Im Zwielicht südamerikanischer und osteuropäischer Metropolen haben sich Kleinkriminelle auf ausländische Geschäftsreisende spezialisiert. Mit Kleinfeuerwaffen oder scharfen Klingen werden die Anzug- und Kofferträger zu einem gemeinsamen Ausflug im einheimischen Pkw genötigt, bei dem die häufige Nutzung der Kreditkarten des Opfers an Geldautomaten im Mittelpunkt steht. Wehren ist zwecklos, eher lebensgefährlich.
Völlig hilflos reagieren die meisten Opfer auf diesen Überfall. Mit so etwas haben sie nicht gerechnet - und ihr Arbeitgeber auch nicht. Beraterin Andrea Zimmermann, Chefin einer auf Geschäftsreisen spezialisierten Firma, greift zu Sarkasmus. "Es ist ja schön, dass die meisten inzwischen eine Auslandsreisekrankenversicherung für ihre Reisenden abgeschlossen haben". Das allein aber reiche nicht aus. "Der Gesetzgeber schreibt Unternehmen die Pflicht zur Fürsorge vor und das bedeutet - soweit möglich - das Abwenden von Schäden und nicht nur deren Regulierung", sagt Zimmermann.
Spezielle Verhaltenstrainings etwa für den Fall einer Entführung gehören für die Beraterin ebenso dazu wie das Durchspielen von Rückholszenarien bei Erdbeben, Unfällen oder Krankheiten. Reichlich Ereignisse mit dem Risiko eines Schadensfalles im eigenen Unternehmen gab es allein in letzter Zeit: Erdbeben auf Haiti, Bombenattentate in Mumbai, Entführung deutscher Ingenieure im Irak.
Sicherheitsexperten bemängeln die Risikovorsorge. Zwar existiere in "knapp 60 Prozent der deutschen Unternehmen ein Risikomanagement für Geschäftsreisen", ermittelte Ernst-Otto Thiesing, Professor an der niedersächsischen Ostfalia-Hochschule, in einer Studie. Es zeige sich jedoch, "dass eine aktive Risikokommunikation und -vorbereitung" nach wie vor eine untergeordnete Rolle spielten.
Die Geschäftsreisenden würden zwar angehalten, Impfungen vorzunehmen und Versicherungen abzuschließen, doch aktive Informationen wie etwa Seminare oder Gespräche mit dem Risikomanager des Unternehmens finden laut Thiesing nicht einmal in jedem zweiten Fall statt. Und das nicht, weil Sicherheitsmanagement Geld kostet: Vielmehr fehle es an Zeit, Know-how und dem Bewusstsein, dass das Risikomanagement Existenz und Erfolg des Unternehmens sichern sowie die Risikokosten minimieren kann.
Nicht nur Reisende sollten auf den Fall der Fälle vorbereitet werden. "Auch die Chefsekretärin muss wissen, was im Notfall zu tun ist", mahnt Sicherheitsexperte Gerd Otto-Rieke, Gründer des Forums Sicherheit und Reisen. Wen soll sie informieren: Die Polizei? Die Versicherung? Das BKA? Darf sie Blutgruppen herausgeben?
Vor allem Deutschlands Mittelstand hat nach Expertenansicht kaum Standards für die Reisesicherheit von Mitarbeitern. Dabei seien es gerade kleinere Unternehmen, warnt Ute Brinkmeyer, Expertin eines Geschäftsreiseanbieters, die der Ausfall von Führungskräften schnell in eine Existenz bedrohende Situation stürzen kann.
Reise-Risiken gibt es nicht nur in der Dritten Welt, sondern auch schon mal in der Schweiz. Anfang des Jahres hatte Libyens Präsident Ghaddafi zum "Heiligen Krieg" gegen die Eidgenossen aufgerufen, nachdem sein Sohn dort unangenehm aufgefallen war. Sicherheitsexperten stuften daraufhin die Bedrohungslage für Hotels mit internationalen Gästen als deutlich erhöht ein - passiert ist aber nichts.
(Erschienen im Handelsblatt vom 11.05.2010)