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Zögern, Herantasten und Ausprobieren: Wie lieben wir heute?

Queer Zögern, Herantasten und Ausprobieren: Wie lieben wir heute?

(Bild: Christoph Hoppenbrock, CC BY-NC-ND)

Nicht festlegen, vieles ausprobieren und dabei bloß kein Label, bitte! So lieben wir heute. Darauf deutet das Ergebnis unserer Umfrage hin, für die wir 1000 Menschen zwischen 18 und 30 Jahren befragt haben.

Denn:

Einige junge Deutsche haben schon sexuelle Erfahrung mit dem gleichen Geschlecht gemacht, aber nur fünf Prozent würden sich als homo- und fünf Prozent als bisexuell bezeichnen. Dabei hat jede vierte befragte Frau (26 Prozent) schon mal eine andere Frau geküsst, aber noch nicht mal jeder zehnte befragte Mann (8 Prozent) einen anderen Mann.

Anders sieht es beim Sex aus: Genauso viele Männer wie Frauen haben schon mit einem gleichgeschlechtlichen Partner geschlafen (13 Prozent). 7 Prozent der befragten Männer und Frauen machten ein Kreuz bei „Etwas mehr als Küssen, aber auch nicht richtig Sex".

Das sind die Zahlen - und wie fühlt sich das an?

Ein Mann und eine Frau erzählen von ihrem Zögern, Herantasten und Ausprobieren.

29-jähriger Mann (der anonym bleiben möchte):

"Es ist seltsam: Frauen dürfen sagen, dass sie eine andere Frau gutaussehend finden. Aber Männer tun sich damit immer noch unwahrscheinlich schwer.

Ich fand Männer schon immer schön - genauso wie Frauen. Ich wollte aber nie mit einem Mann zusammen sein, ich hatte auch ausschließlich Freundinnen. Trotzdem hat es mich immer interessiert, wie Sex mit einem Mann wohl so ist.

Das fing alles recht harmlos an. Als meine Kumpels und ich Selbstbefriedigung für uns entdeckten, holten wir uns auch mal gegenseitig einen runter. Ich fand das toll, aber danach passierte erst einmal nichts mehr mit Männern. Ich habe auch nie auf einer Party mit einem Typen rumgemacht, auf die Idee wäre ich gar nicht gekommen. Zudem hatte ich Angst.

Denn: Wenn man abends mit einem Typen knutschend gesehen wird, hätten alle gedacht, dass ich schwul bin. Mir hätte das nichts ausgemacht. Aber ich hatte damals Bedenken, was andere Mädchen darüber denken würden. Ich hatte Angst, dass ich keine mehr kennenlerne. Heute würde ich souveräner damit umgehen.

Dann habe ich doch mit einem Mann geschlafen.

Eines Abends, ich muss ungefähr 20 gewesen sein, habe ich ihn auf einer WG-Party kennengelernt. Er wirkte überhaupt nicht schwul, aber irgendwie spürte ich, dass es da eine gewisse Anziehung zwischen uns gab. Es kribbelte, und wenn wir uns anlachten, war das anders als mit meinen Freunden. Wir standen stundenlang im Gang und haben uns einfach nett unterhalten und viel gelacht. Irgendwann erzählte er mir, dass er bi ist.

Wir tranken ziemlich viel und landeten irgendwann bei ihm zu Hause. Plötzlich war ich nüchtern.

Ich war wahnsinnig aufgeregt und hatte Angst, etwas falsch zu machen. Meine Erfahrungen mit Frauen waren nicht wirklich hilfreich, es war etwas komplett anderes.

Kurz darauf habe ich meine jetzige Freundin kennengelernt, meine große Liebe.

Nach dem Sex bin ich noch die Nacht bei ihm geschlafen, aber vor allem, weil ich sehr betrunken war. Der nächste Morgen war sehr seltsam, deswegen habe ich mich schnell verabschiedet.

Ich möchte die Erfahrung auf keinen Fall missen und bin froh, dass ich sie machen durfte. Trotzdem habe ich Typen danach nie wieder gesehen.

Kurz darauf habe ich meine jetzige Freundin kennengelernt, meine große Liebe. Wir sind inzwischen seit acht Jahren zusammen. Sie weiß von dem Mann. Als ich ihr davon erzählt habe, hat sie cool reagiert. Ich hatte Angst, dass sie mich danach in einem anderen Licht sieht oder sich das Ganze sogar auf unseren Sex auswirkt - aber sie meint, das gehört eben zu meiner Vergangenheit."

Amelie, 23, erzählt:

Früher, ich war vielleicht 13 oder 14 Jahre alt, habe ich eine zeitlang so gut wie alle meine Freundinnen geküsst. Es war eher eine Art Freundschaftsbeweis - wie Blutsschwestern, wenn man so will.

Ein paar Jahre später habe ich zum ersten Mal eine fremde Frau geküsst. Das war natürlich komplett anders, als eine Freundin zu küssen. Es ist auch nicht ganz dasselbe wie mit einem Typen knutschen, den man gut findet, aber es kommt sehr nah ran. Frauen küssen anders, finde ich, irgendwie zärtlicher und weicher.

Früher hatte ich große Hemmungen, einer Frau zu zeigen, dass ich sie gut finde. Einmal wollte ich von einer Partyknutscherei mehr, habe mich aber nicht getraut, etwas zu unternehmen. Ich hatte Angst vor ihrer Reaktion. Das wurmt mich bis heute.

Früher hatte ich Angst davor, dass eine Frau mir emotional zu nahe kommen könnte.

Heute macht Tinder vieles einfacher. Hier muss ich keinen Blickkontakt deuten oder langsam in einem Gespräch herausfinden, ob sie generell an Frauen und speziell an mir interessiert ist. Ich will ja auch nicht direkt fragen: "Stehst du eigentlich auf Frauen?"

Wenn ich mich definieren müsste, dann würde ich mich immer noch als hetero bezeichnen - weil ich eben nur mit Männern in einer Beziehung war. Früher hatte ich Angst davor, dass eine Frau mir emotional zu nahe kommen könnte. Es fühlt sich irgendwie intimer an, vielleicht weil es dasselbe Geschlecht ist. Heute kann ich es mir sogar vorstellen.

Die bento-Umfrage

An unserer Studie haben 1000 in Deutschland lebende Menschen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren teilgenommen. Die Schwankungsbreite beträgt für die gesamte Stichprobe 1,9 Prozent. Die Online-Befragung wurde von dem Institut für Markt- und Trendforschung EARSandEYES im Auftrag von bento im Mai 2015 durchgeführt.

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