Filiz Demir ist Medizinische Tastuntersucherin in einer Frauenarztpraxis und blind. Mit ihren geschulten Fingern tastet sie die Brust nach Veränderungen ab.
Rhythmisch wandern Zeige- und Mittelfinger von Filiz Demir über die Brust der Patientin, tasten, fühlen, drücken, erst sanft an der Oberfläche, dann fester, um auch das tiefere Gewebe zu erfassen. „Ich mache das, um etwas zu finden, was ich im Grunde nicht finden will", sagt die 40-Jährige, während ihre geschulten Finger systematisch das Brustdrüsengewebe nach kleinsten Veränderungen absuchen. Dazu befinden sich fünf Spezialklebestreifen mit Tastpunkten senkrecht auf der Brust der Patientin, eine Art Koordinatensystem, das ihr als Orientierung dient. Filiz Demir ist Medizinische Tastuntersucherin, kurz MTU, eine von derzeit 20, die bundesweit in Arztpraxen und Brustzentren tätig sind. Jede dieser Frauen ist blind oder stark sehbehindert. Mithilfe ihres überlegenen Tastsinns finden MTUs statistisch 50 Prozent mehr und 28 Prozent kleinere Gewebeveränderungen als Gynäkologen unter den Bedingungen einer Routineuntersuchung. „Es ist eine sehr befriedigende Arbeit, ich mache etwas Sinnvolles", freut sich Filiz Demir, die seit einem Jahr in einer Frauenarztpraxis in Duisburg arbeitet.
Fingerspitzengefühl ist gefragtVor der Untersuchung geht sie mit den Patientinnen einen Anamnesebogen durch, bestimmt ihren Hormonstatus. „Dann taste ich ihre Lymphknoten ab, zuerst die am Hals, dann am Schlüsselbein und zum Schluss die Achselhöhlen." Es ist eine Ergänzung der diagnostischen Methoden wie Ultraschall und Mammografie, kein Ersatz. Die Diagnose stellt immer noch der Arzt.
Bevor sie 2010 in Folge ihres Rheumas erblindete, war Filiz Demir Buchhalterin in einem Reisebüro. „Als Tastuntersucherin brauche ich meine Augen nicht. Ich brauche meine Finger, meinen Tastsinn." Ihre Hände, insbesondere die Finger, sind auffallend gepflegt, die Haut sehr weich. Fingerspitzengefühl ist gefragt, im doppelten Sinne. „Empathie- und Kommunikationsfähigkeit sind ebenso wichtig", denn auch die Ängste der Frauen erlebt Filiz Demir hautnah mit. Über 70.000 Frauen in Deutschland erkranken jedes Jahr an Brustkrebs.
„Das A und O der Früherkennung ist es, den Tumor in der Brust zu entdecken, wenn er noch sehr klein ist“, erklärt Dr. Frank Hoffmann. Der Frauenarzt aus Duisburg ist Initiator und entwickelte die Methode zur Brustkrebsfrüherkennung, die er Discovering Hands nennt – entdeckende Hände. Die Zeit, die ihm für die Tastuntersuchung bei seinen Patientinnen zur Verfügung steht, oft nur wenige Minuten, sei nicht optimal, sagt er – und das Ergebnis leider auch nicht. Bei einer Studie ertasteten MTUs Veränderungen von wenigen Millimetern Größe, die Ärzte erst ab 1,2 Zentimeter fühlten. Die Ergebnisse der Vorstudie sind aufgrund der geringen Stichprobe aber nicht repräsentativ.
Stößt Filiz Demir bei ihrer Untersuchung auf eine verdächtige Stelle, ist das für sie allerdings ein beklemmender Moment. Wie Ende letzten Jahres, als sie plötzlich bei einer Tastuntersuchung einen Knubbel fühlte. „Der war anders als die anderen, irgendwie in die Haut eingebacken“, beschreibt sie ihn rückblickend. Weitere Untersuchungen durch den Arzt bestätigten ihr ungutes Gefühl: Krebs. „Es ist gut, dass ich ihn entdeckt habe“, weiß Filiz Demir, „und gleichzeitig schlecht.“ Durch ihre Arbeit hat sich ihre eigene Einstellung zum Thema Vorsorge deutlich verändert. Früher sei sie ungern zum Frauenarzt gegangen. Das ist jetzt anders. „Eine Brustuntersuchung ist eine lebenswichtige Sache!“
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