Anja Schimanke

Journalistin (Gesellschaft, Soziales, Inklusion), Köln

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Maximilian Dorner: Immer geradeaus

Europaweit mobil: Mit seinem Handbike ist Maximilian Dorner nicht nur in München viel unterwegs.

Maximilian Dorner ist Schriftsteller. Er hat Multiple Sklerose und bringt unverkrampft zur Sprache, worüber sonst kaum jemand offen redet: Behinderung, Einsamkeit und Scham.

Ein unwegsamer Feldweg mit tiefen Schlaglöchern voller Pfützenwasser. „Befahren verboten!“, mahnt ein Schild am Wegesrand. Maximilian Dorner fährt mit seinem Handbike daran vorbei und ignoriert auch das zweite Schild einige Kilometer weiter. Umkehren? Aufgeben? Für Dorner keine Option. „Ich bin trotzig und denke oft, dass ich es besser weiß“, sagt der 43-jährige Schriftsteller und fügt mit einem breiten Grinsen hinzu: „Und ich liebe Abenteuer.“

Für die Opferrolle wäre Max Dorner eine schlechte Besetzung. Vieles macht er alleine, reist durch die Welt, kennt Europa von Istanbul bis Dublin. „Das Reisen kostet sehr viel Kraft und geht an die Grenze dessen, was ich schaffe“, sagt Dorner. Früher ist er von seiner Heimatstadt München bis nach Rom gepilgert. Seit einigen Jahren ist das nicht mehr möglich. Er war 34 Jahre alt, als bei ihm Multiple Sklerose diagnostiziert wurde, eine unheilbare Nervenerkrankung. Er sei nicht krank, sondern behindert, korrigiert Dorner. Krankheit ist etwas Vorübergehendes, Behinderung nicht.

Am Laptop nicht behindert

Maximilian Dorner hat Dramaturgie studiert an der Bayerischen Theaterakademie, er ist Regisseur, Komödiant, Filmemacher und Autor. Am liebsten würde er sofort alles umsetzen, was in ihm brodelt. Mit 15 Jahren begann er mit dem Schreiben – Theaterstücke, Romane, Gedichte. Sein Debütroman „Der erste Sommer“ brachte ihm 2007 den Bayerischen Kunstförderpreis in Literatur ein. Sprache ist sein Instrument. „Solange ich vor meinem Laptop hocke, bin ich nicht behindert, sobald ich aufstehe, schon“, sagt er.

Insgesamt sieben Bücher hat Maximilian Dorner in den letzten neun Jahren geschrieben, darunter ein Tagebuch über den Ausbruch seiner Krankheit: „Was das heißt: lebenslänglich. Wohin mit der Wut, dem Zorn? Heute hasse ich die Entzündungen in meinem Kopf. Mein ganzes Gehirn wie Bagdad. Doch auch ich könnte mit einem Anschlag für Ruhe sorgen. Aber der Tod ist keine Alternative“ (aus „Mein Dämon ist ein Stubenhocker“).

Dorner ist Beobachter und Betroffener, der den Dingen auf den Grund geht, obwohl oder gerade weil es ihm persönlich viel abfordert. Sein persönliches Schicksal sei dabei Nebensache. Ihm gehe es vielmehr darum, Themen unverkrampft zur Sprache zu bringen, über die sonst kaum jemand offen spreche: Einsamkeit, Trost, Behinderung. Auch vor Scham macht er nicht Halt und nimmt das Gefühl in „Ich schäme mich. Ein Selbstversuch“ akribisch auseinander. „Der Satz ,Ich schäme mich‘ ist für mich ganz zentral geworden, seit ich behindert bin. Es ist diese eiskalte Scham, die meinen Handlungsspielraum so eingeengt hat“, so Dorner.

Schonungslos ehrlich

Schonungslos ehrlich zu sein – dieser Ruf eilt ihm voraus. „Ich habe einen kleinen Teufel in mir, sage Dinge, die andere provozieren, um zu gucken, wie sie darauf reagieren. Weil mich interessiert, wo da die Grenzen sind.“ Schonungslos sei er nicht. „Mir geht es darum, nicht wegzuschauen.“ Auf Augenhöhe zu sein, trotz Rollstuhl und Behinderung. Immer geradeaus – das gilt auch für Dorners Blick. „Ich schäme mich, weil ich behindert bin – den Satz kann ich aussprechen, ohne den Blick zu senken.“

Gerade schreibt Dorner an einem Liebesroman. Mal etwas Leichteres. Und mit Happy End? „Das Ende ist authentisch“, verrät Dorner, „und es gibt eine Erfüllung. Ob es happy ist, weiß ich nicht.“



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