Mit rein restriktiven Reiserichtlinien (RRL) ist heute kein Staat mehr zu machen. Denn längst geht es nicht mehr nur um die Einsparung von Kosten - es geht um die Produktivität eines Business Trips als solchem. Damit einher geht eine Neudefinition der Beziehung zwischen Travel Manager und seinem Reisenden: Der Kontrolleur wandelt sich zum Coach.
Für Vertreter der alten Schule muss der Workshop "Managing your Travellers" während der GBTA-Tagung im November in Berlin ein echter Schock gewesen sein. Nicht nur wurde behauptet, dass Reiserichtlinien zum Kostensenken nicht taugten (Scott Torrey, Concur). Überdies glauben die Travel Manager von Concur, Nestlé, AstraZeneca und BCD Travel, der "Schlüssel für die Zukunft" (Marc Zuber, Nestlé) liege darin, den Reisenden einzubinden: um sein Verständnis zu werben, Anreize zu schaffen, ja ihn sogar selbst entscheiden zu lassen! Motto der Manager: Der Mensch im Mittelpunkt. Dabei war es gerade noch andersherum. Eben erst war man sich noch einig gewesen, dass es infolge der Krise 2008ff nur eine Priorität geben könne: die der Kostenoptimierung. "Das Thema Mensch existiert nicht mehr", hatte BCD-Travel-Chef Stefan Vorndran damals bestätigt. Und VDR-Präsident Dirk Gerdom war angesichts der Politik restriktiver Reiserichtlinien davon überzeugt: "Der Mensch ist ein sehr belastbares Wesen und richtet sich schnell auf neue Gegebenheiten ein." Und nun die Rolle rückwärts? Nicht ganz. Denn auch den Vertretern der neuen "Traveller Centricity" geht es keineswegs darum, ihre Reisenden nur noch mit First-Class-Flügen und Fünf-Sterne-Unterkünften zu beglücken. Ihre Rechnung ist jedoch eine andere: Statt nur mehr den Menschen als reinen Kostenfaktor zu betrachten, fragen sie jetzt nach dem Return on Investment einer Geschäftsreise als solcher. "Es gibt eine Verschiebung weg vom Order-und-Kontroll-Ansatz der Vergangenheit hin zur Betrachtung des Reisenden und der Produktivität jeder Fahrt", erklärt ACTE-Executive Director Greeley Koch. Das Ziel: die höchstmögliche Rentabilität jedes einzelnen Business Trips.
Balanceakt: Kosten versus Mitarbeiterzufriedenheit
Verantwortlich für diesen Paradigmenwechsel sind gleich mehrere Entwicklungen, allem voran die weltwirtschaftliche Gesundung. Schon 2013 hatte eine HRS Befragung unter Europas Travel Managern ergeben, dass die Abwägung zwischen Mitarbeiterzufriedenheit auf der einen und Kostenreduzierung auf der anderen Seite abhängig ist vom jeweiligen wirtschaftlichen Umfeld: Je schwächer eine Wirtschaft, desto rigider die Sparmaßnahmen zulasten der Employee Statisfaction - vice versa. Nach Überwindung der 2008er-Krise wurde jedoch nicht nur die eine oder andere überzogene Härte wieder zurückgedreht. Auf einmal stand auch das bis dato vorherrschende Primat restriktiver Steuerungsprogramme selbst auf dem Prüfstand. Denn auf Dauer, so hatte sich gezeigt, beschneidet die blanke Kostenoptimierung nicht nur den Komfort des Reisenden. Auf der Kippe steht stets auch die mit der Reise intendierte Investition. Denn wie effizient - respektive: produktiv - kann ein Mitarbeiter eine Verhandlung führen, wenn etwa die Lage des vorgegebenen Hotels eine stressige Anfahrt in der Rushhour erfordert? Gestützt wurden die Überlegungen von der Erkenntnis, dass, wie Concur-VP Scott Torrey schätzt, 45 Prozent aller Business Traveller ohnehin gegen Reiserichtlinien verstoßen. Wie effizient kann ein solcher Ansatz also sein? Zumal in Zeiten des technologischen Umbruchs. Denn kaum hatte das Umdenken auf Unternehmensseite begonnen, legte der Siegeszug von Smartphones, Tablets & Co. den Traum des Travel Managements von der durchgehenden Kontrolle beziehungsweise Steuerung des Reisenden auf Eis. Und noch eine dritte Entwicklung zeigt(e) nachhaltige Auswirkungen auf das Selbstverständnis des Travel Managers: der mit dem demografischen Wandel einsetzende "War for Talents". Denn nun, so fand die DRV-Initiative "Chefsache Business Travel" heraus, beurteilen 70 Prozent aller Reisenden die Attraktivität ihres Arbeitgebers in Abhängigkeit davon, wie umfänglich er sie bei ihren Diensttrips unterstützt.
