spielen. "Das ist klassisches Yield Management und ein Tool, was die Leute noch immer nicht genug nutzen."

Zum Original