Digitalisierung und demografischer Wandel haben massive Auswirkungen auf das Verbraucherverhalten. Im modernen Travel Management spiegeln das nicht zuletzt Ansätze wie die Traveller Centricity. Doch reicht das? Ein Gespräch mit Werner Reinartz, Professor für Handel und Kundenmanagement an der Universität zu Köln.
Ticketkauf am Automaten, Self-Check-in am Airport, Selbstbedienung am Buffet im Hotel - das Prinzip des "arbeitenden Konsumenten" ist aus dem Alltag des modernen Reisenden nicht mehr wegzudenken. Der Haken: Je besser der Kunde ein neues Prinzip erlernt hat, sei es die Bedienung einer App oder einer Softwareanwendung, desto brüchiger wird die persönliche Beziehung zum anbietenden Dienstleister. "Der arbeitende Konsument ist ein loyaler Kunde, aber nur solange alles funktioniert", warnt der Kölner Handelsexperte Werner Reinartz, "aber wenn ihm etwas nicht gefällt, dann ist er ganz schnell weg."
Reinartz: Wenn ein Regelkorsett zu eng ist, in diesem Fall die Reiserichtlinien, dann wird sich das System einen Short Cut suchen, sich von selbst neu regeln. Das heißt: Jedwede Bemühung des Travel Managements, seinen Kunden, also den Reisenden, mithilfe des Systems zu sehr einzufangen, wird nichts nützen, wenn entscheidende Kundenbedürfnisse nicht befriedigt werden.
Das ist eine weltweite Entwicklung, die von drei parallel laufenden Trends befördert wird: der digitalen Transformation, dem demografischen Wandel der Konsumenten sowie dem fortschreitenden Wertewandel wie etwa der zunehmenden Individualisierung durch die Möglichkeiten von Informationsbeschaffung, Preisvergleich und so weiter. Jeden Mittler, ob Händler oder Travel Manager, stellt diese Entwicklung vor die zentrale Frage, ob und wie die Vorteile auf Kundenseite seine eigenen Nachteile ausgleichen können.
Nehmen wir das Beispiel Google: Google arbeitet hochdynamisch und immer fokussiert darauf, wie man die eigenen Mitarbeiter wirklich zufrieden machen kann. Für das Unternehmen ist dies ein dauernder Spagat zwischen Effizienz, Kosten und Vielfalt. Diese Variablen muss ich in der Balance halten. Dazu gehört unabdingbar eine gewisse Transparenz. Man muss seinen Mitarbeitern also erklären, warum Regeln so sind, wie sie sind. Es ist eine Kosten-Nutzen-Abwägung, bei der es immer um den Wert geht, das Trade-off zwischen den Kosten (Preis und Zeit) auf der einen und dem Benefit auf der anderen Seite. Das Travel Management muss sich also fragen: Wo kann ich für meinen Reisenden einen Mehrwert generieren?
Was für ein Mehrwert kann das sein?
Zunächst die Frage: Was ist der Nutzen für ein Unternehmen, wenn seine Mitarbeiter ihre Reisen selbst buchen müssen? Die offensichtliche Antwort: Kostenersparnis. Weil die Abwicklung nicht mehr über ein Reisebüro laufen muss oder weil die Buchung über eine besondere Software aus vielerlei Gründen effizienter ist.
Wenn man als Kunde beim Einchecken eine Schlange am Schalter sieht, an dem nur ein Mitarbeiter sitzt, dann ist das gewöhnlich eine Hemmschwelle. Also hält man nach einem Automaten Ausschau. Oder einer App. Allerdings muss der Verbraucher auch erst mal die App herunterladen und die Bedienung lernen - also eine Art Investment eben, so etwas wie Fix- beziehungsweise Lernkosten. Wenn das System dann gelernt ist, geht es meist sehr viel schneller, das heißt die jeweiligen variablen Kosten bei jeder Folgenutzung der App sind deutlich niedriger.
Richtig. Der Punkt ist nun: Hat er das System einmal gelernt, kann er ganz differenziert damit umgehen, ist also effizienter und effektiver. Das heißt: Er erreicht in kürzerer Zeit ein besseres Resultat.
Natürlich. Insgesamt kommt es aber auch auf die Nutzungs- und Reisefrequenz des Mitarbeiters an. Und da sollte man womöglich in Segmenten denken beziehungsweise zwischen den Segmenten Heavy User (Vielreisender) und Light User (Wenigreisender) unterscheiden. Ein Mitarbeiter, der nur ein paarmal im Jahr auf Dienstreisen geht, hat nicht dieselbe Lernkurve wie der Heavy User. Aus diesem Grund müsste man dem Light User genauer erklären, worauf er bei einer Buchung zu achten hat, da ihm ja die Erfahrung fehlt. Ein standardisierter Buchungsweg wäre für ihn wahrscheinlich besser. Dem Heavy User hingegen sollte man aufgrund seiner Erfahrung mehr Auswahlmöglichkeiten und Flexibilität bei seiner Buchungsentscheidung einräumen.
Ein Vorteil für einen Heavy User kann zum Beispiel sein, dass ihm die Entscheidung offensteht, ob er nach einer Geschäftsreise direkt zurückreisen oder aber das Wochenende vor Ort noch dranhängen will.
Wenn das Regelkorsett dagegen zu eng geschnürt ist, dann führt das zum Verlust seiner Loyalität?
Die Beziehung des arbeitenden Konsumenten zu seinem Mittler ist eine recht spröde und kann relativ schnell brechen, wenn etwas nicht funktioniert. Um beim Reisenden zu bleiben: Wenn das System funktioniert, dann ist er zufrieden. Zum Funktionieren des Systems gehört aber auch das Wissen des Konsumenten, dass ihm bei besonders schwierigen Fragen geholfen wird. Dass er also Rückgriff auf eine Person hat, die ihm hilft. Das ist die Balance zwischen Effizienz (er bucht selbst) und Effektivität (er ist zufrieden). Diese Balance muss das Travel Management schaffen, indem es sich fragt: Wie stelle ich meinen Kunden optimal zufrieden und das nachhaltig?
Bei Compliance geht es stets um die Frage, wie sich Motivation am besten aufbauen lässt. Extrinsische Motivation steht für Strafe oder, wie bei Bonusprogrammen, für Belohnung und ist entsprechend konditionierend. Die intrinsische Motivation steht für die Eigenmotivation eines Mitarbeiters: Er ist zufrieden, weil er den Mehrwert hat, wie zum Beispiel eine hinreichende Auswahl zwischen Car2go oder Taxi. Die intrinsische Motivation ist natürlich am nachhaltigsten.
Usability ist nichts weiter als ein Hygienefaktor. Ein Beispiel: Ein Auto ohne ABS würde kein Mensch kaufen. Das heißt aber nicht, dass Autos mit ABS jemanden explizit zufriedenstellen.
Professor Reinartz, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.