Entscheidungsspielraum statt Zwang
Tatsächlich kann die Essenz dieser Jahre als eine Art Loslösung des Individuums von jedweder Art der - empfundenen - Bevormundung gedeutet werden. Nicht grundlos ist die "Personalisierung" beziehungsweise "Individualisierung" von Produkten und Dienstleistungen der vorherrschende Trend dieser Zeit. Und nichts anderes ist auch der Ansatz der Traveller Centricity: der Versuch einer Antwort des Travel Managements auf die Herausforderung, "Prozesse und Befindlichkeiten so zusammenzubringen, dass sie sowohl für die Reisenden als auch das Unternehmen einen Mehrwert schaffen" (VDR-Geschäftsreiseanalyse 2014). Denn künftig geht es nicht mehr darum, den Reisenden mit immer neuen Regeln einzuzwängen, ihn aus seiner Sicht also zu bevormunden. Stattdessen erweitert das Travel Management seine Entscheidungsspielräume. Zumindest oberflächlich beziehungsweise innerhalb eines klar definierten Rahmens ("Framing"). Beim "Decoy Pricing" beispielsweise, das Claudia Unger, Director Research and Intelligence bei BCD Travel, in Berlin vorstellte, lässt ein Unternehmen seinem Reisenden bei seiner Buchung zwar tatsächlich die Wahl zwischen Hotels mit unterschiedlichem Preis und Service. Erfahrungsgemäß werde er sich aber für das preislich in der Mitte liegende Haus entscheiden - allein deshalb, weil er das Gefühl habe, sich innerhalb eines gewissen Portfolios frei entscheiden zu können. In eine ähnliche Richtung gehen die verschiedenen Ansätze der "Gamification". Hier wird der Reisende - zum Beispiel mit firmeninternen Bonuspunkten - dafür belohnt, dass er im Sinne seines Travel Managements bucht, das die Leakage möglichst niedrig halten möchte: innerhalb einer besonderen Vorausbuchungsfrist etwa oder zu einem besonders günstigen Tarif (siehe Dürr Travel Points). Wobei der Fokus nicht allein auf der Entscheidungshoheit oder dem angespornten Ehrgeiz des Reisenden liegt. Vor allem geht es darum, die ebenfalls mit Incentives lockenden Hotelketten und Airlines mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und Mitarbeiter auf "sanfte" Art zu steuern. Eine weitere Option, die Entscheidungsfreiheit des Business Travellers auszuweiten, ist die, ihm die Wahl seiner Buchungswege zu überlassen. Hinter der Idee dieses sogenannten "Open Booking" (siehe: Pro & Contra) steht die Überlegung, dass es angesichts der heutigen Vielfalt der Kanäle ohnehin illusorisch ist, ihn auf den einen einzigen verpflichten zu wollen.
Travel Manager als Coach
Einen Blankoscheck für Reisende bedeutet weder der eine noch der andere Ansatz. Vielmehr sind sowohl die Gamification-, die Open-Booking- und auch Visual-Guilt-Strategien (siehe Dürr Travel Points) nur mehr verschiedene Spielarten des "Behaviour Management". Nudging - anstupsen - nennt dies die Verhaltenspsychologie: die Beeinflussung des Verhaltens eines Menschen ohne Verbote oder Befehle. Voraussetzung für ein gelungenes Behavior Management ist eine sorgfältig geplante Kommunikationsstrategie. Und zwar nicht, wie in der Vergangenheit gern praktiziert, per Befehl. In seiner neuen Rolle als Coach ist es die Aufgabe des Travel Managers, seine Reisenden für die unternehmenseigenen Ziele zu gewinnen. Das Bewusstsein zu schaffen, dass zum Beispiel sein Maverick Buying, also Buchungen jenseits der festgelegten Beschaffungskanäle, die Firma mehr kostet als die auf den ersten Blick gesparten fünf Euro fürs Zimmer. Weil es eben nicht dieselben Stornierungskonditionen bietet wie das Vertragshotel, mit dem der Travel Manager aufwendig verhandelt hat. Weil es eben keineswegs Geld spart, wenn der Mitarbeiter seine kostbare Arbeitszeit für Eigenrecherche verbraucht; um nur zwei Beispiele zu nennen.
Reisenden-richtlinien statt Reiserichtlinien
Nicht umsonst zählt Carlson Wagonlit Travel (CWT) "Kommunikation" zu den "Prioritäten im Travel Management 2015": "Unternehmen erkennen zusehends, dass Kommunikation essenziell ist, um Reisende für ein programmkonformes Buchen zu gewinnen", heißt es dort. Noch deutlicher formuliert es CWT-Chef Peter Ashworth: "Nur wenn sich Reiserichtlinien langfristig zu Reisenden-Richtlinien entwickeln, ist ein Reiseprogramm nachhaltig erfolgreich." Doch der Prozess der Neuausrichtung auf den Reisenden hat gerade erst begonnen. Denn noch immer geht die Kommunikation vorwiegend in nur eine Richtung: vom Travel Management zum Mitarbeiter. Was aber, wenn die Ursachen für Verstöße gegen die Reiserichtlinien nicht allein beim Reisenden zu suchen sind? Was, wenn ein verhandeltes Hotel nicht deshalb gemieden wird, weil es dem Reisenden nicht behagt - sondern weil es schlichtweg schlecht ist? Oder in der firmeneigenen App noch gar nicht buchbar? Was, wenn die Bedienung der kürzlich ausgerollten Online Booking Engine (OBE) nur etwas für Raketentechniker ist? Wenn das Maverick Buying gar nicht als Mittelfinger in Richtung Travel Management gedacht ist, sondern als ein Gefallen für das Unternehmen? Wenn Marcus Scholz wissen will, ob die von ihm eingeführten Dürr-Travel-Points tatsächlich ankommen, dann schaut er auf die von seinen Reisenden eingereichten Verbesserungsvorschläge. Doch ob das ausreicht? Vor allem TMCs verweisen auf das noch lang nicht ausgeschöpfte Potenzial öffentlicher Netzwerke. Denn mithilfe des "User Generated Contents" von Online-Communities wie etwa Bewertungsportalen lasse sich sehr schnell herausfinden, wo Reisende der Schuh drückt.